Puschkarewo – Puschdorf
Die Gegend um Puschdorf nahe dem Pregel ist uraltes Siedlungsland, das bis in die Nacheiszeit zurückreicht, wie Funde von ungelochten Feuersteinbeilen und gelochten Felsbeilen belegen, die im Museum von Insterburg ausgestellt waren.
Am 10. 6.1406 verschrieb Hochmeister Konrad von Jungingen dem Peter und Barthel Kuschenpusch 62 ½ Hufen (à ca 16,5 ha) des Gutes Hirschberg zu kulmischem Recht erblich und ewiglich, ausgenommen die Mahlstätten. Auf diesen Ländereien entstand der Ort Puschdorf, in dessen Benennung der Name der Gründer aufklingt. Er wird bald nach 1410 entstanden sein und wurde 1423 als deutsches Dorf mit 50 Hufen erstmals urkundlich genannt. Am Tage Jacobi 1441 verlieh Hochmeister Conrad von Ehrlichshausen neben dem Dorf Stablacken auch Puschdorf der Altstadt Königsberg als Kompensation für nicht erfüllte Bedingungen der Handfeste und im Besitz dieses Schlossbezirks von Königsberg blieb Puschdorf in den nächsten 300 Jahren.
Puschdorf lag nicht weit entfernt von dem Gelände, auf dem die Schlacht von Groß Jägersdorfstattfand. Die Russen marschierten von Puschdorf, Almenhausen und Ranglacken zum Schlachtfeld und brannten nach der Schlacht viele Gebäude nieder. Davon waren in Puschdorf fast alle Häuser, die Schule und das neue Witwenhaus betroffen. Die Altargeräte aus der Kirche hatte man gerade noch rechtzeitig im tiefen Brunnen eines Gehöfts verstecken können.
Die Aufhebung der Leibeigenschaft im Zuge der Stein-Hardenbergschen Reformen brachte den Bauern zwar die Freiheit, aber viele konnten sich nur mit Mühe auf die neuen Anforderungen an ein selbständiges und planvolles landwirtschaftliches Handeln einstellen. Sie mussten nun mit der Geldwirtschaft anstelle von Deputaten klar kommen und konnten in Notzeiten nicht mehr auf die Unterstützung durch die Gutsherrschaft bauen. Viele verkauften deshalb ihren neuen Besitz. In Puschdorf ging so die Anzahl der Bauernstellen im Laufe des 19. Jhs. von 20 auf 8 zurück.
Zwar verfügte Puschdorf seit alters her über eine Schule. Dennoch war der Aberglaube tief in der Bevölkerung verankert. So ermordete 1835 ein Friedrich Bessel den Hirten Gottfried Mauritz, weil er glaubte, mit dessen Fett unsichtbar zu werden. Er wurde jedoch schnell gefasst und nach vierjähriger Aufarbeitung des Falles in Insterburg hingerichtet.
Trotz aller Düsternis waren die Puschdorfer stolz auf ihre Schule und diese erhielt 1835 als erste im Lande eine Schulglocke. 1843 zählte man für Puschdorf und Umgebung 179 Schüler in der einzügigen Schule. Erst 1891 wurde ein zweiter Klassenraum zur Verfügung gestellt.
Puschdorf wurde am 24. 5. 1838 von einer großen Feuersbrunst heimgesucht. 13 Gehöfte einschließlich der Roßmühle des Krügers Feuersänger und des Hauses von Kirchenvorsteher Fromm fielen den Flammen zum Opfer.
Während die Landwirtschaft stagnierte, erlebte Puschdorf im 19. Jh. eine wirtschaftliche Blüte, denn hier gab es viel Kies und Sand, notwendige Materialien beim Bau der neuen Chausseen und der Eisenbahntrassen in jener Zeit, später der Industriewerke, Hafenanlagen, Autobahnen. Mancher Bauer konnte etwaige finanzielle Engpässe jetzt durch Transportleistungen beim Straßenbau wie z. B. bei der neuen Chaussee von Königsberg über Taplacken nach Eydtkuhnen 1836/37 überwinden. Hilfreich war außerdem, dass Puschdorf bereits 1860 an das Eisenbahnnetz angeschlossen und damit der Kundenkreis ausgeweitet wurde. Die normale Tagesleistung bei der Förderung füllte einen Güterzug mit 8 – 10 Waggons. Der Puschdorfer Erbschulze und Krüger Laupichler, salzburgischen Ursprungs und vermutlich von Simon Laupichler abstammend, der um 1750 in Wehlau nachgewiesen ist, war der hauptsächliche Kieslieferant und erwarb dadurch ein beachtliches Vermögen. Die Familie Laupichler stellte auch den Bürgermeister. Als jedoch das Kaiserreich zu Ende ging und die Demokratie Einzug hielt, wurde der Bürgermeister Laupichler umgehend abgewählt und durch Bäckermeister Schink ersetzt. Die Verwertung von Sand und Kies in Puschdorf führte dazu, dass sich die Gemeinde zu einemHandwerker- und Arbeiterdorf entwickelte.
Der Beginn der Eisenbahnzeit ist mit einer Anekdote belegt: Als Puschdorf 1860 an das Eisenbahnnetz angeschlossen wurde, durften die Passagiere die erste Fahrt nach Insterburg kostenlos mitmachen. Erst am Ziel stellte sich dann heraus, dass die Bahn nicht zurückfuhr, so dass die Fahrgäste 30 km zu Fuß zurückkehren mussten.
Auf landwirtschaftlichem Gebiet befassten sich die Brüder Falkenthal aus Puschdorf längere Zeit mit der Schafzucht zur Erzeugung von Wolle und Fleisch. Ansonsten waren die Bodenqualitäten um das Dorf herum sehr unterschiedlich und somit schwer zu bewirtschaften. Leichter Sand wechselte häufig mit schwerem Lehm und die Dränagen konnten diese Gegensätzlichkeit nur begrenzt ausgleichen.
Im 1. Weltkrieg war Puschdorf vom 25. 8.-10. 9. 1914 von Russen besetzt, ohne dass es zu wesentlichen Zerstörungen kam.
1922 wurde in Piaten nahe Puschdorf das „Ostpreußische Schleuderbetonwerk“ als Zweigunternehmen des Ostpreußenwerks begründet. Umgehend fertigte man 5.000 Betonmasten für die Überlandleitungen, doch die eisernen Gittermasten waren kostengünstiger und somit wurde das Werk schnell wieder still gelegt. Um 1930 übernahm die Kiesfirma Major Anker die Anlagen und installierte hier eine elektrische Wasch- und Sortieranlage für Kiese und Schotter. Diese Unternehmung florierte und bei Arbeit rund um die Uhr wurden täglich 100 bis 120 Waggons mit gewaschenem und sortiertem Kies zum Versand gebracht.
Nach dem 2. Weltkrieg waren 7 Häuser zerstört, aber Schule und Kirche noch vorhanden, wenn auch ausgeplündert. Die Altstadt Königsberg war der Patron der Kirche. Diese entstand um 1500. Mit Ihrem Bau verband sich eine Sage: Ursprünglich sollte die Kirche etwa halbwegs zwischen Puschdorf und Stablacken gebaut werden. Die Steine für den ersten Bauabschnitt waren aber über Nacht verschwunden – die Engel hatten sie nach Puschdorf in das anmutige Tal des Mühlgrabens gebracht. Die Bauern fuhren die Steine an den alten Platz zurück, doch am nächsten Morgen lagen sie wieder in Puschdorf. Nach mehrfachen Versuchen erkannte man endlich die Absicht des Himmels für den Standort des Kirchenhauses in Puschdorf und fügte sich.
Die älteste überlieferte Nachricht von der Existenz der Kirche ist mit der Inschrift auf der größeren Glocke: „Maria behot uns got in aller not MCCCCCCX“ (1610) dokumentiert.
Unter dem Pfarrer Balthasar Neander, der von 1626-1661 in Puschdorf wirkte, wurde 1637 der Altar und 1638 darüber die Kanzel eingebaut. 1646 ergänzte man das Kirchenschiff um den Glockenturm. Pfarrer Neander überstand die Pestjahre 1656 und 1657, erlag aber am 25. 8. 1661 der erneut auftretenden Seuche, nachdem er wenige Tage zuvor den Tod seiner Frau und seiner Tochter ins Kirchenbuch hatte eintragen müssen. Auch unter der großen Pest von 1709 hatte Puschdorf zu leiden. Noch dazu hielt sich die Krankheit hier deswegen länger als an anderen Orten, weil Diebe, die die Häuser von Kranken oder Verstorbenen ausraubten, sich und andere erneut infizierten. Mehr als die Hälfe der Einwohner des Kirchspiels fiel der Pest zum Opfer.
Das alte Kirchengebäude wurde im Laufe des 18. Jhs. immer baufälliger und musste durch einen Neubau ersetzt werden, den man am 19.11.1769 einweihte. An diesem war ein Halseisen befestigt, dass sogar noch 1820 benutzt wurde.
Nach dem 1. Weltkrieg wurde 1920 eine Gedenktafel mit den 57 Puschdorfer Opfern des Krieges enthüllt. Ein Kriegerdenkmal auf dem Dorfanger nahe der Kirche stellte man um 1930 auf.
Über den 2. Weltkrieg kam diese Kirche in der Substanz unversehrt und diente danach der Roten Armee, die diesen Teil des Dorfes okkupiert hatte, als Lagerhalle. Allerdings war die Ausstattung der Kirche vernichtet worden. Die Tür der Kanzel mit dem gekreuzigten Christus diente als Gehsteig über den Dorfbach, dem Mühlengraben, Gestühl und Bänke waren herausgebrochen und verschleppt worden, aber die Mauern standen noch. Seit die Soldaten 1995 abzogen, nutzten die Bewohner des Dorfes die Kirche als Reservoir für Baumaterial. Deshalb sieht die Kirchenruine heute recht desolat aus.
Letzter Pfarrer in Puschdorf war Paul Just (9. 9. 1889 – 24. 1. 1949). Er ließ in seinen Predigten durchaus seine kritische Einstellung zum Nationalsozialismus erkennen und brachte sich damit in Gefahr. Doch die Gemeinde hielt zu ihm. Nach der Vertreibung war er Pfarrer in Hohn bei Rendsburg, bemühte sich von hier aus um die Sammlung seiner alten Schäfchen und half in vielen Fällen über die erste Not. Allerdings starb er schon sehr bald.
Ein alter Puschdorfer hat seine wehmütigen Erinnerungen in Verse gekleidet:
HEIMATLAND OSTPREUSSEN
(von Albert Sabrowski, geb. 15.12.1919)
Heimat, was ist nur geschehn,
wie muss ich dich wiedersehn,
was hat man mit dir gemacht?
Wo einst schmucke Dörfer standen,
wir nur ein paar Trümmer fanden.
Wer hat das zustand gebracht?
Felder, wogend voll Getreide,
einstmals eine Augenweide,
nichts ist mehr davon zu sehn.
Überall, wohin ich schaute,
fremde Menschen, fremde Laute,
auf Schildern fremde Namen stehn.
Traurig wand ich meine Schritte,
ich hatte nur noch eine Bitte:
Schnell vergessen, was ich sah.
Doch plötzlich hab’ ich aufgeschaut,
dieser Laut war mir vertraut,
suchend schaut’ ich in die Luft.
Trillernd schlug es an mein Ohr,
eine Lerche stieg empor,
es war so, als ob sie ruft.
Wenn auch die Menschen fremd mir sind
und die ich kannte, nicht mehr find,
ein kleiner Vogel sagte mir:
“Deine Wurzeln, die sind hier”.
Freudig klopfte jetzt mein Herz,
vergessen war mein Seelenschmerz
und plötzlich habe ich erkannt:
Vergiss, was dich noch hat betrübt,
es ist das Land, das du geliebt:
Es ist das alte Heimatland Ostpreußen.
Umfangreiche Dokumentation über Puschdorf: http://www2.genealogy.net/privat/neumann/Projekt/Puschdorf/puschdorf.html