Koadjuthen

Katyciai – Coadjuthen/Koadjuthen

Dort, wo das Flüßchen Sziesze aus seinem litauischen Quellgebiet kommend die einstige litauisch-deutsche Grenze überquert, liegt nur ca. 3km von dieser Grenze entfernt Koadjuthen, das bis Ende des 18. Jh. ausschließlich “C” also Coadjuthen geschrieben wurde. “An der Sziesze blauen Fluten liegt das schöne Coadjuthen” (Viktor Kittel). Es war ein freundlicher Kirch- und Marktort, der beinahe städtischen Charakter trug: die Häuser waren massiv, ein großer Marktplatz war vorhanden und der Ort besaß ein Postamt, einen Arzt, eine Apotheke, zwei Drogerien, zwei Bäckereien, eine Fleischerei sowie 13 Kaufläden mit Gastwirtschaften und Filialen der Kreissparkasse und der Raiffeisenkasse. Im Gegensatz zu dem weiter südlich gelegenen Grenzort Laugßargen hatte Coadjuthen keinen Bahnanschluß. Doch 14 km südlich lag die Bahnstation Stonischken an der Strecke Tilsit – Memel, wohin es eine Busverbindung gab.[1]Die Kirchengemeinde Coadjuthen an der Sziesze wurde 1568 gegründet. Die erste Kirche, eine Fachwerkkirche, nebst Pfarrhaus wurde 1574 unter Herzog Albrecht Friedrich erbaut. 1656 wurde diese Kirche während des schwedisch-polnischen Krieges durch einfallende katholische Schameiten zerstört, die Fenster zerhauen, die Glocke geraubt. 1678 plünderten Schameiten aus Litauen die Kirche zum zweiten Mal. 1685 erhielt die Kirche einen Turm. Die Kirchengemeinde Coadjuthen an der Sziesze wurde 1568 gegründet. Die erste Kirche, eine Fachwerkkirche, nebst Pfarrhaus wurde 1574 unter Herzog Albrecht Friedrich erbaut. 1656 wurde diese Kirche während des schwedisch-polnischen Krieges durch einfallende katholische Schameiten zerstört, die Fenster zerhauen, die Glocke geraubt. 1678 plünderten Schameiten aus Litauen die Kirche zum zweiten Mal. 1685 erhielt die Kirche einen Turm. Gepredigt wurde hier wie überall in “Preußisch-Litthauen” deutsch und litauisch.

Das jetzige Gotteshaus, massiv aus Feldsteinen und Ziegeln, konnte am 1. 4. 1734 eingeweiht werden und wurde wohl 1772 und 1801 erneuert.[2]. Es war ein massiver Bau aus verputzten Feldsteinen und Ziegeln mit einem vorgelegten hölzernen Turm im Westen, in dem sich zwei Glocken befanden.

Der Innenraum hat eine Kassettendecke und umlaufende Emporen. Der Kanzelaltar von 1826 wies klassizistische Formen auf. Wegen des Baues einer Orgel wurde 1756 der Königsberger Hoforgelmeister Adam Gottlob Casparini befragt, dessen eigenhändig unterzeichneter Kontrakt, das Werk innerhalb eines Jahres abzuliefern, erhalten ist. Ob diese Orgel zur Ausführung gelangte, ist nicht bekannt. Die letzte Orgel war ein späterer Bau. Zu Weihnachten 2013 erklang eine neue Orgel, die im Anfang des 20. Jhs. vom Orgelbauer Faust aus Barmen gebaut und die von jemandem aus Hagen/Westfalen gespendet wurde. Sie war bereits im Oktober zuvor vom Orgelbauer Jörg Naß eingebaut und bespielbar gemacht worden.[11]

Der Gemeinde und der Kirche stand im 20. Jh. ein wechselvolles Schicksal bevor. 1944 wurde die Orgel zerstört, sämtliche Dokumente vernichtet, aber es wurde noch in sowjetische Zeit ein Gottesdienst abgehalten. 1955 wurde die Kirche geschlossen und zum Kinosaal umfunktioniert, der aber von den Einwohnern nicht angenommen wurde. Der Turm wurde abgerissen und die Glocken, von großem historischen Wert, zertrümmert. Aufgrund geharnischter Proteste von evangelischen Litauern erhielt die Gemeinde die Kirche Ende der 50er Jahre zurück. Aber sie war nicht in der Lage, den der Kirche zugefügten Schaden zu beheben, und so war sie dem Verfall preisgegeben. Erst 1991 konnte an eine Restaurierung gedacht werden. Der Spendenaufruf an die in Deutschland lebenden Coadjuther führte zu einem guten Ergebnis: 10.000 DM kamen zusammen, gespendet von der deutschen Coadjuthen-Gruppe, von evangelischen Litauern, die auch ihre Arbeitskraft einbrachten, sowie der Nordelbischen Kirche! Inzwischen stand die Kirche unter Denkmalschutz und so wurden die Außenarbeiten vom litauischen Staat und vom litauischen Amt für Denkmalschutz finanziert Das Dach mußte neu gedeckt werden, der Turm und die Fenster erneuert, die Wände vom Schwamm gesäubert, der Fußboden gefliest werden usw. usf. Für die Innenausstattung wurden Spenden aus Litauen und dem Westen verwendet. Zu erwähnen ist noch eine Geldzuwendung des Lutherischen Weltbundes. Am 28. Mai 1994 war das Ziel erreicht und die Kirche konnte bei schönstem Wetter wieder geweiht werden.

Zur Einweihung waren mehr als 1.000 Menschen von nah und fern gekommen. Elf Pfarrer haben an der Feier teilgenommen, davon zwei aus Deutschland. Die Gäste aus dem Kirchenkreis Lippe und aus Thüringen schenkten der Kirche das Abendmahlgeschirr und Blasinstrumente für den Posaunenchor. Von den anwesenden ehemaligen Coadjuthern wurden der Gemeinde ein Gästebuch und der Rest des gespendeten Geldes übergeben. Bischof Jonas Kalvanas vollzog die Weihe von Kanzel, Altar, Turm und Taufbecken. Pfarrer Darius Petkunas wurde ordiniert und eingeführt. Das litauische Fernsehen dokumentierte des festliche Ereignis. Drei Chöre umrahmten musikalisch die eindrucksvolle Feier in dem überfüllten Gotteshaus, die mit dem alten Lied “Ein feste Burg…” ausklang. Anschließend wurden vor der Kirche von Bischof Jonas Kalvanas, unterstützt von der Coadjuther Jugend und von Gästen aus Deutschland drei Eichen gepflanzt.

Dank gebührt dem Dipl.-Ing. Viktoras Petraitis, zuständig für die Kirchenrestaurierung im früheren Memelgebiet, der Architektin Janina Naujaliene für ihre Mühe, nach Fotovorlagen dem Kircheninneren das alte Aussehen wiederzugeben, was ihr sehr gut gelungen ist. Zu danken ist auch dem Bauleiter Viktoras Virsila, allen Künstlern und Handwerkern und nicht zuletzt den Gemeindemitgliedern mit ihrem Vorsitzenden Herrn Sliupas. Nicht zu vergessen sind die Schüler, die eifrig mitgeholfen haben, den Friedhof und die Umgebung der Kirche ich Ordnung zu bringen.

Heute präsentiert sich die Kirche in neuer Pracht. Doch so schön die wiedererstandene Kirche auch ist – ein kleiner Mangel ist geblieben: es fehlen die nach dem Krieg zerstörten Glocken. Erwähnenswert ist noch die Tatsache, daß auch die in der Nähe befindlichen Markthallen sehr schön restauriert sind und jetzt wieder einmal in der Woche Markt stattfindet. [3]

Der Name “Koadjuten” ist aller Wahrscheinlichkeit nach aus dem Wort “Koadjutor” entstanden. Das Wort “Kuadjutor” ist lateinischen Ursprungs und heißt auf deutsch “Gehilfe”. Dieses Wort wurde in der katholischen Kirche für den Gehilfen eines Bischofs verwendet, der meistens ein “Titularbischof’ ist. Ein Titularbischof wiederum ist ein geweihter Bischof ohne Jurisdiktionsgewalt, d.h. ohne irgend einen Besitz. Viktor Kittel vermutet, dass der Ort einem solchen Koadjutoren verliehen wurde und dadurch seinen Namen erhielt.

Im Frieden vom Melnosee 1422 verlief die Grenze etwa durch Coadjuthen. Das führte zu verschiedenen Streitereien im Laufe der Zeit. So gehörte zu Beginn des 16. Jh. Coadjuthen dem Sohn des polnischen Königs Sigmund, der dies Gebiet verwaltete. Mit der Umwandlung des Ordensstaates in das Herzogtum Preußen fiel Coadjuthen an Preußen und wurde nun vom Tilsiter Burggrafen verwaltet.[4]

Bereits 1565 ist in Coadjuthen ein Krug erwähnt, der sich im Besitz des Christoph Gelber befand. Diesem, “seinem lieben Getreuen”, verlieh Herzog Albrecht im genannten Jahr 3 1/2 Hufen Land. 1740 gehörte der inzwischen baufällig gewordene Krug einem David Engel, der Branntwein und Bier aus dem Amt Baubeln holen mußte und die Verpflichtung hatte, nie ohne diese Getränke angetroffen zu werden. In seiner Hökerei sollte er Ingwer, Pfeffer, Essig, Zwiebeln, Teer und Tabak führen.[5]

Im Februar 1915 wurde Koadjuthen von Russen besetzt, die allerdings bald vom Tilsiter Landsturm zurückgeschlagen wurden. Bis zum Ende des ersten Weltkrieges gehörte Koadjuthen zum Kreis Heydekrug und wurde dann, unter französischer Verwaltung, in den neu gebildeten Kreis Pogegen eingegliedert. Dieser Kreis wurde 1939 wieder aufgelöst und Coadjuthen gehörte wieder zum Kreis Heydekrug.

Die Einwohner von Coadjuthen flüchteten um den 8. Oktober 1944 endgültig. Bereits am 11. Oktober rückten die Russen nach einem Panzergefecht in den Ort ein, der zunächst kaum zerstört war. Die meisten Zerstörungen erfolgten erst in der Nachkriegszeit.

Koadjuthen gehört heute zum Rajon Silute (Heydekrug) der Republik Litauen. Günter Uschtrin (9. 6. 1937 – 1. 9. 2016) schrieb eine umfangreiche Chronik über das Kirchspiel: “Wo liegt Coadjuthen?”, die eingebettet ist in die Geschichte des Memellandes. Außerdem half er bei der Beschaffung einer neuen Orgel aus Westdeutschland und betrieb erfolgreich die Anfertigung einer Gedenktafel, auf der die wesentlichen Vorgänge aus der Kirchengeschichte aufgeführt sind. Am 11. August 2013 konnten zwei Gedenktafeln in deutscher und litauischer Sprache in der Patornatskirche von Coadjuthen eingeweiht werden.[9]

Die Mühle von Coadjuthen gehört sicher zu den ältesten Mühlen des Memellandes. Dort, wo die Sziesze das Dorf durchfließt, gab es schon im Mittelalter eine Wassermühle. Den Verkauf der Mühle, die der Gumbinner Domänenkammer gehörte, an den Müller George Holdstein wurde von Friedrich dem Großen 1753 höchst eigenhändig bestätigt. Holdstein mußte laut dem königlichen “Erb-Kauf-Contrakt” 1700 Taler Kaufgeld sowie eine laufende Pacht entrichten. Außerdem ging er noch weitere Verpflichtungen ein. Aber damit der Müller stets sein Auskommen hatte, stand den Bauern die Wahl der Mühle nicht frei. Sie waren Zwangs-Mahlgäste, d.h. sie mußten die ihnen zugewiesene Mühle nutzen. Der letzte Besitzer der Wassermühle war August Preugschat, der sie auch elektrisch betreiben konnte; er hatte ihr auch ein Sägewerk angegliedert. Außerdem war auch eine Windmühle vorhanden, die zuletzt von F. Krüger betrieben wurde.[6]Alfred Brust (15. 6. 1891- 18. 9. 1934) wurde zwar in Insterburg geboren, man sagt, auf der Durchreise. Eigentlich ist er aber ein Kind Coadjuthens. Der Vater besaß in Coadjuthen eine Gemischtwarenhandlung mit Gastwirtschaft und Hotel. Einen Teil seiner Jugend verbrachte Alfred Brust bei den Großeltern in Göttingen. In Tilsit ging er zur Schule mit dem Ziel, Kaufmann zu werden. In dieser Zeit entstanden erste Dichtungen und das Tilsiter Stadttheater führte einige frühe Stücke auf. Dann volontierte Brust bei der „Tilsiter Zeitung“ und wurde Redakteur beim „Annaberger Wochenblatt“ im Erzgebirge. Er lebte von 1915 bis 1923 in Heydekrug. Als das Memelland von Litauen annektiert wurde, ließ er sich in Cranz, später in Königsberg nieder. Dort erlag er der Lungentuberkolose.[7]. Werke u. a. “Die Schlacht der Heilande”, “Die verlorene Erde” (1926), “Die Wölfe”; “Der singende Fuchs”. Er schrieb etwa 20 Stücke, die aber nicht sonderlich erfolgreich waren, jedoch teilweise von großen Regisseuren wie Piscator und Sellner auf die Bühne gebracht wurden.[8] 1929 erhielt Brust den Kleist-Preis für seinen Roman “Die verlorene Erde”. Die Nationalsozialisten stuften seine Werke bald als dekadent ein und verbannten sie von Spielplänen und vom Buchmarkt. Sein schriftlicher Nachlass ist im Krieg in Königsberg verloren gegangen.

Details zu Coadjuthen siehe mit vielen Bildern und Landkarten unter http://wiki-de.genealogy.net/Coadjuthen

Zum Kirchspiel Coadjuthen gehört das kleine Dorf Kavoliai – Kawohlen an der Strasse von Tilsit nach Memel. Auf dem dortigen Waldfriedhof gibt es noch deutsche Gräber und hier fand der Architekt Alfred Berg aus Bad Bevensen die Gräber seiner Urgroßeltern Anna und August Berg. Er ehrte ihr Andenken, indem er die doch verrosteten Grabkreuze restaurieren ließ. In Kawohlen existiert auch noch die alte Schule.[10] Verschiedene Bilder und Ortspläne von Kawohlen findet man hier.


[1] Text von Viktor Kittel
[2] Heinrich A. Kurschat, Das Buch vom Memelland, 2. Aufl. 1990, S. 471
[3] Autor: © 2005 Eva Maria Kestenus aus Coadjuthen, jetzt in Gehrden/Hann.
Quelle: “Memel-Echo” – Mitteilungsblatt des Freundeskreises Memelland/Litauen Raisdorf e.V.” Nr. 35/2005
[4] Viktor Kittel, Oktober 2003
[5] Viktor Kittel, Oktober 2003
[6] Viktor Kittel, Oktober 2003
[7] os, Brust als Lehrer und Verführer, PAZ Nr. 38/09 (19. 9.), S. 9
[8] Heinrich A. Kurschat, Das Buch vom Memelland, 2. Aufl. 1990, S. 494
[9] Ruth Geede, Ostpreußische Familie, Oprbl. Nr. 41/2013 (12. Oktober), S. 14
[10] R.G., Ihre Namen konnte die Zeit nicht löschen, Oprbl. Nr. 47/2013 (23. November), S. 14
11] Ruth Geede, Ostpreussische Familie, Oprbl. Nr. 51/52 aus 2013 (21. Dezember), S. 14

Literatur

Günter Uschtrin “Wo liegt Coadjuthen?”

Die Geschichte eines ostpreußischen Kirchspiels im ehemaligen Memelland

BWV Verlag, 2011 – 530 Seiten
ISBN 978-3-8305-1901-0



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