Garino – Ober-Eißeln und Bolschoe Selo – Unter-Eißeln, Rittergut Tussainen
Ober-Eißeln ist eine der ältesten Siedlungen des Kreises Tilsit-Ragnit und galt als eines der vier Musterdörfer im Kreisgebiet. Für 1629 ist ein Krug urkundlich bestätigt und es gab das Gut Ober-Eißeln. Auf dem nahen Signalberg, auf dem man 1912 einen Bismarckturm errichtet hatte, gab es in der Vorordenszeit eine Kultstätte der Prußen. Die nachfolgende Kolonisation erfolgte unter der Regie der Ordensbrüder von der Burg Ragnit. Seit den Zeiten des Soldatenkönigs gab es eine Schule, die irgendwann später ein eigenes Gebäude mit 2 Klassen und einer Lehrerwohnung erhielt. Letzter Lehrer vor der Flucht war ein Herr Gawehn. Letzter Bürgermeister war Herr Erzberger. Der war für dieRäumung des Dorfes am 12. 10. 1944 und die Verlegung nach Rogitten im Kreis Braunsberg verantwortlich. Ihm und seiner Familie gelang die Flucht in den Westen, wo er sich in Hasloh bei Pinneberg niederließ. Etwa 20 Prozent der Einwohner von Ober-Eißeln ereilte in Folge der Flucht der Tod.
Die Familie Pichler, 1732 aus Salzburg eingewanderte Protestanten, übernahm den Krug und wirtschaftete so erfolgreich, dass sie das Gut Eißeln mit zuletzt 212 ha erwerben und zuzüglich vom Gut Tusseinen 51 ha Ackerland pachten konnten. Letzter Gutsherr aus dieser Linie war Wolfgang Hahn. Er fiel als Oberleutnant d. R. einer Aufklärungsabteilung am 14. 7. 1944 im Kreis Tarnopol in der Sowjetunion.
Bei Ober-Eißeln ließ der Freiherr v. Sanden-Tussainen 1813 oberhalb der Memel, über eine lange Freitreppe vom Ufer der Memel aus erreichbar, ein Jagdhaus errichten. Dieses erwarben 1908 die Eheleute Schober, bis dahin Pächter des Dorfkrugs. Sie bauten einen großen Saal an und richteten hier eine Gastwirtschaft ein, die bald überregionalen Zuspruch fand und Ober-Eißeln an der Memel weithin bekannt machte. Das Rittergut Tussainen, das sich westlich von Ober-Eißeln in der Landschaft der Daubas oberhalb der Memel erstreckte, existiert nicht mehr.Es befand sich seit etwa 400 Jahren im Besitz der Familie von Sanden, verfiel jedoch bereits seit etwa 1900 durch Verkauf und Aufsiedlung. Allerdings hatte die Pferdezucht für die Armee bis zuletzt einen hohen Stellenwert.[1]Das Dorf Tussainen zählte 1939 um 500 Einwohner.
Der Park am Jagdhaus war der Überlieferung nach von einem französischen Soldaten, der 1813 verletzt zurückblieb und von der Familie von Sanden gesund gepflegt wurde, aus Dankbarkeit nach dem Vorbild von Versailles angelegt worden. Besonders bemerkenswert hier war eine 600jährige Linde vor dem Gasthaus, die mit einem Stammumfang von 7,50 Metern den gleichen Umfang hatte wie die Zitterpappel nahe dem Bismarckturm.[2]
Der auf Anregung von Oberpräsidialrat und Landrat des Kreises Georg Franz Graf von Lambsdorff (1863 – 1935) geplante 19,7 m hohe Bismarck-Turm (Entwurf von Baumeister Schuffenhauer aus Wetzlar, Bauausführung durch Kreisbaumeister Emil Ewermann aus Ragnit) wurde am 17. 8. 1912 eingeweiht und bot von der oberen Plattform einen eindrucksvollen Rundblick auf die Umgebung bis hin nach Ragnit, zum Rombinus und mitunter sogar bis nach Tilsit. Die Beschädigungen durch die Russen im 1. Weltkrieg wurden sehr bald behoben. In der Zeit nach dem 2. Weltkrieg verfiel der Turm zunehmend. Immerhin sollen 2002 noch etliche Ruinenteile vorhanden gewesen sein. Aber die Stufen der Steintreppe z. B. waren schon teilweise zerstört. Man findet den Weg zur Turmruine dort, wo in Obereißeln der Weg nach Untereißeln von der Hauptstrasse abzweigt. Hier führt ein Sandweg in nördlicher Richtung etwa 400 Meter bergauf zum Turm. Neuerdings (2023) wird berichtet, dass ein russischer Unternehmer den 20 Meter hohen Turm wieder instand setzen und erneut als Aussichtsturm in Betrieb nehmen will.[3]
An der Nordseite des Turms fand der 1933 einem Jagdunfall zum Opfer gefallene Landrat Dr. Penner, der mit einem Mitglied der Familie v. Sanden-Tusseinen verheiratet war, seine letzte Ruhestätte.
Auf dem Gut Eißeln richtete die Rote Armee zunächst ein Gefangenenlager ein Nach dessen Auflösung nahm hier eine Kolchose den Betrieb auf.
Der Ort Unter-Eißeln war einst eines der größten Dörfer mit zuletzt über 800 Einwohnern und einer der größten Fremdenverkehrsorte entlang der Memel. Auf der höchsten Erhebung des Dorfes, dem Pallentschkallnis unweit der Memel, befand sich eine prußische Kultstätte und kündete von der vorordenszeitlichen Besiedlung dieser Gegend. Nordöstlich des Dorfes neben dem Weg nach Reisterbruch stieß man auf halbkugelförmige Hügel, die vielleicht Gräber aus dieser Zeit der frühesten Besiedlung enthielten.
Unter-Eißeln war auch ein Zentrum für Frachtschiffer. Von den 15 Frachtschiffen der Schiffseigentümer im Ort war die „Vaterland“ von Max Plauschinat in den Westen entkommen und versah dort noch lange Jahre ihre Dienste. Man hatte den Kahn benutzt, um KZ-Häftlinge von Gotenhafen westwärts zu transportieren. Als diese armen Menschen in der Lübecker Bucht in die großen Schiffe „Kap Arkona“ und „Tilbeck“ umgeladen worden waren, erfolgte ein Luftangriff, der die beiden Dampfer versenkte. Die Vaterland wurde jedoch kaum beschädigt, trieb an den Strand und wurde damit gerettet.
Einmal im Jahr nutzte die Tilsiter Garnison eine Fläche des Putschienus, dem Heidewald von Unter-Eißeln, für ihre Scharfschießübungen. Um 1900 war jedoch das Gelände der fortgeschrittenen Gewehrtechnik nicht mehr gewachsen und ab 1910 nutzte man die fortschrittlicheren Möglichkeiten des Übungsplatzes in Arys im Kreis Johannisburg.
[1] Gerda Fritz, Ich glaube an das Pferd, Land an der Memel, Pfingsten 2016, S. 135 f
[2] Hans-Georg Tautorat, a. a. O., S. 33,
[3] Königsberger Express, aufgeführt in Unser schönes Samland, Herbst 2022, S. 16