Bolschije Bereschki – Alt Lappienen/Rauterskirch
Der Ort Alt Lappienen wurde am 16. 7. 1938 in Rauterskirch umbenannt, der auf dem gegenüberliegenden Ufer der Gilge bestehende Ort Neu Lappienen in Rautersdorf umgetauft.
Alt Lappienen liegt an der Gilge, dem einst viel befahrenen Schiffsweg zwischen Königsberg und Tilsit an der Memel. Die Gilge war ein Mündungsarm der Memel, der zu einer komfortablen Schiffstrasse ausgebaut worden war und von Schleppzügen, Touren- und Eildampfern zwischen Königsberg und Tilsit vielfach benutzt wurde. Die natürlichen Flussläufe wurden dabei durch ein Kanalsystem ergänzt, das kürzere und gefahrlosere Schiffs-Transportwege als über Haff und Ostsee erlaubte.
Die Lage an der Gilge war zunächst ein Garant für einen lebhaft beschickten Wochenmarkt, der immer samstags statt fand und zu dem die Bauern ihre Erzeugnisse per Boot anlandeten. Als jedoch um 1885 der Große Haffdeich gebaut wurde, konnten die Leute aus den Haffdörfern den Markt in Alt Lappienen nicht mehr mit dem Boot erreichen und das Marktgeschehen verlagerte sich nach Seckenburg. Als Erfolg des großen Deichs blühte dagegen die Ackerwirtschaft auf und bescherte der ganzen Niederung einen wachsenden Wohlstand.
Schon die Wikinger waren mit ihren Drachenbooten auf den Wasserwegen der Elchniederung unterwegs. Den Beweis dafür fand man 1922 bei Deichbauarbeiten auf dem Acker des Bauern Gustav Duschneit bei Schaugsten/Altengilge, in Richtung Kurisches Haff. Dort stieß man auf ein solches Drachenboot, 25 Meter lang, 6 Meter breit. Leider wurde es nicht konserviert, aber der untere Teil des Bootes ruht wohl noch 3 Meter unter der Ackeroberfläche.
1613 – 1616 legte man bereits einen mehrere Kilometer langen Kanal von Alt Lappienen/Rauterskirch bis nach Sköpen (heute Mostovoe) an. Das war die Neue Gilge.
Philipp de la Chièze, Herr auf Rautersburg, hatte sich gegenüber dem Kurfürsten verpflichtet, eine Kanalverbindung zwischen der Gilge (heute Matrosowka) und der Deime (heute Dejma) zu erkunden und die Gegend um Alt Lappienen trocken zu legen. Das war der Anlass, den Bau eines Kanalsystems in Angriff zu nehmen. Nach dem frühzeitigen Tod ihres Mannes 1673 führte die resolute Gattin Katharina de la Chièze die begonnenen Arbeiten am 6 Kilometer langen Kleinen Friedrichsgraben (heute Nemomienskij-Kanal), einem ersten Teilstück des Kanalsystems bis zur Nemonien/Wiepe fort. Die Fertigstellung des Kanals dauerte 8 Jahre. Der Aushub wurde zum Bau von Fluß- und Kanaldeichen verwendet, was die Landwirtschaft schützte und damit sehr förderte. Heute ist der nördliche Teil des Kanals bei Seckenburg durch einen Erddamm abgeschottet.
An den Kleinen Friedrichsgraben schloss sich 1689 – 1697 unter Leitung derselben Gräfin, inzwischen Katharina Truchseß zu Waldburg, der 19 Kilometer lange Große Friedrichsgraben (heute Polesskij Kanal) an, der parallel zur Küstenlinie des Kurischen Haffs zwischen den Flüssen Nemonien/Wiepe und Deime verlief. Der gesamte Friedrichsgraben belebte ganz erheblich den Handel zwischen Königsberg und Russland sowie Polen. Die Bauherrin erhielt zwar das Recht zugesprochen, Kanalgebühren zu erheben, doch schon 1710 ging das Eigentum an den Staat über. 1880 – 1883 wurde der Kanal verbreitert.
Die Umgebung ist durch Wiesenlandschaften und Wälder geprägt. Der Friedrichsgraben hat nicht nur die Infrastruktur verbessert, sondern auch die bis dahin weltabgeschiedene Gegend erschlossen. Den abgelegenen Äckern der Niederung und dem Großen Moosbruch eröffnete sich jetzt die Möglichkeit, das nunmehr dort angebaute Gemüse und die Kartoffeln auf dem Märkten in Königsberg zu verkaufen. Die Kultivierung des Bodens hatte einen moderaten Wohlstand zur Folge. Aber auch für Reisende war die Fahrt auf einem Dampfer entlang des mit vielen Gehöften bebauten Uferstreifens und der fetten Wiesen und Weiden mit erlebnisreichen Landschaftseindrücken verbunden.[5]
Eine weitere Verbesserung der Schiffsroute erfolgte erst 1833 durch Eröffnung des Seckenburger Kanals (heute Primorskij Kanal) zwischen der Gilge bei Marienbruch und der Nemonien/Wiepe bei Nemonien/Elchwerder, der nur 5 Kilometer lang war und schnurgerade verläuft.
Katharina de la Chièze ließ nach den Plänen ihres verstorbenen Mannes die achteckige Pfarrkirche in Alt Lappienen errichten. Die Kirche wurde zwischen 1675 und 1703 gebaut. Vorbild war die Mare Kerk in Leiden, Holland, nach einer anderen Quelle die byzantinische Kirche in Ravenna.
In einem östlichen Anbau fand ein Grabgewölbe Platz, in dem die Herrschaft Rautenburg von Philipp de la Chièze bis zum Jahr 1928 ihre letzte Ruhe fand. Dann wurde dieser Raum für die Kirchenheizung benötigt und die Särge wurden auf dem Friedhof neben der Kirche beigesetzt. Über dem Grabgewölbe im Ostgiebel der Kirche war eine Sandsteinskulptur angebracht, die einen Ritter mit seiner Familie darstellte. Dieses Bild war weithin gerühmt worden und soll aus Kurland herangeschafft worden sein.
Frau Ute Brand-Berg schreibt dazu ergänzend: „Die Kirche wurde 1675 fertig gestellt und für Gottesdienste genutzt. Wahrscheinlich verfiel sie im Laufe der Jahre. Katharina Rauter (von Chièze, Reichsgräfin von Waldburg) ließ die Kirche dann um 1700 (nach Fertigstellung des Großen Friedrichsgrabens) restaurieren und durch zwei Anbauten (Eingangshalle und Grablege) vergrößern. 1701 erhielt die Kirche eine barocke Orgel (Firma Mosengel aus Königsberg) und eine barocke Inneneinrichtung (Altarkanzel).“ Die Kirche in Rauterskirch wird für die kunstgeschichtlich bedeutendste Kirche des Kreises Elchniederung gehalten.[1] Eine kleiner dimensionierte vergleichbare Ausführung der Kirche in Rauterskirch gab es in Inse und in Sköpen.
Prof. Günter Hertel aus Dresden bemüht sich darum, die Kirche von Rauterskirch zu sichern.[2]
In der Nacht vom 3. auf den 4. April 1786 brach in Kamyschino – Norwischeiten/’Schwanensee der Deich und überschwemmt auch das Land bei Alt Lappienen. Die Kirche wurde teils erheblich unterspült, viele Gräber des Kirchhofs freigelegt. Die Lebensmittelvorräte wurden vernichtet, beim Futter herrschte in der Folge großer Mangel.[3]
Als 1807 französische Truppen in Begleitung von Raubgesindel die Gegend von Rauterskirch durchzogen, wurde in Pfarrhaus und Kirche eingebrochen und die reichlich vorhandenen silbernen Kirchengeräte gestohlen[4].
Noch 1938 erhielt Rauterskirch einen Schulneubau mit 5 Klassenräumen, Lehrküche und Aula. Zum Deich hin waren es 150 Meter und dazwischen lag der Sportplatz.
Als Vorbereitung für den Rußlandfeldzug erhielt Alt Lappienen eine Brücke über die Gilge. Zusätzlich dazu entstanden noch im Dezember 1944 zwei neue Brücken für Panzer und Eisenbahnen, doch es war zu spät. Man brauchte sie nicht mehr.
Den Krieg überstand die Kirche zunächst unbeschädigt. Dann diente sie als Getreidelager und verkam dank mangelnder Wartung. 1975 schlug der Blitz ein und die Kirche brannte bis auf die Umfassungsmauern aus. Seit 1996 bemühte man sich, die Reste der Kirche zu erhalten. Auf Initiative der Heimatkreisgemeinschaft Elchniederung wurde die Kirche 2004 unter Mithilfe vieler Freiwilliger vor Ort und aus der Ferne von Schutt befreit und es wurden notwendige restaurative Maßnahmen ergriffen. Im Jahr 2005 konnte erstmals seit dem Krieg ein Gottesdienst im Innern des – noch dachlosen – Kirchenschiffs abgehalten werden.
[1] Der Kreis Elchniederung gestern und heute, herausgeg. 2006, S. 71
[2] In Ruth Geede, Ostpreußische Familie, Oprbl. Nr. 40/2010 (9. Okt.), S. 14
[3] Der Kreis Elchniederung gestern und heute, herausgeg. 2006, S. 72
[4] Der Kreis Elchniederung gestern und heute, herausgeg. 2006, S. 72
[5] Helmut Krautien, Hindenburg am Großen Friedrichsgraben, von tohus Juni 2015, S. 42 f