Pillau

Geschichte von Baltijsk – Pillau

Schon zu prußischer Zeit, etwa seit 550 n. Chr., gab es zu Füßen des Pillauer Höhenrückens mit dem Pfundbudenberg als höchster Erhebung eine prußische Wallanlage, die „Naitepile“. Davon oder von dem prußischen Wort „pilen“ = Burg leitete sich wahrscheinlich der Name Pillau ab. Auf der Burg residierte Fürst Swayno, der bei Kämpfen der Aufständischen gegen den Orden ums Leben kam. Auch sein zur Rache angetretener Bruder Boltzo wurde von Ordensleuten unter Ritter Johann Ozemunt erschlagen. 1260 riss man die Naitepile ab.

Ausgangspunkt der Ansiedlung zur Ordenszeit war die Pfundbude zur Steuereinnahme auf dem höchsten Punkt der Gegend, dem Berg der Burg Naitepile oder Pfundbudenberg, weil schwere Stürme 1376 hier eine – zunächst vorübergehende – Schifffahrtstraße in der Nehrung frei gemacht hatten. Die Bude war ein mehrstöckiges, geräumiges, massives Gebäude und beherbergte die Behörde, die den „Pfundzoll“ erhob, eine 1361 in Greifswald von den Hansemitgliedern gemeinschaftlich festgelegte Abgabe für alle Hansehäfen und hier speziell für die Benutzung der Wasserstraße zwischen Haff und See. Ab 1443 erhielten der Orden von diesen Einnahmen zwei Drittel und die Städte am Haff ein Drittel.

In späterer Zeit diente das Haus auch als Jagdschloss für den Herzog, als Bernsteinkammer, Kaserne und behelfsmäßig als Gotteshaus, danach als Wohnung für Kapitäne und Mannschaften der Brandenburger Flotte. 1657 verlegte man die Pfundeinnahmen an einen anderen Ort. Die Pfundbude wurde 1804 abgerissen, weil man von dort oben einen Einblick in die Befestigungsanlagen befürchtete.

Weiteres wichtiges Gebäude der Anfangszeit war die Störbude in Wogram, wo Ordensangestellte und später staatliche Beamte – Störmeister, Störkocher, Netzmeister etc. – aus dem Stör den Kaviar und den Pökelfisch gewannen. Das Fleisch wurde erst mit viel Salz gekocht und anschließend in Fässern mit Weinessig übergossen und galt als hochgeschätzte Delikatesse. Der Rogen des Störs wurde in jener Zeit als „preußischer Kaviar“ in ganz Europa verkauft. Dann lief ihm der russische Kaviar den Rang ab. Die größten Fänge gab es im April, wenn die Störe durch das Tief zum Laichen in die Weichsel aufbrachen, und im September. Der Orden behielt sich das Monopol für den Störfang vor. Später wurde das Monopol verpachtet. Mit der sich verflachenden Nogat, die den Weg zu den Laichplätzen behinderte, nahm das Aufkommen der Fänge immer mehr ab und hörte schließlich ganz auf. Der Stör ging bei der Stadtgründung in das Wappen von Pillau ein.

Seit 1376 war das zuvor das unpassierbare Pillauer Tief offen, versandete danach aber erneut. Möglicherweise wurde es sogar zum Schutz der Nehrung wieder zugeschüttet. 1479 entwickelte sich erneut ein Durchbruch durch die Nehrung, dessen anfängliche Tiefe ebenso bald wieder abnahm. Insbesondere als sich am 10. September 1510 während eines großen Sturms die See einen 380 Meter breiten und 4 Meter tiefen Durchgang bei Pillau – das Pillauer Tief – zurückeroberte, der für die Schifffahrt wie geschaffen war, entwickelte sich hier die einzige Wasserverbindung zwischen Frischem Haff und Ostsee. Die Danziger versuchten 1520 vergeblich, das Tief unbrauchbar zu machen, um dadurch die Polen in ihrem Streit mit Herzog Albrecht zu unterstützen. Aber der Durchbruch war nicht mehr zu stoppen und besteht bis heute.

Am Tief entwickelte sich in den nachfolgenden Jahrzehnten der Pillauer Haken, der für die Anlage des Hafens und die Verteidigung wichtig wurde. König Gustav Adolf ließ hier 1626 eine größere viereckige Schanze zum Schutz der Einfahrt in den Hafen bauen.[2]

Nach dem endgültigen Durchbruch durch die Nehrung kamen immer mehr Neusiedler nach Pillau. Darunter befanden sich viele Einwohner der Dorfes Wogram, das 1413 nordwestlich von Pillau die Handfeste erhielt, aber unter einer Wanderdüne begraben wurde und aufgegeben werden musste. Vermutlich war das Dorf aber nicht vollständig verschüttet, denn während der Besetzung Pillaus wird 1627 von einer Ziegelei in Wogram berichtet, die Ziegelsteine für Gustav Adolfs Ausbau der Pillauer Befestigungen produzierte, sowie von Häusern, in denen schwedische Soldaten untergebracht waren. Wogram war der Ort, wo am 6. Juni 1626 König Gustav Adolf von Schweden mit seiner Flotte landete.

Neben der Pfundbude siedelten sich einige Fischer und ein Krugwirt an. Die Ortschaft Pillau wurde1430 erstmals urkundlich genannt. Die Siedlung unterhalb des Schwalbenbergs bei Pillau (= Alt Pillau oder Pillau II als die eigentliche alte Stadt Pillau, die aber erst 1902 in die Stadt Pillau (Pillau I) eingemeindet wurde) bekam 1583 die Handfeste.

Die Sandablagerungen vor dem Pfundbudenberg bildeten zunehmend einen Baugrund, auf dem man bereits im 16. Jh. eine Schanze als Befestigung anlegte, die mit einer Zollbude verbunden wurde. 1625 begann man mit der Erneuerung und Modernisierung der Schanze am Tief unter Verwendung von Palisaden aus Eichenholz nach Plänen von Burggraf Abraham zu Dohna und Ingenieur Tettelbach mit dem Ziel, ein Hauptbollwerk zum Schutz des schiffbaren Pillauer Tiefs zu begründen.

Mit Beginn des 1. schwedisch-polnischen Krieges landete 1626 König Gustav Adolf von Schweden mit einer großen Anzahl von Truppen bei Pillau, setzte sich hier bis 1635 fest. Er verfügte über die modernste Armee seiner Zeit, war ein hervorragnder Militärtaktiker und ein nahezu genialer Feldherr, der die erste Volksarmee der Moderne geschaffen hatte. Das machte ihn für die Preußen unangreifbar[3] Gustav Adolf führte die begonnenen Befestigungsarbeiten fort, erneuerte das befestigte Blockhaus, aus dem später die Festung hervorging, und baute den Ort zum Stützpunkt aus. Während dieser Zeit kassierte er die Zolleinnahmen des preußischen Seehandels. Als die Schweden sich aus Ostpreußen entfernt hatten, drängte der polnische König solange auf die Vereinnahmung der Zölle, bis Kurfürst Georg Wilhelm den größeren Teil des Aufkommens an Polen abtrat.

Nachfolgend baute der Große Kurfürst, der sich 1634 – 1638 am Hof seines Onkels Friedrich Heinrich von Oranien, dem Generalstatthalter der Niederlande, aufhielt und dort die Liebe zur Seefahrt und den Drang zum Überseehandel für sich entdeckte, Pillau zielstrebig weiter aus. Die unter Gustav Adolf unter Leitung des holländischen Bauunternehmers Wentz weiter gebaute Festung wurde mit Quadersteinen der verfallenden Ordensburg Balga vergrößert und verstärkt, der Seekanal verbreitert, 1657 ein modernerer Leuchtturm gebaut. Die Einnahmen aus den Zöllen wurden so umverteilt, dass Preußen den größeren Anteil erhielt. In der Umgebung der Festung ließen sich Fischer aus Alt Pillau nieder und die Lotsen zogen von der Pfundbude hierher. Weitere Bewohner folgten und so entstand in jener Zeit die Siedlung, die später zur Seestadt Pillau anwuchs.

Als sich 1657 die Schweden während des 2. schwedisch-polnischen Krieges anschickten, Pillau von der Landseite aus anzugreifen, ließ der damalige Kommandant der Festung, Pierre de la Cave, zur besseren Verteidigung die dichten Wälder der Umgebung bis in die Nähe von Lochstädt nach Norden und bis nach Alttief im Süden abholzen. Die Folge war eine starke Versandung. Aufgeforstet wurde erst ab 1793. Immerhin war um die Wende vom 19. zum 20. Jh. die Gegend bis Neuhäuser wieder bewaldet mit dem besonderen Teil der „Plantage“. Die Plantage war gekennzeichnet durch schöne Alleen, dichtes Unterholz von Busch und Blumen, zu Pfingsten mit blühenden Fliederhecken und galt als zweites Juwel Pillaus nach dem Hafen. Es gab eine Promenade, eine Strandhalle und einen Seesteg. Davon ist nichts geblieben.[4] Ein kleinerer Graben wurde unter dem Kommandanten Raulé 1683 zum „Neuen Hafen“ erweitert, den man 1702 noch verbreiterte. Dieses Hafenbecken, das gegenüber dem Russendamm in den Innenhafen mündete und nach Westen mit dem Festungsgraben verbunden war, ist jetzt wohl zugeschüttet worden.[5] 

Bereits ab 1656 hatte der Große Kurfürst eine kleine Kriegsflotte von 9 Schiffen zusammen gebracht und griff damit sogar Elbing an. Nach dem Frieden von Oliva 1660 rüstete man sie praktischerweise wieder für die Handelsschifffahrt her. Das änderte sich, als Brandenburg und Schweden 1675 erneut in kriegerische Auseinandersetzungen gerieten. Unterstützung für den Aufbau einer neuen Flotte erhielt der Kurfürst von Benjamin Raulé, Angestellter einer holländischen Handelskompagnie und Rat in der Stadt Middelburg. Er mietete Schiffe und patrouillierte mit ihnen vor der pommerschen Küste, um die Schweden in Pommern von ihrem Nachschub abzutrennen. 1676 umfasste die kleine Flotte 11 Schiffe, die zusammen mit den Dänen den Schweden sogar eine erfolgreiche Schiffsschlacht lieferten. Benjamin Raulé wurde Direktor der Marine und sein Bruder Jacob Commodore der Flotte. Parallel dazu erwarb der Kurfürst eigene Schiffe.

Pillau wurde nach dem Verlust Stettins im Frieden von St. Germain zur Hauptflottenstation gemacht, denn nur hier und in Memel gebot man über einen Hafen, und der Große Kurfürst errichtete dort 1682 ein Kommerz- und Admiralitätskollegium, dem, in Verbindung mit der in Berlin begründeten Seehandlung, die Verwaltung und Leitung der Unternehmungen zur See oblag. Benjamin Raulé installierte auf dem Haken die kurfürstliche Werft und baute die brandenburgische Flotte weiter auf, deren Admiral er wurde. Zum Flaggschiff machte man die „Markgraf von Brandenburg“. Sie fuhr ursprünglich unter spanischer Flagge und war 1680 von den Preußen gekapert worden, wobei die wertvolle Fracht von Tuchen 1 Mio. Taler in die Staatskasse brachte. In dieser Zeit stieg die Anzahl der Schiffe auf 30. Holländische Schiffbauer, Segelmacher und Ankerschmiede verstärkten die Einwohnerschaft von Pillau I so lange, bis sie der Verlegung der Flotte nach Emden folgten. Die holländischen Häuser aber blieben.

Nachdem der Große Kurfürst am 17. März 1682 in Pillau die Brandenburgisch-Afrikanische Compagnie gegründet hatte, brach im selben Jahr Otto Friedrich v. d. Groeben mit Schiffen der neuen brandenburgischen Flotte auf und gründete ein Jahr später die Kolonie Groß Friedrichsburg im heutigen Ghana (dazu siehe die Ausführungen im Kreis Marienwerder „Die preußische Kolonie Großfriedrichsburg in Afrika und Otto Friedrich v. d. Groeben“).

Auf Empfehlung Raulés verlegte man einen großen Teil der Flotte sowie die afrikanische Kompanie in den Hafen der kürzlich besetzten Stadt Emden. Damit war das wesentliche Kapitel der kurfürstlichen Flotte in Pillau, wo nur wenige Schiffe verblieben, abgeschlossen. Raulé fiel unter Kurfürst Friedrich III. 1698 in Ungnade und wurde für 3 Jahre in Berlin-Spandau interniert. Danach zog er nach Hamburg, wo er 1707 starb. Friedrich Wilhelm I. verkaufte 1717 die afrikanische Kolonie und 1721 die letzten Schiffe an die Holländer.

König Friedrich I. in Preußen führte das Werk seines Vaters fort und baute Pillau weiter aus. Die Ordensburgen Balga und Lochstädt sowie die Bischofsburg Fischhausen steuerten Baumaterial bei, indem man einen Teil ihrer Gebäude abtrug. Es entstand eine neue Kirche, weil der Vorgängerbau von 1658 infolge eines Blitzeinschlags abgebrannt war, dazu 1707 ein Zeughaus, und der Hafen wurde zum Schutz vor den Sturmgewalten mit einem Bollwerk gesichert. 1701 erhielt Pillau das Marktprivileg mit dem Recht auf zwei Jahrmärkte im Frühling und im Herbst. 1702 durften englische Kaufleute auf dem Gelände der ehemaligen kurfürstlichen Werft eine Brauerei errichten. Der Ort belebte sich zusehends und König Friedrich Wilhelm I. gewährte als Konsequenz daraus und gegen den Willen des Gouverneurs von Pillau, Graf zu Dohna, der militärische Gründe anführte und Seuchen befürchtete, am 18. Januar 1725 das Stadtrecht. Allerdings bremste der König die Entwicklung der Hafenstadt, als er auf Drängen der Königsberger Kaufmannschaft den Pillauern den selbständigen Seehandel verbot.

In dieser Phase der Stadtentwicklung, letztmalig mit einer großen Flotte 1716, hielt sich Peter der Große verschiedentlich in Pillau auf. Bereits 1697 war er „incognito“ mit 400 Personen im Gefolge vor Ort gewesen und soll sogar recht ungezwungen an einer Fischer-Hochzeit teilgenommen haben. König August der Starke hatte sich 1705 ebenfalls die Ehre gegeben. Natürlich weilte auch König Friedrich Wilhelm I. häufig in seinem „Klein Amsterdam“.

Für die 1731 von Erzbischof Firmian vertriebenen Salzburger Protestanten wurde Pillau ein Haupteinfallstor bei ihrer Ansiedlung in Ostpreußen. Allein 1732 landeten 65 Schiffe aus Stettin mit sog. Exulanten, und so ging es bis 1734. Etliche der Zuzügler ließen sich im nahen Samland nieder. Viele zogen nach Gumbinnen weiter.

Im 7jährigen Krieg Friedrichs des Großen 1756 – 1763 eroberten die Russen Ostpreußen, bombardierten auch Pillau, und erklärten die Provinz am 11. 1. 1758 zum russischen Besitz. Die Einwohner und Behörden mussten huldigen, Münzen mit dem russischen Adler hielten Einzug und an den öffentlichen Gebäuden ersetzte der russische den preußischen Adler. Gouverneur wurde Generalleutnant von Korff. Während der Besetzung Pillaus durch die Russen entstand bis 1760 zum Schutz der russischen Schärenflotte vor Sturm und Eisgang ein 340 Meter langer Damm vor dem Hafen, der Russische Damm. Dieser ist später durch Aufschüttung mit Häusern für die Hafenverwaltung bebaut und um Parkanlagen erweitert worden. Als man den Russischen Damm zum weiteren Schutz für die Schiffe mit dem Ufer in Alt-Pillau verband, entstand der sog. Winter- oder erweiterte Binnenhafen.

Nach Beendigung des siebenjährigen Krieges legte Friedrich II. keinen weiteren Wert auf die Festung in Pillau. Sie wurde als Domäne der ostpreußischen Domänenkammer übergeben und ihre Gebäude an die Bürger verkauft. Nur zur Bewachung von Gefangenen blieb eine Besatzung von 100 Man vor Ort. Unerwartet und vorübergehend erlebte Pillau gegen Ende von Friedrichs Regierungszeit einen Aufschwung, weil der große König in einer Auseinandersetzung mit der Stadt Danzig den Handel von dort weitgehend nach Elbing verlagerte, wovon Pillau profitierte.

Unter Friedrichs Nachfolger erfolgten sehr bald eine Wiederherstellung und ein Ausbau der Festungsanlagen 1790 – 1805. In dieser Zeit entstand auch die „Plantage“, indem man die Sandwüste bis zum Pfundbudenberg mit Lehm überdeckte und mit Weiden bepflanzte.

Bei der Eroberung Preußens durch Napoleon wurde Pillau im Juni 1807 bombardiert und zur Aufgabe aufgefordert. Dennoch ergab sich der 76jährige Kommandant der Seefestung, Oberst von Herrmann (1730 – 1818) nicht (sein Motto lautete: „Preußen oder der Tod!“), wurde aber gerade noch rechtzeitig durch den Waffenstillstand vor dem Frieden von Tilsit aus seiner Bedrängnis befreit. 1812 – 1813 überließ man Napoleon die Seefestung Pillau, doch am 8. 2. 1813 zwang innerer und äußerer Druck den französischen General de Castella, abzuziehen. Der Schiffskapitän Jacob Lietke (1770 – 1842), einer holländischen Einwandererfamilie entstammend, hatte den Russen maßgeblich dabei geholfen, die Franzosen mit Drohgebärden zu beeindrucken und erhielt dafür 100 Jahre später einen Ehrengrabstein auf dem Friedhof Pillau I.

Im Jahr 1804 trug man die Kuppe des Pfundbudenberges, auf dem einst die Pfundbude stand, zum besseren Schutz der Festung ab und beschloss gleichzeitig den Bau eines Leuchtturms, der 1805 – 1813 realisiert wurde und dessen Flamme erstmals an dem Tag aufleuchtete, an dem die Franzosen abzogen – quasi als Fanal.[6]

1839 flüchtete von hier Richard Wagner mit Frau und Hund wegen immenser Schulden nach London. Mangels gültigem Pass mussten die Reisenden vor Tau und Tag das Schiff besteigen, damit die Hafenwache sie nicht entdeckte. Die Überfahrt war stürmisch, weswegen man in einem norwegischen Fjord einen Zwischenstopp einlegte. Die von den Granitwänden des Fjords zurück hallenden Schiffsrufe der Besatzung beim Werfen des Ankers und Einholens der Segel sollen Wagner dazu inspiriert haben, das Matrosenlied im „Fliegenden Holländer“ zu komponieren.

Der Kommerz- und Admiralitätsrat Wichert, Vater des Schriftstellers Ernst Wichert (Heinrich von Plauen etc.) war einige Zeit in Pillau stationiert und der Sohn schilderte später anschaulich seine Eindrücke und Erlebnisse in der Hafenstadt.

Es entwickelte sich in Pillau ein touristischer Badebetrieb, insbesondere nachdem 1837 das Strandverbot aufgehoben worden war, das man schon zur Ordenszeit verhängt hatte, um das private Sammeln von Bernstein zu unterbinden. Der erste Prominente, der sich nach der neuen englischen Mode hier in die kühlen Fluten stürzte, war im Herbst 1806 der Dichter Heinrich von Kleist, der sich 5 Wochen in Pillau aufhielt, um seine gereizten Nerven zu stärken. Eine private Badeanstalt entstand 1842, bestehend aus einer Abteilung für Männer und 500 Meter weiter eine Abteilung für Frauen. Richtig forciert hat man diesen wirtschaftlich ergiebigen Bereich aber erst seit dem Anfang des 20. Jhs. Ein wesentlicher Aktivposten dabei waren die regelmäßig stattfindenden Segelregatten, die Pillau als Ausgangspunkt für attraktive Segeltörns populär machten.

1865 wurde die unter Leitung von Strousberg durch die Ostpr. Südbahngesellschaft gebaute Pillau-Königsberger Bahn eröffnet und damit Pillau an den schnell wachsenden Eisenbahnverkehr angeschlossen. 1836 begann man mit dem Bau der Südermole, 1840 mit dem der Nordermole, um durch die verstärkte Strömung einer Versandung des Seetiefs entgegenzuwirken. 1869 kamen dasOstfort und das Westfort auf der Nehrung zur Vollendung, 1870 vollendete man die Instandsetzung derZitadellen-Außenwerke. 1864 begann man mit dem großzügigen Ausbau eines Vorhafens mit Lotsen- und Fischerhafen in seiner Westecke, legte einen besonderen „Petroleum-Hafen“ an und 1887 waren die umfangreichen Molenbauten vorerst abgeschlossen. Auf dem Russendamm entstand ein Bauhof mit eigenen Helligen und einem eigenen Hafengebiet. Ferdinand Schichau legte 1889 im Hinterhafen ein Schwimmdock samt Reparaturwerkstatt an, das für die Reparatur größerer Ostseedampfer, aber insbesondere auch für die Probefahrten der seit 1884 in Elbing gebauten Torpedoboote vorgesehen war. Nach 10jähriger Bauzeit wurde am 15. November 1901 der 42,5 km lange und 6,5 Meter tiefeSeekanal nach Königsberg angelegt, eine durch Molen geschützte Fahrrinne für seetüchtige Schiffe, an der Sohle 30 bis 40 Meter breit, an der Wasseroberfläche 80 Meter breit. Das hatte für den Hafen von Pillau die unangenehme Folge, dass Schiffe mit geringerem Tiefgang direkt nach Königsberg fahren konnten, ohne in Pillau umladen zu müssen. Aufgrund der sinkenden Einnahmen sah sich Pillau gezwungen, einen Zuschlag auf die Einkommenssteuer von 400 % einzufordern und erhob damit 1910 die höchsten Steuern in Ost- und Westpreußen.[1]

Als nach dem 1. Weltkrieg die von den Siegermächten angeordnete Volksabstimmung abgehalten wurde, strömten 90.000 Stimmberechtigte, die mit Schiffen nach Ostpreußen angereist kamen, durch die Stadt. Pillau war jetzt der einzige Seehafen des Deutschen Reichs östlich der Weichsel, verfügte aber auch über touristische Vorzüge: ab 1936 durfte sich die Stadt “Seebad Pillau” nennen. Die Festungsanlagen von Pillau gehörten zu den wenigen, deren Beibehaltung der Frieden von Versailles gestattet hatte.

Eingemeindung von Wogram nach Alt-Pillau/Pillau II 1894,. Vereinigung von Alt Pillau und Festung Pillau mit der Stadt Pillau 1902, Eingemeindung von Camstigall/Kamstigall 1937.

Wogram war zur Ordenszeit ein zu Lochstädt gehörender Hof, der 1413 seine Handfeste erhielt. Daraus wurde ein Lehnsgut. Wegen Versandung musste es im 17. Jh. verlegt werden und hierher verfrachtete man im 18. Jh. die Pillauer Störbude. Dort besichtigte sie Kant, als er mit seinem Freund Green die Gegend um Pillau besuchte.

Alt Pillau mit der Pfundbude als Mittelpunkt entwickelte sich später als Wogram, überflügelte es dann aber. Auch Alt-Pillau hatte sehr stark unter Sandverwehungen zu leiden. Die Kirche brannte 1657 ab, wurde aber 1675 wieder aufgebaut. Die Bewohner waren vornehmlich Fischer, übernahmen auch Lotsendienste oder gingen einer Arbeit im Hafen nach.

In Camstigall, das 1455 von den Polen niedergebrannt worden war, befand sich das Landgut des Lotsenkommandeurs. Im Gutshaus wohnte zur napoleonischen Zeit der französische Vizekonsul du Dresney. Lotsenkommandeur bis zu seinem tödlichen Unfall bei der Rettung Schiffbrüchiger eines englischen Segelschiffs, als die Ankerkette das Rettungsboot zerschlug und die Besatzung ertrank, und Gutsbesitzer von 1810 bis 1813 war der Kommerzienrat Johann Friedrich Steenke (30. 5. 1770 – 11. 8. 1818) , Sohn des Hafenlotsen von Königsberg, Gottfried Steenke, und Vater des Architekten der geneigten Ebenen des Oberländischen Kanals, des königlich preußischen Baurates Georg Steenke (1801 – 1884).[7] 1824 ging das Gut an den Lotsenkommandeur Kuhn, in dessen Familie es mindestens bis ins 20. Jh. blieb.

Von Camstigall gab es einst eine Landverbindung nach Balga auf der gegenüberliegenden Haffseite. Diese Verbindung teilte das Frische Haff in ein südliches Weichselhaff und ein nördliches Pregelhaff. Anhaltende Strömungen trugen diese Landbrücke im Laufe der Zeit ab und verbanden die beiden Haffgewässer. Übrig blieb eine Landzunge. Dort entwickelte sich eine Siedlung, die 1476 vom Pfleger von Lochstädt die Handfeste erhielt. Ihr Name Camstigall oder Kamstigall leitete sich ab von dem prußischen Kamstes = Winkel und Gales oder Gallan = das Ende.

In der Reichsmarine war Pillau der Name für die Baureihe eines Leichten Kreuzers. Das erste dieser Schiffe war ursprünglich im Auftrag Russlands als Kleiner Kreuzer “Marawjew Amurski” gebaut worden und lief am 22.9.1913 in der Danziger Schichauwerft vom Stapel. Der Kreuzer verfügte über 8 Schnellfeuerkanonen vom Kaliber 15 cm sowie über Torpedos und Flak Er wurde am 5. 8. 1914 von den Deutschen beschlagnahmt und als S.M.S. Pillau im 1. Weltkrieg eingesetzt. 1920 musste die Marine den Leichten Kreuzer an Italien ausliefern und 1943 wurde er von US-Bombern versenkt.

Vom Hafen Pillau aus flüchteten zum Ende des 2. Weltkriegs viele Ostpreußen in den Westen –insgesamt 625.000 Menschen wurden über See von hier herausgebracht. Am 24. 4. 1945 nahmen die Sowjets Pillau ein. Der letzte Verteidiger, General Henke, erschoss sich, um nicht in Gefangenschaft zu geraten.

An der Rettung von Millionen Flüchtlingen über See 1945 waren 672 Handelsschiffe und 409 Kriegsschiffe beteiligt und man darf dies sicher ohne Übertreibung als die größte Rettungsaktion der Seegeschichte bezeichnen. Zum Leiter und Koordinator dieses Unternehmens ernannte Großadmiral Dönitz den 46jahrigen Konteradmiral Konrad Engelhardt, der vor dem Krieg Handelsschiffskapitän gewesen war. Am 25. Januar 1945 begann das Unternehmen Rettung – Ostsee 1945. In Pillau wurde der erste große Flüchtlingsgeleitzug mit über 20 000 Menschen zusammengestellt. Daran beteiligt waren u.a. die im Hafen liegenden Schiffe „Robert Ley“, „Pretoria“, „Venus“ und „Ubena“. Nachdem sie den Hafen verlassen hatten, wurden sie zu einem Geleitzug zusammengestellt. 2,5 Millionen Menschen, darunter etwa 500.000 bis 600.000 Verwundete und Soldaten, konnten so in die Freiheit entkommen.Aber die Flucht über die Ostsee forderte auch rund 25.000 Tote.

Auch an Land gab es Unglücksfälle. So gab es eine schwere Detonation am 26. Januar 1945 im Fort Stiele, dem Fort in Alt Pillau (Pillau II). Die Kriegsmarine hatte dort ein Sperrwaffenarsenal untergebracht, das in die Luft flog. Die in Baracken im Fort untergebrachten Kriegsgefangenen überlebten alle das Unglück nicht.[8]

Im Jahr 2000 wurde in Pillau ein Ehrenfriedhof eingeweiht, der nicht nur an die verstorbenen Flüchtlinge, sondern an die Toten aller Nationen erinnert.

Eine der markanten Persönlichkeiten, die in Pillau geboren wurden, ist Dr. Dr. Fritz Gajewski (1885 – 1965). Er trat 1912 in die BASF in Ludwigshafen ein, die in den IG Farben Konzern einging, und stieg dort auf zu einem der vier mächtigsten Männer dieses Unternehmens. 1930 wurde er u. a. verantwortlich für Agfa Wolfen, sanierte den defizitären Betrieb und förderte dort ab 1935 nachhaltig die Entwicklung des Farbfilms. Als Angeklagter des IG-Farben-Prozesses nach dem Krieg wurde er freigesprochen und übernahm 1952 den Vorstandsvorsitz der Dynamit-Nobel AG.


[1] Zur geografischen Lage der Hafenanlagen siehe den Bericht von Peter Perrey “Pillau von der Wasserseite” in “Unser schönes Samland”, Sommer 2013, S. 69 f
[2] Albert Zweck, Samland, Pregel- und Frischingstal, S. 31
[3] Marcel Piethe, Kurfürst Georg Wilhelm, Die Mark Brandenburg, Heft 72 – 2009/I, S. 37
[4] Waltraud Geisselseder, Pillau, Unser schönes Samland, Herbst 2017, S. 35
[5] Hans-Georg Klemm, Unser schönes Samland, Sommer 2008, S  85
[6] Albert Zweck, Samland, Pregel- und Frischingstal, S. 34
[7] Johann Friedrich Steenke – Der königsliche Baurat, Unser schönes Samland, Frühjahr 2019, S. 42 f
[8] Waltraut Geisselseder, Pillau – Was geschah im Januar 1945 in Pillau, Unser schönes Samland, Winter 2017, S. 66