Von Australien nach Masuren

Von Australien nach Masuren

02.09.2016

Meine Tochter aus dem fernen Australien auf Europa-Reise wollte die Wurzeln ihrer Familie kennen lernen. Nach ein wenig Sightseeing in Berlin hatten wir unser Reiseziel Osterode in Masuren erreicht. Ein schönes Ferienhaus – perfekt organisiert – erwartete uns.

Die Anfahrt war doch anstrengend, ein Einkaufsbummel und das Erkunden der Umgebung folgten. Wir wohnten also im ‘Kartoffelhaeuschen’ – http://t1p.de/xijw

Dicht daneben die ‘Bocianowka; ein schoenes Restaurant – man gestattete uns dort die Benutzung des hauseigenen WLANs. Und so waren wir nach dem Essen mit drei Smartphones mit der Außenwelt verbunden. Mit den Karten aus dem Hoefer-Verlag, aber auch mit ‘Street View’ waren wir gut vorbereitet.

Unser erstes Ziel wurde dann Hirschfeld/Jelonki. Wir besuchten das Anwesen Tanjas Urgroßeltern, ein Bauernhof mit Ziegelei einst. Heute leben im Haus mehrere Generationen. Mein je, was waren die Leute nett zu uns. Wir wurden ins Haus gebeten, man bot uns Kaffee an, und wir durften alles fotografieren. Der alte Kohleherd fand sofort unser Interesse, aber auch er war nicht mehr aus der deutschen Zeit. Der Vater installierte ein Übersetzungsprogramm auf seinem Notebook. Spannend; wie die Familie auf den Besuch reagierte. Da kommt die Urenkelin des letzten deutschen Besitzers von der anderen Seite der Welt zu der Familie der heutigen Bewohner. Wir waren überwältigt von der herzlichen Aufnahme.

Meine Eltern wurden 1937 in der Kirche von Hirschfeld getraut. Hier wurde Tanjas Urgroßmutter begraben.Tanja legte Blumen an der Grabstätte nieder. Die Pfarrersfrau zeigte uns die Kirche. Wieder waren wir überwältigt von der grossmütigen Herzlichkeit und dem Verständnis, das uns die Pfarrersfrau entgegenbrachte. Meine Mutter erzählte viel von der schönen Orgelmusik und dem Taufengel, der heruntergelassen wurde. Jetzt sahen wir den Platz des Organisten, den Glockenturm und auch den kleinen Tresor, wo wichtige Kirchenpapiere aufbewahrt wurden.

Die Uferbefestigung des Oberländischen Kanals ist verbessert worden. Das Idyllische an dieser Wendestelle der Holzflösserfahrer geht ein wenig verloren. Das schöne Vorlaubenhaus der Familie Fuge gibt es ja nun nicht mehr. Sehr grossflächig wurde auf diesem Areal ein modernes Haus gebaut. Die alte Eiche vor dem Kriegerdenkmal, prächtig anzuschauen, was sie alles gesehen hat und uns erzählen könnte. Ein Schauen der Vorlaubenhäuser und der Schule schlossen den Besuch in Hirschfeld ab.

Bei prächtigem Sonnenschein der Besuch in Elbing: Die Restauration des Bahnhofsvorplatzes, gelungen. Die Sonnenuhr vor dem Bahnhof fand sofort unser Interesse. Wahre Sonnenzeit, Ortszeit.

Wir kalkulierten den Stand der Sonne in Australien und schätztem die Entfernung zu Tanjas Wohnort. Wie weit weg hat es sie doch von den Wurzeln ihrer Familie verschlagen?

Meine Schule, das elterliche Wohnhaus und dann natürlich die Innenstadt Elbings wurden besichtigt. Meine Gedanken gingen zurück in das Jahr 1944. In der Trusoschule wurde ich im

Herbst eingeschult. Zu dieser Zeit sollen sich aber auch schon die ersten russischen Soldaten auf ostpreussischem Gebiet befunden haben. Und dann der Januar 1945. Dicht gedrängt die Fahrzeuge der Wehrmacht, Doppelposten in der Tannenbergallee. Anwohner luden die deutschen Soldaten in ihre Wohnungen ein. Immer wieder die bange Frage, „Schafft ihr das?“ Tage später war alles zu Ende.

Die restaurierte Innenstadt Elbings hat uns gefallen. Das sommerliche Wetter ließ viele Polen hier flanieren. Und vor der jetzt doch beweglichen Brücke über den Elbing-Fluss, ein Küstenmotorschiff: Elbing ist also doch wieder eine Hafenstadt. 1237, nach lübschem Stadtrecht gegründet, wird man bald das 800jaehrige Bestehen feiern können. Deutsche, die hier geboren waren, wird es dann nicht mehr geben.

Aus Drigallen wurde Drigelsdorf, spaeter Drygaly. Schön die Fahrt durch die Johannisburger Heide zum Ostrand Masurens. Hier wurden Tanjas Großtanten und -onkel und ihre Grossmutter geboren. Vor dem 1. Weltkrieg soll Tanjas Urgroßvater hier eine Ziegelei besessen haben. Ein Urgroßonkel der Familie ist hier bei den schweren Abwehrkämpfen im Februar 1915 gefallen. Vor der Kirche erinnern Grabsteine an die Gefallenen. Die Kirche in Drigallen, die Taufkirche meiner Mutter, sie ist aufwendig restauriert worden. Wirkte sie früher in dem grauen Anblick recht trutzig, so hat sie heute ein farbenfrohes Aussehen. Wir besichtigten den Ort. Natürlich gab es keine Spuren der Familie mehr. Den Bahnhof schauten wir uns an. Zwischen Lyck und Allenstein gibt es immer noch eine tägliche Zugverbindung. Am Bahnhof sprach uns ein polnisches Paar an. Wir hatten unsere Spurensuche schon aufgegeben. Ihre so freundlich angebotene Hilfe war nicht abzulehnen. Auch hier wieder eine unglaubliche Hilfsbereitschaft. Man lud uns in ihr Haus ein. Sie, eine polnische Krankenschwester, arbeitet in Düsseldorf. Bei allen Begegnungen mit den Polen stellte ich fest, die Menschen akzeptieren die deutsche Vergangenheit.

Tanja hatte über die Dönhoffs und Dohnas gelesen; wir besichtigten also Quittainen und das Schloss der Dohnas.

Wir blieben noch einige Tage in Masuren bevor es wieder zurück ging: Für Tanja ins ferne Australien, ihrer neuen Heimat.

Guenter Klepke