Mit dem Deutschen Orden hielt die höher entwickelte westeuropäische Zivilisation und mit ihr deren Kultur ihren Einzug. Der Ordensstaat verfügte über eine straffe Verwaltung, es gab eine einheitliche Regelung von Maßen und Gewichten und eine einheitliche Rechtsprechung und das Land glänzte durch wirtschaftliche und kulturelle Höchstleistungen wie sonst kaum ein Staat im damaligen Abendland.
Im Land der Prußen vollzog sich jetzt der Übergang von der Tauschwirtschaft zur Geldwirtschaft. Die Neusiedler aus Westeuropa brachten das gerade entwickelte Prinzip der Dreifelderwirtschaft mit, das die Erträge der Zweifelderwirtschaft deutlich überstieg, zumal in Verbindung mit einer Fruchtwechselfolge. Der bei den Prußen übliche hölzerne Hakenpflug wurde von der eisernen Pflugschar abgelöst, die eine wesentlich intensivere Bodenbearbeitung zuließ. Wälder wurden gerodet, Sümpfe trocken gelegt, Ödland urbar gemacht und eine beispielhafte Infrastruktur systematisch aufgebaut. Der Obstbau wurde eingeführt und zu großer Blüte gebracht. Eine der fundamentalsten Neuerungen war die Einführung der Schrift, die bei den Prußen unbekannt war, weswegen es auch vielfach an Überlieferungen dieses Volkes mangelt.
Es kam zur Gründung von Städten, die es bei den Prußen nicht gab. Diese boten, soweit Stadtmauern vorhanden waren, Schutz vor gewalttätigen Übergriffen, boten Rechtssicherheit in einem eigenen, in Handfesten dokumentierten Rechtssystem, förderten mit dem Handel die überregionale Kommunikation und den Gedankenaustausch. Sie förderten die Entwicklung des Handwerks, die arbeitsteilige Herstellung von Gütern, boten eine Basis für genossenschaftliche Organisationen und gaben der kulturellen Entwicklung neue Dimensionen. Die Städte waren aber auch Marktort für das Umland.
Eine Meisterleistung des Ordens war die Kulmer Handfeste. Dieses Stadtrecht war, obwohl orientiert an magdeburgischen und lübischen Vorlagen, eine eigenständige, auf die Entwicklung des zu erobernden und zu kolonisierenden Landes zugeschnittene Rechtskonstruktion, die für Rechtseinheit im gesamten späteren Ordensgebiet sorgte. Nur ganz wenige Städte an der Ostseeküste erhielten stattdessen das lübische Recht wie z. B. Elbing und Memel. Der kulmische Kodex war bereits fertig ausgearbeitet, bevor 1233 die Stadt Kulm gegründet wurde. Weiterhin ist bedeutsam, dass die das kulmische Recht verbriefenden Handfesten – nicht nur für Städte, sondern auch für Dörfer und Rittergüter – in schriftlicher Form vorlagen, und zwar so konsequent, wie es in der damaligen Zeit durchaus unüblich war.
Man zählte an die 100 Stadtgründungen und 1.000 Dorfgründungen durch den Deutschen Orden. Dazu an die 120 Burgen der Ritterbrüder, Bischöfe und Kapitelherren.
Die in ihrem Stil der Gotik zuzurechnenden Burgen wurden architektonisch eigenständig gestaltet, ließen aber auch den ungeheuren Reichtum des Ordens erkennen. Sie waren luxuriös ausgestattet, verfügten über separate Toilettenanlagen und über Fußbodenheizungen, die in westlichen Ritterburgen völlig unbekannt waren: sämtliche Räume des Hauptflügels der Burg besaßen einzeln regulierbare Warmluftheizungen. Anders als in Westeuropa gehörten alle Burgen dem Ordensstaat, unterstanden also seiner vollständigen Kontrolle und waren Teil der zentral gesteuerten Staatsmacht. Sie waren Wehranlage, Kloster, Wirtschaftszentrum, Verwaltungszentrum und Residenz des Vertreters der Staatsgewalt, sie waren Garnisonsstandort, Versorgungsstützpunkt der im Feld kämpfenden Streitmächte, Zufluchtsort und Ausgangspunkt für die Kolonisierung des Landes. Die Burgen machten den Orden ganz besonders schlagkräftig und durchsetzungsfähig.[1]
Zur Verbesserung der Infrastruktur gehörten neben der Anlage von Straßen und Wegen letztlich auch Gasthäuser, die die Prußen nicht kannten und den zunehmend umherreisenden Handwerkern, Wanderkünstlern, Minnesängern, Gauklern und Vaganten als Herberge dienten. Für die Pilger gab es jetzt Pilgerhospitäler.
Wenn man sich diese geballten Leistungen vor Augen führt, wird das insbesondere im 19. Jh. entwickelte Klischee des moralisch verkommenen, egoistischen und vornehmlich gewalttätigen Ordensritters zum Zerrbild. Die Schilderungen der Ordensritter bei Sienkiewicz in seinem viel gelesenen Roman „Kreuzritter“ haben solche Klischees auch noch salonfähig gemacht. In Polen distanziert man sich zunehmend von den Verteufelungen des Ordens in der Diktion von Sienkiewicz. So wurde am 13. 8. 2013 in Dzialdowo – Soldau ein interaktives Museum eröffnet, in dem man die Geschichte des Deutschen Ordens auf wissenschaftlicher Basis möglichst objektiv darstellt. Dabei wird dessen zivilisatorische Leistung und die Kultivierung des Landes Preußen besonders gewürdigt und den lange gepflegten negativen Mythen entgegen getreten.[2]
Die Leistungen des Ordensstaates waren nur möglich auf der Basis einer gut funktionierenden Verwaltung. Deren zentrale Amtsräume befanden sich unterhalb von Sommer-und Winterremter und umfassten nur wenige Räume und, dem entsprechend, eine überschaubare Anzahl von Amtspersonen.
Ganz unzulässig, ja geradezu unhistorisch und absurd ist aber die Andockung der Ordensritter an den Nationalsozialismus. In den jeweils zeitgenössischen politischen Auseinandersetzungen werden zwar geschichtliche Ereignisse und Figuren leicht für aktuelle Fragen instrumentalisiert. Das traf auch den Deutschen Orden. Aber damit sollte Schluss sein.
Es ist auch ein böses Märchen, wenn behauptet wird, die Ritter des deutschen Ordens hätten die Prußen ausgerottet. Herausragende Grausamkeiten kennt man aus der orientalischen Kreuzzugsbewegung. Die mittelalterlichen Kreuzritter führten ihren Eroberungszug ins Heilige Land mit wenig Rücksicht auf moralische Skrupel. So erschlugen sie nach der Erstürmung Jerusalems am 15. Juli 1099 eine große Anzahl der Einwohner, sperrten einen anderen Teil von Muslimen in der Hauptmoschee ein und steckten diese in Brand, rafften danach Gold, Silber, Pferde, Mulis zusammen, plünderten die reich ausgestatteten Häuser, und zogen dann zum Grab Christi, um sich von ihrer Schuld zu befreien. Bei der Eroberung von Akkon 1190 metzelten sie an die 3.000 Einwohner samt Frauen und Kinder nieder. Der Tod der Heiden diente dem Ruhm Christi. Nicht so die Ritter des Deutschen Ordens, die zwar auch mit der Waffe kämpften und im Kampf töteten. Die orientalischen Grausamkeiten der Ritter hatten sich wohl auch im Laufe der Zeit abgemildert. Stattdessen machte der Orden die unterlegenen und bekehrten Prußen weitgehend zu Staatsbürgern seines Landes
[1] Malgorzata Jackiewicz-Garniec/Miroslaw Garniec “Burgen im Deutschordensstaat Preußen”, S. 27 ff
[2] gercyg, Allensteiner Nachrichten, 24. 8. 2013, S. 5