Erinnerung an den in Tilsit geborenen Geophysiker Emil Wiechert
26.12.2020
Emil Wiechert (26. 12. 1861 – 19. 3. 1928) wurde in Tilsit als Kind der Kaufmannsfamilie Johann und Emilie Wiechert geboren. Der Vater starb, als Emil noch sehr jung war, und die Mutter zog mit dem Kind nach Königsberg, wo er das Realgymnasium besuchte. Er studierte in Königsberg Physik, Mathematik, Astronomie, Geologie und Philosophie, beschloss das Studium mit einer Dissertation über elastische Nachwirkung ab und habilitierte sich 1892 in Physik.
Zunächst war er als Privatdozent in Königsberg tätig, wo er sich mit Forschungen und Experimenten zur atomaren Struktur der Elektrizität und der Materie einen Namen als Physiker machte. Er erkannte, dass die Kathodenstrahlen aus elektrisch geladenen Teilchen bestehen, den Elektronen, und wies in einem Vortrag vor der Physikalisch-Ökonomischen Gesellschaft im April 1896 erstmals auf die Existenz des Elektrons hin. Noch in Königsberg erforschte er den Aufbau des Erdinnern und kam zu der Erkenntnis, dass die Erde einen Nickel-Eisen-Kern haben müsste.
1897 kam er nach Göttingen, wo er 1898 auf den weltweit ersten, von dem Mathematiker Felix Klein (1849 – 1925) angeregten Lehrstuhl für Geophysik berufen und der Begründer dieser Fachrichtung wurde. Er wandte seine physikalischen Kenntnisse nunmehr konsequent auf geophysikalische Fragen an und betrieb den Bau des geophysikalischen Instituts auf dem Hainberg oberhalb von Göttingen, das 1901 fertig gestellt wurde. In den folgenden Jahren baute er dort eine Erdbebenwarte auf, ab 1902 wurde ein weltumspannendes Netz von Erbebenstationen errichtet. Göttingen wurde in diesem Geflecht die Basisstation und konnte so 1906 die Signale vom Großen Erdbeben in San Francisco aufzeichnen. Wiechert entwickelte den ersten funktionsfähigen Seismographen für Langzeitregistrierungen und ihm gelang es als Erstem, Erdbebenwellen dauerhaft aufzuzeichnen. Bis heute ist der historische Seismograph in seiner Erdbebenwarte funktionsfähig. Die Wiechert-Seismographen setzten für Jahrzehnte die Standards des jungen Wissenschaftszweiges und sind vielerorts noch heute nahezu unverändert im Betrieb. Auch in Ostpreußen gab es eine der ersten Erdbebenwarten der Welt – siehe hier.
Mit seinen vielfältigen Arbeiten zur Ausbreitung von seismischen Wellen, zum Erdmagnetismus und zu Phänomenen der Atmosphäre gelang es ihm, die Geophysik als eigenständiges wissenschaftliches Fachgebiet zu etablieren.
Seine Pionierarbeiten zur Erkundung des Untergrundes mit künstlich erzeugten Bodenschwingungen legten den Grundstein für jene Verfahren, mit denen seit Jahrzehnten z.B. neue Erdöl- und Erdgaslagerstätten aufgespürt werden. ImJahr 1903 wurde auf Wiecherts Betreiben hin ein geophysikalisches Observatorium auf der Insel Upolu in Samoa gegründet, das bis nach dem 1. Weltkrieg von Göttingen betrieben wurde und das wesentliche Erkenntnisse über das Erdinnere lieferte. Es war der Anfang einer weltweiten Vernetzung der Forschung, die heute Standard ist. Bis zu seinem Tod 1928 lehrte und forschte Emil Wiechert in Göttingen.
Im Jahr 1922 war Wiechert Mitbegründer und erster Präsident der heutigen Deutschen Geophysikalischen Gesellschaft, die eine ihrer höchsten Auszeichnung nach ihm benannt hat. Auch ein Krater auf der Rückseite des Mondes trägt sein 1970 seinen Namen. Die Bundespost veröffentlichte 2010 eine Sondermarke aus Anlaß seines 150. Geburtstags.