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Ein vergessener und dennoch höchst fähiger Musiker

Ein vergessener und dennoch höchst fähiger Musiker

27.06.2014

Johann Friedrich Reichardt (25. 11. 1752 – 27. 6. 1814), Komponist, Kapellmeister und Musikkritiker, Schriftsteller, Erfinder des Dirigentenstabes, wurde in Königsberg als Sohn eines Stadtmusikers und Lautenlehrers sowie einer Kammerjungfer der Gräfin Keyserlingk geboren.[1] Schon in frühester Jugend galt er als musikalisches Wunderkind. Er erhielt Klavier-, Cembalo- und Geigenunterricht, studierte in Königsberg Jura, hörte Vorlesungen bei Kant, hielt gute Kontakte zu Hamann und machte als Abschluß seiner Ausbildung eine Bildungsreise. Danach wurde er extraordinärer preußischer Kammersekretär in Tilsit. Als der junge Reichardt hörte, dass der Hofkapellmeister Johann Friedrich Agricola (1720 – 1774) gestorben war, bewarb er sich bei Friedrich II. um diese Stelle, wobei er dem Monarchen die Partitur seiner Oper “La feste galanti” übersandte. Sein Schwiegervater Franz Benda, Konzertmeister des Königs, half wohl dabei, denn er hatte 1777 Juliane Benda geheiratet. Tatsächlich wurde er eingestellt. Allerdings war der Geschmack von König und Musiker zu unterschiedlich, um zu harmonieren, und der Alte Fritz boykottierte bald seinen Kapellmeister. Der ging 1883 auf Reisen und kehrte erst nach dem Tod Friedrichs des Großen an den Hof zurück, wo ihn König Friedrich Wilhelm II. in seinem Amt bestätigte. Dennoch machten seine Gegner am Hof ihm das Leben schwer.

1794 fiel er einer Hofintrige zum Opfer, indem man ihn der Sympathien für die französische Revolution bezichtigte, und wurde von Friedrich Wilhelm II. fristlos und ohne Pensionsanspruch entlassen. Er zog sich daraufhin auf sein Gut Giebichenstein bei Halle zurück und ging dort journalistischen Arbeiten nach. Mit der kühnen Gründung der Zeitschrift „Deutschland“ 1796 kam es zur Verstimmung zwischen Reichardt sowie Schiller und Goethe.1796 begnadigte ihn der König und berief ihn zum (nicht sonderlich gut bezahlten) Salinendirektor in Halle. 1797 unter Friedrich Wilhelm III. kehrte er an die Oper in Berlin zurück, wurde aber nicht mehr Hofkapellmeister. Reichardt zog sich immer mehr auf sein Landhaus Giebichenstein zurück, das zu einem beliebten Treffpunkt für illustre Zeitgenossen wie Freiherr vom Stein, Achim von Arnim, Clemens von Brentano wurde.[2] Dieses Gut wurde bei der Eroberung Preußens durch Napoleon zerstört, möglicherweise auch aufgrund der Gegnerschaft von Reichardt zum französischen Kaiser. Dennoch beorderte ihn Napoleon für einige Monate nach Kassel an den Hof seines Bruders Jerôme, damit er dem “König Lustig” als Kapellmeister diente. Nach Rückkehr aus Memel zusammen mit der preußischen Königsfamilie war er noch kurze Zeit Kapellmeister in Kassel. Er starb an den Folgen eines Magenleidens. Reichardt war zeitweilig mit Goethe befreundet und hörte seinerseits nie auf, den Dichter zu verehren.[3] Er schrieb vor allem Musik für Lieder, oft Texte von Goethe und Schiller, aber auch für Lieder aus „Des Knaben Wunderhorn“ von Achim von Arnim, insgesamt über 900, darunter „Schlaf, Kindchen, schlaf“ und „Wenn ich ein Vöglein wär“. Singspiel „Hänschen und Gretchen“ (1772), „Vermischte Musikalien“ (1773); Klaviersonaten, Konzerte für Cembalo, Opern Ballette, Oratorien. Roman „Das Leben des berühmten Tonkünstlers Heinrich Wilhelm Gulden“ (1779).[4]


[1] Manthey, Königsberg, S. 323
[2] Manthey, Königsberg, S. 129/130
[3] Silke Osman, Unbequemer Wegweiser, Oprbl. Nr. 47/2002, S. 12
[4] Manthey, Königsberg, S. 326; W.K., An der Schwelle von der Klassik zur Romantik, PAZ Nr. 25/2014 (21. Juni), S. 11