Otradnoje – Kunigehlen/Georgenswalde
Georgenswalde war das jüngste unter den prominenten Seebädern im Samland. Es befindet sich im schönsten Teil der wald- und schluchtenreichen Steilküste. Es gibt einen Seebadestrand im Schutz hoher Dünenhänge.
Die hiesige Gegend war schon in vorgeschichtlicher Zeit besiedelt,wie durch eine Grabanlage mit Hünengrab im einstigen Jagen 75 an der Warnicker Chaussee dokumentiert ist.[9] Der Ort ist auch sonst recht alt, denn bereits am 7. Juli 1629 verlieh Kurfürst Georg Wilhelm seinem Wildnisbereiter Caspar Cawemann hier 5 Hufen und 22 Morgen Land – möglicherweise als Dank des Kurfürsten für die Errettung seines Ritters Georg vor einem Bären, jedenfalls aber für treu geleistete Dienste. 1860 wurde daraus ein selbständiges köllmisches Gut.
Das Gutshaus, auch Waldhäuschen – im Kern von 1618 – war vermutlich eine Jagdhütte des Kurfürsten Georg Wilhelm[1], die später um zwei Seitenflügel ergänzt wurde. In der zweiten Hälfte des 19. Jhs. gehörte das 300 ha große Gut einem Landwirt Arthur Neumann. Der verkaufte 1906 vom östlichen Teil seines Gutes 75 ha an die Landbank Berlin, die hier ein großzügiges Seebad plante, die „Ostseebad und Villenkolonie Georgenswalde”. Sie vereinbarte mit den Behörden die Anlage einer Villenkolonie mit der nötigen Infrastruktur wie Bahnhof, Kurhaus, Wasserturm, Kläranlage. Badeplatz, Friedhof, Wanderwege etc., wobei Auflagen zum Schutze der Steilküste einzuhalten waren: die Häuser mussten mindestens 50 Meter von der Kante entfernt stehen, die Abwässer waren zu sammeln und nur an einer Stelle in die See zu leiten, die Steilküste war aufzuforsten und Bäume durften generell nur in dem Umfang gefällt werden, wie es dem Grundriss des Hauses entsprach. Außerdem wurde die Landbank verpflichtet, zwei Hektar als Schulgelände zur Verfügung zu stellen.[2] Den westlichen Teil des Gutes erwarb 1907 Rudolf Bergau und nach dem 1. Weltkrieg vermutlich Waldemar Rade.[3]
Die Schule des Ortes hat überlebte und dient heute als Wohnhaus.[4] 1913 von der Landbank gebaut und der Schulbehörde übergeben, hatte die Schule zunächst ein Klassenzimmer und eine Lehrerwohnung. Hier wurden 61 Schüler unterrichtet. Mit steigender Einwohnerzahl war die Schule für über 80 Schüler zu klein und wurde 1926 um ein Klassenzimmer und eine Lehrerwohnung erweitert. Hauptlehrer Paul Debler kam 1945 noch rechtzeitig aus Ostpreußen heraus, während Lehrer Gediehn damals in einem Lager in Pr. Eylau umkam. Seine Frau und die beiden Töchter konnten dagegen fliehen.[5]
Oben entlang führte ein etwa 4 km langer Fußweg in östlicher Richtung zur Gausupschlucht. Auf dem Weg dorthin werden schöne Aussichten geboten, darunter am bekanntesten der Aussichtspunkt „Götterblick“, von wo man bis nach Brüsterort schauen kann. Die Gausupschlucht im Osten von Georgenswalde verfügte in ihrem oberen Bereich über eine Fußgängerbrücke von 1905 und an ihrem Fuß über die Badestelle von Georgenswalde, weil hier seit Warnicken der Strand wieder eine erträgliche Breite erreicht.
Weitere Schluchten in Georgenswalde sind die „Blaue Schlucht“ und die beliebte, liebliche “Detroitschlucht“, benannt nach einem Prediger Détroit der französisch-reformierten Gemeinde und Leiter der französischen Schule[6] in Königsberg, der um die Mitte des 19. Jhs. oft im Waldhäuschen gewohnt und diese Schlucht entdeckt und zugänglich gemacht hat. Louis Guillaume Davon Détroit, geboren in Magdeburg, geriet später in Verdacht, nicht glaubensstreng genug zu sein, musste seinen Predigerposten räumen und ging nach Livorno, wo er vermutlich auch gestorben ist. Seinen Namen hinterließ er jedoch dem Samland für den Rest der deutschen Zeit. Früher war auch der „Wolfskessel“ – westlich oberhalb des ehemaligen Kurhauses – ein beliebter Weg zum Strand. Hier existiert noch eine Treppenanlage, die zu einem Bauwerk führt, das es auch zu deutscher Zeit gab und wo Feiern und Veranstaltungen stattfanden.[7]
In der Nähe von Nikolaiken gibt es den Ort Grabek – Neuhof-Grabowken, 1929 – 1945 Neuhof-Buchenhagen. Hier wurde die Künstlerin Marta Szitnick (1875 – ca. 1935) als Tochter eines Apothekers geboren. Sie besuchte die Höhere Mädchenschule in Königsberg, erhielt privaten Kunstunterricht und studierte an der Zeichenakademie in Königsberg. Im Juni 1895 legte sie ihre Prüfung als Zeichenlehrerin ab und ergriff den Lehrberuf. Ab Oktober 1901 gab sie Zeichenunterricht an der Königin-Luise-Schule in Tilsit. Mit 51 Jahren trat sie am 1. 10. 1926 in den Ruhestand und widmete sich ihren künstlerischen Arbeiten und reiste vermutlich viel, denn sie hinterließ eine Reihe von Reiseandenken aus dem Orient und aus Indien. Sie hing einer Art Sonnenkult an, liebte die Meditation und bevorzugte die vegetarische Ernährungsmethode. Ihren Wohnsitz verlegte sie nach Georgenswalde in die einstige Gartenstraße, wo sie das „Haus an der Sonne“ errichten ließ, das 1937 nach ihrem Tod verkauft wurde. Ausstellungen ihrer Bilder im Königsberger Kunstverein sind für die Zeit zwischen 1911 und 1933 dokumentiert. Erst kürzlich, im Mai 2019, wurde ihr Bild „In einem Fischerhaus“ auf einer Kunstauktion in Satow, Mecklenburg-Vorpommern, angeboten.
[1] Albert Zweck, Samland, Pregel- und Frischingstal, S. 22
[2] Hans-Georg Klemm, Schulbezirk Georgenwalde, Unser schönes Samland, Frühling 2010, S. 45
[3] Hans-Georg Klemm in Unser schönes Samland, Sommer 2008, S. 17
[4] Unser schönes Samland, Herbst 2009, S. 33
[5] Hans-Georg Klemm, Schulbezirk Georgenwalde, Unser schönes Samland, Frühling 2010, S. 45
[6] Manthey, Königsberg, S. 471
[7] Hans-Georg Klemm, „750 Jahre Rauschen und andere samländische Orte“, Unser schönes Samland, Frühling 2008, S. 35 ff
8] Hans-Georg Klemm, Unser schönes Samland, Herbst 2016, S. 39
[9] Wilhelm Westerhausen, Ostseebad Georgswalde, Unser schönes Samland, September 1968, S. 22