Nida – Nidden
Nidden ist das größte Nehrungsdorf und besteht eigentlich aus drei oder vier Fischerdörfern. Zu Füßen der beiden Erhebungen Angiu-Kaln und Urbo-Kalns liegt das Hauptdorf mit dem Hotel von Hermann Blode. Weiter nach Süden gibt es das Hakendorf mit vielen Holzhäusern, nach Norden hin die Fischerhäuser von Skrusdin am Haffufer, dem Ameisendorf, und noch weiter nach Norden die Fischerhäuser von Purwin.[1] Einige rohrgedeckte Fischerhäuser aus dem 19. Jh. haben überlebt.[2]
Die Ansiedlung Nidden wurde 1437 erstmals urkundlich erwähnt (nach Wikipedia erstmals 1385). Die Pest wütete zwei Mal grausam unter den Einwohnern: im Jahr 1603 sollen fast alle von der Pest getötet worden sein und 1709 kamen dem Vernehmen nach alle Dorfbewohner durch diese Seuche ums Leben. Der Pestfriedhof wurde 1931 nahe dem alten, versandeten Dorf Nidden, das 1675 aufgegeben worden war, entdeckt.[3]
Ursprünglich lag der Ort Nidden 5 km weiter südlich und versandete dort. Ab 1675 lag der neue Ort Nidden etwas weiter nördlich. Südlich von diesem zweiten Standort lag der Pestfriedhof, den Agnes Miegel in ihrem Gedicht “Die Frauen von Nidden” schildert. Wegen erneuter Versandung verlegte man 1730 den Ort an die heutige Stelle.[4] Die große Sanddüne von Nidden ist heute eine wesentliche Attraktion für die Besucher. Man kann dort auf befestigten Wegen oder durch den lockeren Sand zu Fuß herumstromern.
Nidden wurde 1847 ein eigenes Kirchspiel. 1888 weihte man die auch heute noch bestehende Kirche auf einer Anhöhe am Ortsrand ein. Sie ist ein zierlicher neogotischer Backsteinbau, innen mit Balkendecke und an drei Seiten mit Emporen. Auf dem Friedhof gibt es Reste origineller hölzerner Grabtafeln aus dem 19. Jh. [5] und die Anlage macht einen gepflegten Eindruck.
Prediger Sakuth setzte nach dem Krieg durch, dass hier jeden Sonntag ein deutscher Lesegottesdienst stattfinden und die Glocken geläutet werden konnten.[6] Im Jahr 1992 wurde die bis dahin fremdgenutzte Kirche von Nidden in gut restauriertem Zustand wieder der evangelischen Gemeinde zur Verfügung gestellt. Die Mittel dafür stammten vornehmlich aus Spenden von einstigen Bewohnern von Nidden, Preil und Perwelk sowie von Freunden der Kurischen Nehrung. Bischof Jonas Kalvanas vollzog zusammen mit Pastor Karl Gustav Echternach die Weihe von Kanzel und Altar und Pastor Manfred Schekahn aus Bispingen, letzter Täufling in Nidden 1944, assistierte dabei. Beschädigungen von 1996, hervorgerufen durch einen auf das Dach gestürzten Baum, konnten inzwischen ebenfalls mithilfe von Spenden wieder beseitigt werden.[7]
Errichtung des ersten Niddener Leuchtturms 1874 mit einem 32 sm weit sichtbaren Drehfeuer.[8] Der neue Leuchtturm in Nidden entstand nach dem 2. Weltkrieg. Im Hafen von Nidden ankert ein nachgebauter Kurenkahn, mit dem man einen Segeltörn auf dem Haff unternehmen kann. Außerdem werden Motorbootausflüge auf die gegenüber liegende Seite das Haffs an Windenburg vorbei in die Atmath angeboten.
Auf ihrer Flucht vor Napoleon aus Berlin machte die kranke Königin Luise auch in Nidden Station. Hier soll sie mit ihrem Diamantring den Spruch in ein Fenster geritzt haben:
Wer nie sein Brot mit Tränen aß,
Wer nie die kummervollen Nächte
Auf seinem Bette weinend saß,
Der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte![9]
1867 errichtete Friedrich Blode in Nidden einen Gasthof. Ludwig Passarge war einer der ersten, die 1886 die Kurische Nehrung mit den Augen des Künstlers beschrieben. Bald schickten die Professoren der Kunstakademie Königsberg ihre Schüler auf die Nehrung, um das besondere Spiel von Licht und Schatten zu studieren. Max Pechstein kam 1909 zum ersten Mal hierher, Ernst Bischoff-Culm 1904, Karl Schmidt-Rottluff 1913. Nach dem Bruch mit den Künstlern der „Brücke“ 1912 lebte Pechstein im Winter in Berlin und im Sommer in Nidden. Der Gastwirt Hermann Blode entwickelte sich zum Mäzen der sich bildenden Künstlerkolonie. Seine Tochter heiratete den Maler Ernst Mollenhauer und der führte das Gasthaus nach dem Tod von Hermann Blode 1934 weiter bis 1945 [10]. Um 1900 entstand auf der Kurischen Nehrung eine Künstlerkolonie, deren Zentrum sich in Nidden befand, und dort vornehmlich im Gasthof von Hermann Blode. Mehr als 200 oder 300 Künstler und Grafiker haben sich bis zum Ende des 2. Weltkriegs hier aufgehalten (so Jörn Barfod in „Nidden. Künstlerkolonie auf der Kurischen Nehrung“ edition fischerhuder kunstbuch, Fischerhude 2005). Dazu gehörten die Vertreter des Impressionismus wie Ernst Bischoff-Culm, Carl Knauf, Oskar Gawell, Arthur Kuhnau, Hans Kallmeyer, Julius Freymuth, sowie die Expressionisten wie Max Pechstein, Karl Schmidt-Rottluff, Karl Eulenstein, Ernst Mollenhauer, Lovis Corinth. Fast die komplette Gemäldesammlung des Gasthofs Blode und fast alle Gemälde von Ernst Mollenhauer fielen den Kriegshandlungen zum Opfer.[11]
Das Thomas-Mann-Haus in Nidden steht hoch auf dem Schwiegermutterberg und ist reetgedeckt. Es besteht aus dunkelbraun gestrichenem Holz und am abgewalmten Giebeldach erscheinen gekreuzte Pferdeköpfe. Eine Gedenktafel informiert darüber, dass der Dichter von 1875 – 1955 lebte und von 1930 – 1932 hier in den Sommermonaten wohnte. Die Mittel zum Bau des Hauses stammten vom Nobelpreis, den er 1929 erhalten hatte. Thomas Mann war auf den schönen Ort aufmerksam geworden, als er 1929 von Rauschen aus einen Besuch auf der Nehrung unternahm und von der Stimmung hier eingefangen wurde. Der Blick auf die Ostsee, dass Haff und die kleine Ortschaft Purwin – der „Italienblick“ – faszinierte ihn. Er beauftragt den Architekten Herbert Reissmann, ein Sommerhaus zu bauen und auszustatten, in dem er von 1930 – 1932 mit seiner Familie den Sommerurlaub verlebte.
Dieser erste Ostpreußen-Ausflug Thomas Manns, der Ostpreußen bis dahin kaum kannte, fand am 29. 7. 1929 statt und führte nach Nidden. Ein Jahr später war das Sommerhaus in Nidden fertig, wo er die Sommermonate verlebte und in gewohnt disziplinierter Weise an den Josephs-Geschichten schrieb. Am 4. 9. 1932 fuhr er ein letztes Mal im Dampfboot nach Cranz und kehrte nie wieder nach Ostpreußen zurück.[12]
Das Untergeschoß des Thomas-Mann-Hauses ist heute diversen Fotos und Informationen über den Dichter gewidmet, im Obergeschoß ist sein Studierzimmer ausgestellt. Nachdem die Familie Mann ihr Sommerhaus verlassen hatten, nahm Hermann Göring das Haus in Besitz, besuchte es aber nie. Das Haus hatte durch den Aufenthalt deutscher und russischer Soldaten während des Krieges stark gelitten und sollte eigentlich als Kriegsruine abgerissen werden. Litauische Intellektuelle stemmten sich jedoch gegen diese Absicht und ließen es mit wissenschaftlicher Gründlichkeit wieder instand setzen. Seit 1967 dient der Ort als Begegnungsstätte, Bibliothek und Museum. Seit 1997 werden hier jedes Jahr Sommerfestivals und Seminare durchgeführt.[13]
In der Gegend der ersten Düne hatte Alexei Nikolajewitsch Kossygin (1904 – 1980), ehemaliger Ministerpräsident der Sowjetunion und Nachfolger vom Nikita Chruschtschow, offenbar ein Ferienhaus, das wohl nur mit dem Hubschrauber erreichbar war, aber dazu geführt hatte, daß man eine Straße bis in diese Gegend verlegte. (man fährt durch das Niddener „Industriegebiet“ auf den Sandberg hinauf und biegt links zur ersten nackten Düne ab, wo nach einem Parkplatz die Straße auf die Düne selbst zu einem vermuteten Hubschrauberlandeplatz führt). [14] Nach dem 2. Weltkrieg bestand eine Zeit lang der Plan, die Dörfer Nidden, Preil, Perwelk, Schwarzort und Sandkrug zu einer Großsiedlung, der Stadt Neringa, zusammenzufassen, und es entstanden erste riesige Neubausiedlungen. Doch dann entschloß man sich, die einmalige Landschaft unter Naturschutz zu stellen.
Die Grenze zwischen Rußland und Litauen befindet sich zwischen Pillkoppen und Nidden. Am 24. 11. 2000 wurden nach langer Bauzeit neue Grenzabfertigungsanlagen eröffnet. Man rechnet mit 900 Fahrzeugen/Tag in der Saison und mit 500 in der anderen Zeit. Auf beiden Seiten ist eine Umweltabgabe zu entrichten.[15] Heute zählt Nidden ohne Touristen etwa 1.500 Einwohner und ist die größte Ansiedlung auf der Kurischen Nehrung.
Weitere Informationen und Bilder zu Nidden siehe unter http://de.wikipedia.org/wiki/Nida_(Litauen) und unter http://wiki-de.genealogy.net/Nidden und unter http://www.ordensland.de/Nidden/nidden.html Die Frauen von Nidden von Agnes Miegel siehe unter https://www.teachsam.de/pdf/miegel_nidden.pdf
In dem Buch “Chronik der Schule zu Nidden“ wird ein wertvolles Dokument aufgearbeitet, welches beeindruckend die Geschichte der Kurischen Nehrung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts darstellt. Um sowohl deutsch- als auch litauischsprachigen Lesern den Zugang zu erleichtern, wurde beschlossen, eine Veröffentlichung in zwei separaten Bänden – im deutschen Original und in litauischer Übersetzung – herauszugeben.
[1] Heinrich A. Kurschat, Das Buch vom Memelland, 2. Aufl. 1990, S. 61
[2] DEHIO, S. 444
[3] Kossert, Ostpreußen, S. 82
[4] Wikipedia über Nidden
[5] DEHIO, S. 444
[6] Heinrich A. Kurschat, Das Buch vom Memelland, 2. Aufl. 1990, S. 461
[7] MEM in Oprbl. Nr. 40/1997, S. 11
[8] Heinrich A. Kurschat, Das Buch vom Memelland, 2. Aufl. 1990, S. 345
[9] Richard Meyer, Heimatkunde des Memelgebietes, Memel 1922, S. 99
[10] os zu einem Vortrag von Maja Ehlermann-Mollenhauer, Enkelin von Hermann Blode: Harmonie der Gegensätze, PAZ Nr. 45/2005, S. 9
[11] Dr. Wolfram Eggeling, Künsterparadies Kursiche Nehrung – Ausstellung im Museum Stadt Königsberg in Duisburg, Königsberger Bürgerbrief Winter 2006, S. 39
[12] Martin Schmidt, Chronik einer Sommerfrische, Oprbl. Nr. 18/o1, S. 6
[13] Helmut Peitsch, Ein Traum wurde Wirklichkeit, Oprbl. Nr. 3/1988, S. 13; Informationstafel im Thomas-Mann-Haus 2014;
[14] Rainer Radok, Am Strand liegen keine Kurenkähne mehr, Oprbl. Nr. 10/1990, S. 11
[15] Uwe Neumärker/ Walter Mogk, Opr-Forum – Reisen, 1. 12. 00