Rautenburg

Rautenburg

Hier gab es ein Herrenhaus, das 1673 unter Philipp de la Chièze gebaut und 1915 erneuert worden war (Das Baudatum ist umstritten. U. U. entstand das Haus erst nach 1744[1]). Der Witwer Philipp de la Chièze heiratete am 28. 5. 1669 Katharina von Rautter (17. 2. 1650 – 1703) aus dem Hause Rautter-Willkamm. Er hatte das Schloß in Caputh bei Potsdam gebaut, wo der Große Kurfürst ihm das Grundstück geschenkt hatte, tauschte aber 1671 diesen Besitz zu Gunsten der Kurfürstin gegen 150 Hufen trocken zu legenden Landes im Amt Tilsit im Memel-Delta. Bereits 1669 verpflichtete er sich zusammen mit Carl von Reeden, Hauptmann von Oranienburg, auf eigene Kosten 25 Dörfer in der Memelniederung mit 203 Hufen und 25 Morgen zu entwässern und urbar zu machen.[2] Das Schloß in Ostpreußen, das Philipp errichtete, nannte er zu Ehren seiner Frau „Rautenburg“.

Philipp de la Chièze (25. 12. 1629 – 1673) war gebürtig in Amersfoort in den Niederlanden als Abkömmling der italienischen Familie Chieza.[3] Er trat als Hauptmann der Schlossgarde in die Dienste des niederländischen Fürstentums Orange in Südfrankreich, wo Friedrich zu Dohna Gouverneur war und zählte bald zu Dohnas Vertrauten. Nachdem Orange 1660 von den Soldaten Ludwigs XIV. erobert wurde, trat er 1661 in brandenburgische Dienste, erst als Kammerjunker und erster Baumeister des Kurfürsten, später als General-Quartier-Meister und Oberst. Als Baumeister war er in den Bau der Schlösser in Potsdam und Oranienburg involviert.

1669 heiratete Philipp de la Chiéze die Katharina von Rautter-Willkamm und hatte mit ihr den Sohn Friedrich Wilhelm. Philipp starb bereits 1673 und seine Frau Katharina heiratete 1679 den Freiherrn Wolfgang Christoph Truchseß zu Waldburg (11. 2. 1643 – 26. 1. 1688), Generalmajor und Gouverneur der Festung Pillau und ab 1686 Reichsgraf. Aber auch in dieser Ehe wurde sie erneut Witwe.[4]

Die Familie von Waldburg gehörte zu einem der ältesten und vornehmsten Geschlechter in Deutschland und hatten ihre Stammburg auf einem Berg bei Ravensburg, unweit des Bodensees. Schon zu Zeiten des Stauferkaisers Friedrich II. stellten die Waldburgs bedeutende Verwaltungsbeamte für das Deutsche Reich und Friedrich Barbarossa hatte sogar die Reichsinsignien nach seiner Krönung 1155 in Rom auf Schloß Waldburg verwahren lassen. 1502 wurden die Waldburgs Reichsfreiherren und 1628 Reichsgrafen, 1525 ernannte sie Kaiser Karl V. zu Reichs-Erbtruchsessen. Als sie 1803, kurz vor dem Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, in den Reichsfürstenstand erhoben wurden, verfügte die Familie über Ländereien im Umfang von 47.500 Hektar. Friedrich Truchseß von Waldburg wurde Anfang des 16. Jhs. von seiner Familie als Mitglied in den Deutschen Orden delegiert, ging nach Preußen, machte dort bald Karriere und begründete die protestantische Linie der Waldburgs. Herzog Albrecht belehnte ihn mit dem Ordenshof Grünhof und 1535 mit Landsberg und den Gütern Wildenhof und Jäschkendorf. In fünfter Generation stellte die preußische Linie sieben Generale und einen großen Reformer.[5]

Katharina Truchseß zu Waldburg war eine tatkräftige und willensstarke Person. Sie führte die von Philipp de la Chièze begonnenen Kanalarbeiten in der Memelniederung fort und schuf 1689 – 1697 den Großen und Kleinen Friedrichsgraben, die zusammen mit Gilge und Deime eine schiffbare Verbindung zwischen Memel und Pregel herstellten und den Schiffern den Weg über das unkalkulierbare Haff ersparte. Aus den Kanalgebühren für die Schiffspassagen zog Katharina einigen Nutzen, bis die Kanäle 1713 in staatlichen Besitz übergingen.[6] Außerdem ließ sie nach den Plänen ihres ersten Mannes 1700 die Kirche in Lappienen/Rauterskirch errichten.

Nächster Besitzer von Rautenburg wurde der Sohn Carl Ludwig Graf Truchsess zu Waldburg (um 1683 – 24. 4. 1738), der “schöne Truchsess”, nachdem sein erbender Halbbruder Friedrich Wilhelm von Chièze sich hatte auszahlen lassen. Er wurde 1708 Amtshauptmann von Lyck und 1712 Amtshauptmann von Insterburg und ließ sich in Berlin ein großes Palais bauen.[7]

Die Enkelin von Katharina und Wolfgang Christoph Truchseß zu Waldburg, die kunstsinnige (siehe weiter untern) Caroline Charlotte Amalie Truchsess zu Waldburg (gest. 1792), heiratete in erster Ehe den Grafen Johann Gebhard von Keyserlingk (1699 – 1761), der 1744 das Schloss Rautenburg käuflich erwarb, und nach dessen Tod in zweiter Ehe 1763 den Reichsgrafen Heinrich Christian von Keyserlingk (gest. 24. 1. 1788), Neffe des gestorbenen Ehemanns, und in der Familie von Keyserling blieb der Besitz bis 1945. Das Land dieser Gegend wurde jährlich überschwemmt, eignete sich aber sehr gut für die Viehzucht. Dabei waren die Bullen aus Rautenburg besonders geschätzt. Nach 1848 betrug die Fläche der Begüterung 1.872 ha, davon zwei Drittel als Wiesen und Weiden.

Die Truchseß von Waldburg residierten inzwischen auf Schloß Capustigall im Kreis Königsberg Land, das später in „Waldburg“ umbenannt wurde. Nach der Abschaffung der Majorate nach 1918 wandelte man Rautenburg um in ein Deichgut, das „Deichgut Grafschaft Rautenburg“, das man nicht aufteilen oder parzellieren durfte. Schloß Rautenburg wurde am 7. Mai 1945 nieder gebrannt und erlitt somit dasselbe Schicksal wie Schloß Capustigall.

Der Bau des Haffdeichs um 1890 hatte die fatale Nebenwirkung, dass der Grundwasserspiegel um 65 cm sank. Damit gerieten die Fundamente insbesondere der Wirtschaftsbauten in Gefahr, zu verfaulen. Da eine erneute Fundamentierung zu teuer geworden wäre, baute man kurzerhand neue Wirtschaftsgebäude auf einer 800 Meter entfernten Sanddüne und hier entstand der neue Wirtschaftshof Rothof. Auch das Schloß war von der Grundwassersenkung betroffen. Deshalb entfernte man das schwere Pfannendach und ersetzte es durch ein leichteres Asbestschieferdach, das durchaus noch viele Jahrzehnte gehalten hätte, wäre das Schloss erhalten geblieben.

Von Königsberg aus unterrichtete Kant zwei Söhne und einen Neffen der Familie von Keyserlingk auf dem Schloss Waldburg – Capustigall. Umstritten ist, ob er auch zeitweilig auf dem Schloss der Familie in Rautenburg war. Jedenfalls existierte eine Zeichnung der Gräfin Caroline Charlotte Amalie von Keyserlingk-Rautenburg, geb. Reichsgräfin von Truchseß-Waldburg (1727-1791 ) von Immanuel Kant, das um 1755 entstanden sein soll und damit das früheste Bildnis des Philosophen wäre, der damals 31 Jahre alt war. Aber auch das ist umstritten und das Bild dürfte in den Wirren des 2. Weltkriegs verloren gegangen sein. Die sehr gebildete Gräfin führte einen beliebten Königsberger Salon und verkehrte mit berühmten Leuten wie dem musikalischen Königsberger Wunderkind Johann Friedrich Reichardt, mit Johann Gottfried Gottsched und eben mit Kant. Sie war noch dazu eine begabte Zeichnerin. Auf Betreiben von Daniel Chodowiecki wurde sie sogar Mitglied der Berliner Königlichen Preußischen Akademie der Künste.

Das Jahr 1867 war ein Unglücksjahr für die Elchniederung und den gesamten Norden Ostpreußens. Es regnete und stürmte ohne Unterlass, das Getreide verfaulte auf dem Halm und die Kartoffeln im Acker Das ohnehin feuchte Gelände versumpfte noch mehr. Heerscharen von hungrigen Wanderratten flüchteten vor den Wassermengen und fielen Tiere und Menschen an, fraßen Felder und Scheunen leer, drangen selbst in die Wohnbehausungen ein, wenn nicht alle Fugen sorgfältigst abgedichtet waren. Als Folge verbreitete sich eine große Hungersnot. Doch es entwickelte sich auch eine große Hilfsbereitschaft, besonders im Gebiet von Alt Lappienen. Vaterländische Frauenvereine richteten hier öffentliche Suppenküchen ein, als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme ließ man Chausseen bauen und Stoffe spinnen, spendete Geld. Der Oberburggraf von Keyserlingk in Rautenburg richtete auf seine Kosten ein Magazin mit Königsberger Getreide ein, das in kleinen Mengen an die Bedürftigen abgegeben wurde. Noch Jahrzehnte danach hielt sich die Erinnerung an diese böse Zeit im Bewußtsein der Niederunger. Hermann Sudermann schilderte diesen Sommer in seinem “Bilderbuch meiner Jugend”, der in Lyck geborene Schriftsteller Horst Biernath hat den furchtbaren Sommer in seiner Erzählung “Erlkönig im Memelland” dokumentiert.

Am 20. Oktober 1944 mussten sämtliche Einwohner Rautenburg verlassen, am 20. Januar 1945 rückte die Rote Armee ein. Im Mai 1945 brannte es im Schloss, doch es war noch teilweise bewohnbar, wenn auch völlig ausgeplündert. Die Kuhställe waren noch intakt, in der Scheune lagerte unversehrt Heu und Stroh. Von aller Pracht ist nichts geblieben. Das Schloss, der schöne Park und die Wirtschaftsgebäude sind verschwunden und nichts deutet mehr auf die einstige Kultur und Zivilisation an diesem Standort hin. [8]


[1] Gabriele Bastemeyer, Schloss und Grafschaft Rautenburg, Der Kreis Elchniederung gestern und heute, herausgeg. 2006, S. 181
[2] Gabriele Bastemeyer, Schloss und Grafschaft Rautenburg, Der Kreis Elchniederung gestern und heute, herausgeg. 2006, S. 170
[3] so Gabriele Bastemeyer, Schloss und Grafschaft Rautenburg, Der Kreis Elchniederung gestern und heute, herausgeg. 2006, S. 170
[4] Wulf D. Wagner, Gerdauen I, S. 75 f
[5] Hans Graf zu Dohna, Waldburg-Capüustigall, S. 55
[6] Hans Graf zu Dohna, Waldburg-Capustigall, S. 46
[7] Gabriele Bastemeyer, Schloss und Grafschaft Rautenburg, Der Kreis Elchniederung gestern und heute, herausgeg. 2006, S. 171
[8] Gabriele Bastemeyer, Schloss und Grafschaft Rautenburg, Der Kreis Elchniederung gestern und heute, herausgeg. 2006, S. 175