Kaum einer noch kennt Werner Richard Heymann

Kaum einer noch kennt Werner Richard Heymann

11.04.2013

Werner Richard Heymann (4. 2. 1896 – 30. 5. 1961), Komponist insbes. von Filmmusik, wurde in Königsberg als Sohn des Getreidegroßhändlers Richard Heymann und seiner Frau Johanna geboren. In Königsberg saß er bereits mit zwölf Jahren als Geiger im Philharmonischen Orchester und komponierte auch schon Nach dem Tod des Vaters zog die Mutter 1912 mit ihm und den drei Brüdern nach Berlin. In ihrem Wilmersdorfer Salon an der Kaiserallee (heute Bundesallee) verkehrten u. a. der Maler Max Pechstein, der Architekt Erich Mendelsohn und der Dichter Richard Dehmel. Als der erste Weltkrieg ausbrach, meldete sich der Medizinstudent freiwillig, impfte im Königsberger Lazarett etwa 3000 Soldaten gegen Pocken, Cholera und Typhus.

Die Erlebnisse und der Schock über den Kriegstod seines Bruders Walther (19. 5. 1882 – 9. 1. 1915), einem hoffnungsvollen und bereits arrivierten Dichter, machten ihn zum Pazifisten. Im Café des Westens am Kurfürstendamm / Ecke Joachimstaler Straße kam der frühreife 17-Jährige mit der Berliner Bohème zusammen. Hier freundete er sich unter anderem mit dem jungen Komponisten Friedrich Hollaender an und lernte den Dichter Johannes R. Becher kennen. Inzwischen wollte Heymann nicht mehr aufs Bismarckgymnasium an der Pfalzburger Straße gehen, also bekam er Privatunterricht, um als Externer das Abitur zu absolvieren. Der Assistent seines Einpaukers war ein gewisser Kurt Tucholsky, dessen Texte er später auch vertonte («Das Leibregiment», «Die Dorfschöne»). Als Komponist debütierte Heymann im ernsten Fach: Seine “Rhapsodische Sinfonie” wurde 1918 von den Wiener Philharmonikern uraufgeführt. Doch bald, Anfang der 1920er Jahre, wurde er gemeinsam mit Friedrich Hollaender musikalischer Leiter von Max Reinhardts Kabarett «Schall und Rauch», später dann von Trude Hesterbergs Kabarett «Die Wilde Bühne».

1922 rief der Produzent Erich Pommer aus Neubabelsberg an, der Heymann als Filmmusiker für den Stummfilm engagierte. Für die Ufa komponierte Heymann, der dort rasch zum Generalmusikdirektor aufstieg, unter anderem die Musik zu Murnaus «Faust» und Fritz Langs «Spione». Außerdem war er verantwortlich für die «Stimmungsmusik» des Ufa-Palastes am Zoo und 120 weitere “Filmtheater”. Heymann komponierte die Musik zum ersten deutschen Tonfilm “Melodie des Herzens”. Es folgten Filmmusiken für “Die drei von der Tankstelle” (mit dem Gassenhauer ” Ein Freund, ein guter Freund “) und “Der Kongress tanzt”, in dem Lilian Harvey “Das gibt’s nur einmal” sang. Für die berühmten Comedian Harmonists schrieb er u. a. die Musik von „Das ist die Liebe der Matrosen“.

Am 26. März 1933 kehrte Heymann von Dreharbeiten aus Ägypten zurück (“Saison in Kairo”), am 29. schmissen die Nazis Top-Künstler wie den Produzenten Erich Pommer (“Der blaue Engel”, “Der Kongress tanzt”) und den “Kongress”-Regisseur Erik Charell aus der UFA, sie waren Juden, wie Heymann. Am 9. April brach er eilends auf ins Exil, erst nach Paris, wo er Operetten schrieb, dann in die USA. In Hollywood komponierte er die Musik zu fast 50 Tonfilmen (vier Oscar-Nominierungen) und schlug sich als Komponist für 4 Lubitsch-Filme durch (darunter “Ninotschka” und “To Be Or Not To Be”). Nur war in Hollywood die Musik nicht mehr wie bei den UFA-Filmen wesentlicher Teil des Films, sondern diente als Hintergrund.

Werner Richard Heyman blieb im Herzen Europäer und so kehrte er 1951 nach Deutschland zurück. Seine Tochter kam 1998 kurz nach Berlin, um der Stiftung der Akademie der Künste den musikalischen Nachlass ihres Vaters zu übergeben. Dabei verliebte sie sich in den Direktor Wolfgang Trautwein, heiratet ihn und ist bis heute in Berlin geblieben. Jetzt kümmert sie sich um das Erbe ihres Vaters. Sie pflegt das Bewusstsein für den “Liederschreiber und Sinfoniker” unter anderem mit einer Internet-Seite: www.heymann-musik.de.

Am vergangenen Dienstag, genau 80 Jahre nach der Flucht, hat das Land Berlin Werner Richard Heyman an der Komischen Oper im Rahmen des Themenjahres „Zerstörte Vielfalt“ einen ganzen Abend mit Dagmar Manzel gewidmet. Eine Tiefenbohrung sozusagen: Einer wird herausgegriffen und besonders sichtbar gemacht, stellvertretend für die vielen, die weggehen mussten oder ermordet und vergessen wurden. Die beiden Redner des Abends, Intendant Barrie Kosky und Berlins Regierender Klaus Wowereit, wünschten sich, dass dieser Abend ein Zeichen setzen möge: Der Faschismus hat nicht gesiegt. Ja, das Konzert ist ein Signal – gegen die unsägliche, von den Nationalsozialisten gewollte Kulturamnesie. Möge es nicht so schnell wieder versanden.

(Der Tagesspiegel, 10. 4. 2013)