Das archäologische Erbe Ostpreußens
18.04.2013
Insbesondere der Nordosten Ostpreußens entlang der Bernsteinküste faszinierte mit großen Gräberfeldern und mächtigen Burgwällen. Sie bilden bis heute eindrucksvolle Zeugnisse einer ungewöhnlich dichten Besiedlung der Region in vor- und frühgeschichtlicher Zeit. Dollkeim (heute Kovrovo), Wiskiauten (heute Mohovoe) oder Warnikam waren für die Gelehrten im 19. und 20. Jahrhundert verheißungsvolle Ortsnamen, die heute kaum jemand noch kennt.
Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges blickte die Forschung bereits auf mehr als ein Jahrhundert intensiver Sammeltätigkeit und erfolgreicher Ausgrabungen zurück. Gelehrte und interessierte Bürger hatten 1844 mit der Gründung der “Alterturnsqesellschaft Prussia” einen bedeutenden institutionellen Rahmen geschaffen. Das Prussia-Museum im ehemaligen Königsberger Schloss beherbergte Hunderttausende von Objekten aus der Steinzeit bis in das Mittelalter, ergänzt durch ein umfangreiches Archiv mit Fundort-Akten, Ausgrabungsberichten, Inventarlisten und mehr. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs schienen diese einzigartigen Bestände unwiederbringlich verloren: Das Schloss war durch Bombenangriffe zerstört und die zuvor eilig verpackten Sammlungen waren mit unbekanntem Verbleib eingelagert bzw. aus der Stadt abtransportiert worden. Die so reiche Archäologie Ostpreußens geriet, zumindest im Westen, in Vergessenheit.
Erst mit der politischen Wende der Jahre 1989/90 gelang es Wissenschaftlern in Ost und West, das Schicksal der Königsberger Sammlungen umfassend zu rekonstruieren. Nach und nach wurde öffentlich bekannt, dass in Deutschland, Polen und Russland kleinere Bestände sehr wohl die Wirren des Krieges überstanden hatten. Der größte Fundus kam 1990 in Berlin ans Licht – eine Sensation für die archäologische Forschung. 50.000 Objekte und ebenso viele Schriftstücke hatten Jahrzehnte im Keiler der Akademie der Wissenschaften in Ostberlin überlebt, wenn auch in einem beklagenswerten Zustand. Nach umfangreichen Maßnahmen zur Inventarisierung und Konservierung stehen sie seit einiger Zeit wieder für die Archäologie zur Verfügung.
In einem gemeinsamen Vorhaben des Museums für Vor- und Frühgeschichte Berlin (MVF) und des Zentrums für Baltische und Skandinavische Archäologie Schleswig (ZBSA) werden seit 2012 die Königsberger Bestände erstmals umfassend systematisch rekonstruiert und ausgewertet. Unter dem Titel Forschungskontinuität und Kontinuitätsforschung. Siedlungsarchäologische Grundlagenforschung zur Eisenzeit im Baltikum verfolgt es das Ziel, die kriegsbedingt auseinander gerissenen Kontexte wieder zu vereinen, die Zahl und Bedeutung der bis 1945 bekannten.
Der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Prof. Hermann Parzinger, wies in seinen Ausführungen auf einer Pressekonferenz am 17. April 2013 auf die enorme Bedeutung hin, die dieses Projekt für die Wiedergewinnung verloren geglaubten Wissens, aber auch für die Kenntnis der Geschichte Ostpreußens hat.
(Museum für Vor- und Frühgeschichte – Staatliche Museen zu Berlin, 17. 4. 2013 – Pressemitteilung)