Kapitelsaal und Marienkapelle im Nordflügel des Hochschlosses

Das Hauptgeschoss des Nordflügels beherbergt die Marienkapelle und den Kapitelsaal. Im Obergeschoss darüber befand sich einer der Schlafsäle für die Ordensbrüder (Dormitorien). Außen zeigen sich beim Nordflügel genauso wie beim Südflügel zu beiden Seiten Ziergiebel.

Die im östlichen Abschnitt des Nordflügels gelegene Kirche, die Kapelle der Heiligsten Jungfrau Maria, ausgebaut 1331 – 1344, wurde im 2. Weltkrieg gründlich zerstört. Polnische Restauratoren stellten sie mit großem Aufwand in ihrer äußeren ursprünglichen architektonischen Ausprägung aus dem 14. Jh. wieder her. Sie ließen neben der stark mitgenommenen Empore für Sänger und Musikanten, die in der Westwand eingebaut ist, die Reste des feinen Maßwerks der Galerie stehen. Dieser Emporen-Balkon, der vorn auf zwei grauen Marmorsäulen ruht; gehört zur ersten Bauzeit, denn seine Seitenmauern schließen sich zwischen zwei Arkaden organisch an die Mauer an. Die Idee dieses Gebildes erinnert an die italienischen Kanzeln, wenn auch die Konstruktion der Brüstung eine andere ist. Unter dem Vorbau, der von einem Kreuzgewölbe überdeckt ist, befindet sich die Tür zu einer kleinen, dunklen Zelle; man vermutet hier das hl. Grab für die Karwoche. Über dieser Tür befindet sich auf einem Kragstein ein Tonbildwerk, der thronende Christus.

Die im 19. Jh. installierten neuen Glasfenster der Kapelle wurden weitgehend gerettet und werden vom Warschauer Nationalmuseum aufbewahrt. In der Süd- und Nordwand des Chores bzw. den Chorschrägen befinden sich 4 Sakristeien. Vom Gestühl haben sich Fragmente von 43 Sitzen der Ordensbrüder erhalten. Sie stehen an der Südwand und an der Westwand.

Der Christuskörper aus der Thriumphkreuzgruppe (1340 – 1344) blieb teilweise erhalten und wird im Museum zur Schau gestellt. Einige der einst zwanzig lebensgroßen Steinfiguren von Aposteln und biblischen Gestalten haben sich, samt Konsolen und Baldachinen, erhalten. Ein Apostelkopf konnte vom Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg erworben werden. Weitere Fragmente des Baudekors und der skulpturalen Ausstattung sind, zum Teil bereits konserviert, im Ostflügel ausgestellt. Allen Restaurierungsbemühungen zum Trotz sind die kahlen Wände nur noch spärlich mit Resten von Putz und Wandmalereien bedeckt. Bis zum Sommer 2000 war die Kirche verschlossen. Seitdem zeigt dort eine bauarchäologische Ausstellung, welch spärliche Reste der Ausstattung noch sichtbar sind.

Über die Zukunft dieses Kirchenraums sollen nun die Direktion der Marienburg und polnische Konservatoren nach Beratungen mit einem internationalen wissenschaftlichen Beirat entscheiden. Für das künftige denkmalpflegerische Vorgehen stehen mehrere Varianten zur Debatte. Eine sieht die totale Rekonstruktion vor, eine andere beschränkt sich auf die Wiederherstellung des Gewölbes und die Anbringung aller erhaltenen Fragmente an ihrem ursprünglichen Ort. Die dritte Variante möchte den heutigen teilzerstörten Zustand konservieren und manches spricht dafür, dass man sich auf einen solchen zukünftigen Status einigt.

Beachtlich ist der Eingang zur Kirche, die “Goldene Pforte“, die noch aus der ersten Bauzeit von 1280 stammt. Sie besteht aus einer Staffelung von Bögen, die sich auf schlanke Säulen aus Haustein stützen, und zeigt einen reichhaltigen Ornamenten- und Figurenschmuck, der aus Ton geschnitten und dann gebrannt worden war. Mit den Figuren wurden Themen dargestellt, dazu gedacht, den Herrscher, hier also den Hochmeister, in der Kirche zu empfangen. Zwischen dem Laubwerk der Kapitelle sind Fabelwesen versteckt. Über den Kapitellen links und rechts stehen je fünf Figuren der klugen und der törichten Jungfrauen. Zwischen den Hohlkehlen der Bögen wachsen Weinranken und Mohn empor. In der innersten Kehle sind die symbolischen Gestalten der überwundenen Synagoge mit Augenbinde und gebrochenem Fahnenstab sowie der siegreichen Kirche angebracht. Die Figuren der klugen und törichten Jungfrauen haben Vorbilder in den Domen von Magdeburg und Erfurt, die der siegreichen Kirche und der besiegten Synagoge im Dom von Straßburg und dem Münster von Freiburg. Man sieht hier deutlich, dass die künstlerische Gestaltung der Marienburg aus den verschiedensten Quellen gespeist wird.

Die farbige Ausmalung empfanden die Zeitgenossen damals als golden, daher der Name. Da die Pforte in eine 3 m dicke Mauer eingepasst ist, hat sie die Kämpfe um die Burg relativ glimpflich überstanden. Die Tür der Pforte besteht aus Eichenbohlen und entstand um 1344.

An der Außenfront des weit aus der Bauflucht hervorragenden Ostchores der Kirche stand in einer Nische eine 8 m hohe Madonna mit Christusfigur im Arm. Sie war um 1340 von einem vermutlich südländischen Künstler aus einer Stuckmasse modelliert und etwa 1380 von extra aus Norditalien herbei gerufenen Künstlern mit etwa 300.000 Glasmosaiken überzogen worden, die im Morgenlicht fast überirdisch funkeln. Die Legende berichtet, dass einst ein Kanonier geblendet wurde, als er auf die Statue zielte und daher das Rohr seiner Kanone beim Abfeuern barst.

Um 1900 noch einmal gründlich restauriert, war die Madonna im 2. Weltkrieg den Kämpfern schutzlos preisgegeben und zerfiel gleich nach anfänglichem Beschuss in tausend Stücke. Ihre rechte Hand liegt im Museum. Es war ursprünglich vorgesehen,  die Figur bis 2005 zu rekonstruieren. 2007 gründete man die Stiftung “Mater Dei”, deren Ziel die äußerlich originalgetreue Wiedererrichtung der Madonna war. Hilfreich für die Rekonstruktion waren die Fotografien, die man 1903 während der Restaurierungsmaßnahmen angefertigt hatte. Zur Finanzierung wurden auch EU-Fördermittel in Anspruch genommen.

Das Werk wurde bis 2016 von polnischen Restauratoren vollendet. Die acht Meter hohe Skulptur steht seit Kurzem wieder in ihrer Nische. Bei der Rekonstruktion nutzten die Spezialisten etwa 60 Prozent Originalteile, die nach 1945 in den Trümmern der zerstörten Anlage gefunden wurden. Die bunten Glaselemente wurden dazu in Venedig hergestellt, die mit Gold versehenen Mosaikplättchen stammen aus dem nahe gelegenen Danzig.  Im Zuge dieser Wiederherstellung wurde auch das Gewölbe der Kirche in alter Form wiedergewonnen.[1]

Der westlich an die Marienkapelle angrenzende Kapitelsaal, entstand um 1320 und wird durch 3 achteckige Granitsäulen, die aus einem Stein gehauen sind, gestützt, die den Raum in 2 Schiffe einteilen. Das aufwendige Dreistrahlgewölbe verwirklichte man hier erstmals in einem so großen Maßstab.

Im Kapitelsaal fanden die Beratungen der Ritterbrüder statt und wurden die obersten Ordensrepräsentanten, der Hochmeister und die Großgebietiger, gewählt. Jedes Jahr am 14. September fand hier die Sitzung des Großen Ordenskapitels statt. Eine Sitzbank mit Holztäfelung umzog die Wände des Raums. Der Hochmeister saß auf einem Stuhl auf der Ostseite. Das auffallend schmale Portal zu diesem Versammlungssaal wurde nach 1882 zum Teil rekonstruiert.

[1] Thomas W. Wyrwoll, Wahrzeichen wiederhergestellt, PAZ Nr. 20/2016 (20. Mai), S. 2