Neuer Propst in Kaliningrad ist Thomas Vieweg
06.10.2012
Der neue Propst Thomas Vieweg wird viel Kraft und Geschick brauchen, um die in ihn gesetzten Erwartungen zu erfüllen. Er soll den Aufbau der Diakoniestationen in den nordostpreußischen Städten und auf dem Land vorantreiben und für ihre Koordinierung sorgen. Die Finanzlage der Propstei ist äußerst angespannt und muss bereinigt werden. Die noch gar nicht so alte Auferstehungskirche weist bereits Schäden auf, die behoben werden müssen. Der Nachfolger, der die Arbeiten fortsetzen muss, soll möglichst aus der Oblast kommen. Wenn man Thomas Vieweg persönlich erlebt, traut man ihm jedoch zu, dass er diesem Berg von Arbeit und Verantwortung gewachsen ist, genau so, wie er es in der Vergangenheit schon unter Beweis gestellt hat.
Thomas Vieweg wurde 1952 in Erfurt geboren. studierte in Ost-Berlin Theologie und war dort Sprecher der Evangelischen Studentengemeinde (ESG). In dieser Funktion verschaffte er regimekritischen Künstlern wie Wolf Biermann und Rainer Kunze Auftritte, betreute den Wehrdienstverweigerer Nico Hübner und wirkte auch sonst nach dem Motto “Bleibe im Lande und wehre dich täglich”. Das rief die Stasi auf den Plan, die ihn immer intensiver beschattete und sein Leben in der DDR immer unerträglicher machte. Ein Ausreiseantrag wurde jedoch abgewiesen und der Vikar Vieweg in eine chemische Reinigung abgeordnet. Seine Frau Monika gab schließlich den Anstoß für die Befreiung der Familie. Helmut Matthies von der Zeitschrift idea schrieb dazu: “Als Altkanzler Schmidt 1983 die Lutherstadt Wittenberg besuchte, schaffte sie es, durch einen schnellen Spurt den großen Ring von Polizisten zu durchbrechen. Sie wollte Schmidt um Hilfe bitten. Doch die Stasi packte sie. Aber Schmidts Personenschutz gelang es, sie ihnen zu entreißen.” idea informierte Helmut Schmidt über die Hintergründe dieses Verzweiflungsakts und der sorgte durch seine Kontakte aus Kanzlerzeiten dafür, dass die Familie 1984 in die Bundesrepublik ausreisen durfte.
In Homburg an der Saar konnte Vieweg zunächst als Erzieher arbeiten. 1986 erhielt er eine Stelle als Pfarrer in der Pfalz und 1998 wurde er Dekan in dem schwierigen Kirchenbezirk von Kirchheimbolanden in der Nordpfalz. Das machte er so gut, dass er in diesem Jahr Kandidat für die Stelle des Propstes in Kaliningrad wurde. Am 30. September 2012 führte ihn Dietrich Brauer, Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche Europäisches Russland in der Auferstehungskirche in sein neues Amt ein.
Die Propstei Kaliningrad umfasst 38 Gemeinden mit sieben Pfarrern und 2.100 Mitgliedern. In der Exklave mit einer Einwohnerzahl von 960.000 leben 15.000 Russlanddeutsche, die nach der Wende in Russland aus Sibirien zuwanderten oder aus Kasachstan, Turkmenistan usw. vertrieben wurden und vorwiegend dem evangelischen Glauben anhängen. Spannend wird es, wenn sich Kaliningrad als Austragungsort auf die Fußballweltmeisterschaft 2018 einstellt und mit mehr Freizügigkeit und weniger Bürokratie vielleicht auch einen Auftrieb für die evangelische Kirche bewirkt. Dann wird Propst Vieweg vermutlich nicht mehr im Amt sein, aber sicher die Weichen richtig gestellt haben.
(idea Spektrum Nr. 40, 4. Oktober 2012, S. 11 und 44)