Šilutė – Heydekrug
1511 verlieh der Komtur Michel von Schwaben dem Georg Talat den neuen “Krugk vf der heide” samt freier Fischerei im Haff. Das ist der Beginn des Kreisortes Heydekrug und deshalb feierte man 1996 sein 485jähriges Bestehen. Auf dem Standort des Krugs baute man 1908 das Hotel Germania, das im letzten Krieg ausbrannte und in sowjetischer Zeit abgerissen wurde.[1] Der Name Heydekrug geht also auf einen alten Krug zurück, von dem Hermann Sudermann dichtete:
Wo ein Krug auf brauner Heide
einst den lieben Namen trug,
stehst du nun im neuen Kleide!
Wachs und blühe, Heydekrug![2]
Ein Enoch Liedert hatte die Witwe vom alten Krug geheiratet. Er durfte 1616 einen weiteren Krug nahe der Kirche bauen. Dieser wurde Unterkrug genannt, während der erste Krug zum Oberkrug wurde. Nachfolger von Liedert war der Schotte Richard Kant, der zur Schwedenzeit nach Preußen gekommen war. Er hatte die Tochter von Liedert geheiratet und dessen beide Krüge sowie einen Krug in Ruß übernommen. Sein Sohn Hans war Riemermeister und ging nach Memel. Er war der Großvater des Philosophen Immanuel Kant.[3]
Heydekrug war einst ein regionales Wirtschaftszentrum. Montag Morgens fand am Bahnhof der Vieh- und Schweinehandel statt, am Dienstag hielten die Gemüsehändler und Fischer ihren Wochenmarkt ab. Außerdem gab es drei Jahrmärkte. Heydekrug war in der ganzen Zeit Marktflecken. Zur Stadt wurde die Gemeinde erst im 2. Weltkrieg.[4]
Aus der 1864 gegründeten Knabenschule ging die Herderschule von Heydekrug hervor. Ab 1918 wurde sie als zehnklassiges Lyzeum und als Realgymnasium geführt. Die Schule erhielt 1930/31 einen repräsentativen Neubau.[5] der gleichzeitig durch Theateraufführungen, Dichterlesungen und Konzerte ein kulturelles Zentrum des Kreises wurde. Außerdem gab es eine Landfrauenschule.
Zur städtischen Ausstattung gehörten eine neue Kirche von 1926, ein Postamt, ein Amtsgericht mit Gefängnis, ein Landratsamt, ein Kreiskrankenhaus und die neue Herderschule.
Im Jahr 1913 wurde das Kirchspiel Heydekrug begründet. Der Bau der dazu gehörenden neogotischen ev. Kirche auf Granitsockel in Nord-Süd-Ausrichtung dauerte jedoch noch bis 1926. Mit Unterstützung des Evangelischen Kirchenrats waren 200.000 Mark gesammelt worden, die eine beachtliche künstlerische Ausgestaltung der Kirche ermöglichte. Der junge Heydekruger Architekt Curt Gutknecht konzipierte einen gelungenen Sakralbau, der Königsberger Professor Dr.Richard Pfeiffer (1878-1962) schuf die großen Fresken im Innern. Den Mittelpunkt im Altarraum bildet ein großes Kruzifix, das von Fresken auf einer Fläche von 80 m² umrahmt wird.[6] Die Chorausmalung zeigt das ganze Menschengeschlecht bei der Anbetung des Lammes, von Adam und Eva über die Patriarchen und Apostel, die Kirchenväter und Reformatoren bis zu damals noch lebenden Förderern der Gemeinde wie z. B. Hugo Scheu[7] Um die Weltsphären herum sind 120 überlebensgroße Figuren abgebildet, davon 80 Porträts, darunter die Reformatoren, Paul Gerhardt, Lucas Cranach, Albrecht Dürer, Johann Sebastian Bach, Georg Friedrich Händel, August Hermann Francke, Nikolaus Ludwig von Zinzendorf, Friedrich von Bodelschwingh, Matthias Claudius, Amalie Sieveking und viele andere.[8] Der Ökonomierat Dr. Hugo Scheu, Besitzer des Gutes in Heydekrug und Mäzen, stiftete den Bauplatz für die Kirche und das Pfarrhaus. Er ist auf dem großen Altarbild auf der rechten Seite abgebildet und hält dort das Modell des Gotteshauses in der Hand. 1999 begann ein umfangreiches Restaurierungsprogramm, das von der Kirchengemeinde, dem litauischen Amt für Denkmalschutz und der Nordelbischen Kirche finanziert wurde.
Die Decke des Kirchenschiffs besteht aus einem Tonnengewölbe, das auf acht Säulen ruht, mit denen auch die Emporen verbunden sind. Altar und Kanzel sind aus Ebenholz.
Das Pfarrhaus entstand von 1913 – 1915. Die katholische Kirche im Ortsteil Szibben ist ein neoromanischer Backsteinbau von 1903, der noch heute existiert.
Hugo Scheu (1845-1937) besuchte die Bürgerschule und studierte später in Berlin Landwirtschaft. Danach lernte er die Landwirtschaft praktisch auf verschiedenen memelländischen Gütern kennen. Dabei erlernte er die litauische Sprache und begann, örtliche Märchen, Sagen und Lieder zu sammeln. Später trat er in Verbindung mit Adalbert Bezzenberger und Alexander Kurschat. Er gehörte zu den Gründern und Mitarbeitern der Litauischen Literarischen Gesellschaft in Tilsit und gab bereits 1912/13 mit Alexander Kurschat Tierfabeln heraus.
Auch politisch nahm Scheu an der Entwicklung seiner memelländischen Heimat regen Anteil. Zunächst Kreistagsabgeordneter, wurde er 1907 Departementslandschaftsdirektor für Tilsit und 1921, nach dem mißglückten Putschversuch von Wolfgang Kapps dessen Nachfolger als Generallandschaftsdirektor Er hat die Landwirtschaft Ostpreußens durch die schwere Zeit der Inflation hindurchgesteuert. Die Universität Königsberg ehrte ihn 1922 durch seine Ernennung zum Ehrendoktor. Im Jahre 1889 hatte Scheu ein 6000 Morgen großes Gut bei Heydekrug gekauft. 1925 kehrte Scheu in seine memelländische Heimat und auf seine Scholle zurück und verwaltete dort unter schwierigen Umständen (die litauische Regierung hatte über das Memelland das Kriegsrecht verhängt) 1926 und 1928/29 vertretungsweise das Landratsamt in Heydekrug. Er galt als zurückhaltend und war allgemein geachtet. Eng befreundet war er mit Hermann Sudermann. Der wohnte bei ihm, wenn er Heydekrug besuchte, und schnappte hier manche Anekdote auf, die er z. B. in seine Litauischen Geschichten einbrachte. Sudermann widmete Scheu seine “Litauischen Geschichten” und hat ihm in der Erzählung “Jons und Erdme” in der Person des Gutsbesitzers verewigt.[9] Der Enkel und Erbe von Adl. Heydekrug, Dr. Werner Scheu, war ebenfalls literarisch tätig und schrieb den Roman “Birute”, in dem er über das Volk der benachbarten Litauer schrieb.[10]
Für den Mäzen und Großgrundbesitzer Hugo Scheu ist am 14. Dezember 1999 ein Denkmal in seiner Heimatstadt eingeweiht worden, das vom Rotary-Club Silute anläßlich seines 10jährigen Bestehens gestiftet wurde. Die von Erikas Daugulis geschaffene Statue zeigt Scheu sitzend, einen Brief schreibend. Hugo Scheu gilt als Vertreter der deutsch-litauischen Annäherung.
Quelle: MD/H4694 Oldenburg, 20.Januar 2002[11]
Im Herrenhaus des Gutes Adlig Heydekrug von 1818 sitzt oder saß nach dem Krieg ein landwirtschaftliches Technikum. Die Fassade des Haupthauses zur Straße hin wurde renoviert. In einem Nebengebäude wurde Räume wieder hergestellt, um dem Museum des Haupthauses Erweiterungsmöglichkeiten zu bieten.
Von Heydekrug aus führte ein schöner Spazierweg entlang der Szieße nach Werden, wo eine alte Kirche steht, die bereits 1566 erstmals urkundliche Erwähnung fand[12]. Unweit davon liegt Matzicken, wo Hermann Sudermann als Sohn eines Braumeisters geboren wurde.[13]
Das Kreiskrankenhaus entstand 1892. Den Bauplatz dafür hatte Hugo Scheu unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Es wurde 1937 erweitert und modernisiert. 1907 wurde die Gasanstalt gebaut.[14]
Im Jahr 1910 wurden die Orte Cynthionischken und Szibben zu Heydekrug eingemeindet, wodurch die Einwohnerzahl auf 3.350 Personen stieg.
Von Heydekrug bis zur Minge zieht sich das Augstumalmoor hin. es ist das umfangreichste Hochmoor im Deltagebiet und noch relativ jung. Seit 1900 bemühte man sich, das Moor systematisch an den Rändern zu besiedeln, stellte den Siedlern dafür Land zrur Verfügung und baute ihnen ein kleines Häuschen. Etwa 100 Kolonisten nahmen das Angebot des Fiskus wahr, waren aber gezwungen, zusätzlich bezahlte Arbeit zu finden oder Brenntorf zu verkaufen. Es entstanden die Dörfer Wabbeln, Groß Augstumal, Klein Augstumal und Neu-Rugeln.[15] Das Moor wurde aber auch wirtschaftlich ausgebeutet, indem man den Torf stach. Die Ostpreußische Torfstreu-AG in Trakseden verarbeitete den Torf zu Ballen und produzierte so 100.000 Zentner im Jahr 1904, was eine Dividende von 20 % ermöglichte. Das Werk soll heute noch arbeiten.[16]
Die Posthalterei war ein einträglicher Geschäftszweig. Diesen betrieb das Gut Adl. Heydekrug. Man machte damit einen Umsatz von etwa 10.000 Talern pro Jahr, bis die Eisenbahn die Beförderung von Personen und Postgütern kostengünstiger übernahm,[17] Der Anschluß an die Eisenbahnlinie Tilsit – Memel erfolgte 1875.
Einst gab es in Heydekrug die 1842 gegründete Käserei, die als älteste Ostpreußens galt.
Der Kreis Heydekrug entstand mit der allgemeinen Kreisreform 1818. 1920 wurde das Memelland von Ostpreußen abgetrennt und 1923 von den Litauern okkupiert. Dabei blieb der Kreis bestehen. Nachdem das Memelland 1939 an Deutschland zurück kam, wurde der Kreis Pogegen aufgelöst. Der nördliche Teil dieses Kreises wurde dem Kreis Heydekrug zugeschlagen.
Am 27. September 1941 erteilte man Heydekrug das Stadtrecht. Am 9. Oktober 1944 eroberte die Rote Armee die Stadt Heydekrug. Das Hotel Germania brannte ab, dagegen blieben die Herderschule, das Landratsamt, das Krankenhaus, das Amtsgericht von 1907 mit Gefängnis (heute Technikerschule), das Postamt, die Kirche und das Pfarrhaus erhalten. Neben der weiter betriebenen Torfstreufabrik entstanden zur Sowjetzeit eine Möbelfabrik und ein Industriebetrieb zur Herstellung von Pumpen. Ins alte Gutshaus zog ein landwirtschaftliches Technikum ein.[18] Im 21. Jh. hat Heydekrug mehr als 20.000 Einwohner.
Im Jubiläumsjahr 1996 wurde eine Nachbildung des Denkmals für Hermann Sudermann neben der evangelischen Kirche aufgestellt und feierlich enthüllt. Es war ursprüngliche 1930 vom Bildhauer Schmidt-Kästner geschaffen worden, ging nach 1945 verloren und wurde 1995/96 von dem Berliner Bildhauer Harald Haacke aus bayerischem Marmor unter Benutzung alter Plänen nachgebildet. Bei der Enthüllung war auch die Enkelin Sudermanns anwesend, die heute auf Gran Canaria lebt.[19]
In Heydekrug wurde am 19. 5. 1942 Doris Treitz geboren, die später als die Sängerin Alexandra in der Bundesrepublik Karriere machte. Nach der Flucht aus Ostpreußen 1945 ließ sich die Familie in Kiel nieder. Ausbildung in Hamburg. Ballettstunden, abgebrochenes Grafikstudium, Klavier- und Theaterunterricht. 1960 heiratete sie einen 30 Jahre älteren Russen, mit dem sie einen Sohn hatte. 1962 Teilnahme an der Wahl zur Miß Germany. Zimmermädchen. 1966 Endeckung ihres Talents durch den Plattenproduzenten Fred Weyrich und ihre Karriere begann. Erster Life-Auftritt in Husum 1966.[20] Sie beherrschte neben dem Deutschen das Englische, Russische, Französische, Spanische, Hebräische, und ihre Stimme hatte einen besonderen samtig-tiefen Klang. Am 31. 7. 1969 verunglückte sie in der Nähe von Heide, Schleswig-Holstein, auf dem Weg zu einem Sommerurlaub auf Sylt durch einen vermutlich selbst verschuldeten Unfall, als sie ungebremst in einen Sattelschlepper fuhr oder, vielleicht richtiger, von rechts von einem schweren Lastwagen mit Anhänger gerammt wurde.[21].
Weitere Details, viele Bilder und Landkarten findet man unter http://wiki-de.genealogy.net/Heydekrug
[1] Heinrich A. Kurschat, Das Buch vom Memelland, 2. Aufl. 1990, S. 366
[2] zitiert von Heinrich A. Kurschat, Das Buch vom Memelland, 2. Aufl. 1990, S. 113
[3] Heinrich A. Kurschat, Das Buch vom Memelland, 2. Aufl. 1990, S. 371
[4] Heinrich A. Kurschat, Das Buch vom Memelland, 2. Aufl. 1990, S. 380
[5] Heinrich A. Kurschat, Das Buch vom Memelland, 2. Aufl. 1990, S. 488
[6] Heinrich A. Kurschat, Das Buch vom Memelland, 2. Aufl. 1990, S. 401 f
[7] Heinrich A. Kurschat, Das Buch vom Memelland, 2. Aufl. 1990, S. S. 114
8] Prospekt der ev. Gemeinde Silute, Sommer 2003
[9] Walter Mogk, Opr-Forum-Kultur, 28.2.00 entnommen aus dem Oprbl
[10] Heinrich A. Kurschat, Das Buch vom Memelland, 2. Aufl. 1990, S 493
[11] Bunduls, Opr-forum, 25.1.02
[12] Richard Meyer, Heimatkunde des Memelgebietes, Memel 1922, S. 95
[13] Richard Meyer, Heimatkunde des Memelgebietes, Memel 1922, S. 82
[14] Heinrich A. Kurschat, Das Buch vom Memelland, 2. Aufl. 1990, S. 397
[15] Heinrich A. Kurschat, Das Buch vom Memelland, 2. Aufl. 1990, S. 83
[16] Heinrich A. Kurschat, Das Buch vom Memelland, 2. Aufl. 1990, S. 395
[17] Heinrich A. Kurschat, Das Buch vom Memelland, 2. Aufl. 1990, S. 381
[18] Heinrich A. Kurschat, Das Buch vom Memelland, 2. Aufl. 1990, S. 405
[19] K. Gogolka / M.M., Oprbl. Nr. 27/1996
[20] Michaela Wagner, Das Rätsel bleibt ungelöst, Oprbl. Nr. 3/ 2000, S. 10
[21] MichaelHZwengel@t-online.de – 5. 4. 2017