Rossitten

Geschichte von Rybatschij – Rossitten

Da die nördliche Wildnis schwer zu durchdringen war, kam der Kurischen Nehrung als Landbrücke nach Livland große strategische Bedeutung zu. Um diese zu sichern, legte der Orden 1283 etwa 10 km nördlich von Rossitten die Burg Neuhaus an. Um 1330 errichtete der Orden in Rossitten eine Burg, vermutlich ein Wildhaus, wo ab 1379 ein Gestüt unterhalten wurde. Es war Sitz eines Pflegers, der auch Fischmeister war, und unterstand der Komturei in Königsberg. Es gab eine Ziegelei, die den hier vorkommenden Lehmboden für die Herstellung von Ziegelsteinen benutzte, und diese wurden bis nach Memel geliefert. Nach dem Frieden vom Melnosee 1422 verlor das Wildhaus seine strategische Bedeutung. 1470 wurde ein Krug vor dem Schloss erwähnt, als der Krüger Hans Schröter Ackerland und Wiese zugeteilt bekam. Es wurde in der Herzogszeit Kammeramt, dann Domänenamt für die südliche Kurische Nehrung. Die Burg wurde 1595 schon als verfallend beschrieben, ihre Reste nach und nach ins Haff gespült. Immerhin soll sie der Schauplatz in E. T. A. Hoffmanns Werk „Das Majorat“ gewesen sein.

Der Ort fand 1372 erstmals urkundliche Erwähnung. 1389 wurde im Großen Ämterbuch des Deutschens Ordens ein Krug eerwähnt. Es gab fruchtbaren Geschiebemergel und deswegen befand sich hier ein Bereich auf der kurischen Nehrung, wo intensive Landwirtschaft betrieben werden konnte. Deshalb findet man im Ort nicht nur Fischerkaten, sondern auch Bauernhöfe.

Rossitten wurde zunächst Haupt-Kirchenort der Nehrung, verlor diese Position jedoch, als man 1550 Kirche und Pfarramt für 250 Jahre nach Kunzen – 3 Kilometer südlich – verlegte, obwohl dieser Ort nur über die Hälfte der Einwohner von Rossitten verfügte. Mit der Kirche zog wohl auch die Schule nach Kunzen um. 1569 wurde ein Pfarrer Crispinus Liebermann genannt. Der wurde mit Ackerland und Wiesen ausgestattet und verdiente 70 Mark/Jahr. Kunzen musste bald nach 1800 aufgegeben werden, weil der Ort unter den Sandmassen einer Wanderdüne verschwand. Dafür entwickelte sich Rossitten, das dann 1722 erstmals wieder als Siedlungsraum erwähnt wurde, im 19. Jh. zu einem der großen Dörfer der Nehrung und wurde vielfach von Touristen besucht. Noch vor dem 1. Weltkrieg entstand im Hafen eine Mole, wo Dampfer aus Cranzbeek und Memel anlegten.

Rossitten wurde berühmt durch Prof. Johannes Thienemann (1863 – 1938). Der wurde im Pfarrhaus von Gangloffsömmern, Thüringen, geboren, interessierte sich früh für die Vogelkunde und führte bereits als 10jähriger ein ornithologisches Tagebuch. Nach dem Studium der Theologie war Thienemann Pfarrer und Lehrer. Nachdem er 1896 bei einer Studienreise auf die Kurische Nehrung die dortige vielgestaltige Vogelwelt kennen gelernt hatte, begründete er einen neuen Abschnitt in seinem Leben. Er studierte in Königsberg Zoologie und eröffnete am 1. 1. 1901 die erste wissenschaftliche Vogelwarte Deutschlands in Rossitten als Außenstelle der Deutschen Ornithologischen Gesellschaft und beschäftigte sich damit, dem Geheimnis des Vogelflugs auf den Grund kommen. Gefördert wurde seine Arbeit, als ihm der Rittergutsbesitzer E. Ulmer aus Quanditten das Geld für ein Beobachtungshäuschen zur Verfügung stellte, mit dem 7 km südlich von Rossitten eine Hütte gebaut wurde, die man als Hinweis auf den Spender „Ulmenhorst“ nannte. Hier konzentrierte sich die wissenschaftliche Vogelbeobachtung Thienemanns, ab 1910 Professor an der Albertina, und hier praktizierte er die von ihm erfundene Beringung der Vögel. Als die Hütte verfiel, war der Forscher so bekannt geworden, dass er 1923 von der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, die die Vogelwarte Rossitten übernommen hatte, ein massiv gebautes neues Haus erhielt. Seine Heimatgemeinde Gangloffsömmern ehrte ihren prominenten Sohn durch eine Gedenktafel an seinem Geburtshaus, angebracht am 12. 5. 2005.

Thienemann entwickelte die Methode, die Füße von gefangenen Vögeln zu beringen, um auf diese Weise den Vogelzug genauer zu erfassen, wenn entsprechende Rückmeldungen erfolgten. Während er dafür in Fachkreisen Anerkennung fand, wurde er aber auch als Tierquäler abklassifiziert. Sein Hauptgegner dabei war der Heidedichter Hermann Löns, der ihn gar mit dem Hauptmann von Köpenick verglich und alle Ornithologen am liebsten in die Hölle geschickt hätte.[2]

Außerhalb südlich von Rossitten in naher Entfernung zum russischen Friedhof trifft man auf demehemaligen deutschen Friedhof mit den gepflegten Gräbern von Professor Thienemann (12. 11. 1863 – 12. 4. 1938), von Deichbauinspektor Epha (8. November 1828 – 16. September 1904) sowie auf das Erbbegräbnis der Familie Reichert, der der Gasthof „Zur Mole“ gehört hatte. Neben dem Grab von Franz Epha liegt der Grabstein für seine Tochter Helene Möschler (1860 – 1925), die mit dem Vogelpräparator der Vogelwarte verheiratet war und als Expertin für Elche auf der Nehrung galt. Deshalb trug sie auch den Beinamen „Elchmutter“.

Die kleine Ansiedlung Kunzen wurde 1895 nach Rossitten eingemeindet. Das Dörfchen entstand erst 1865 zwei Kilometer südlich von Rossitten, als der Gutsherr von Batocki-Bledau, dem große Teile der Nehrung gehörten, dort vier Familien ansiedelte, die ihm an anderer Stelle im Wege waren – vermutlich in Alt-Kunzen, das die Wanderdüne unter sich begraben hatte. Sie erhielten neue Häuser mit Scheunen und Ställen, 10 Morgen Land, die große und kleine Fischerei im Haff, freie Weide bis Sarkau, freien Holzeinschlag und freie Abfuhr von Seetang von der Küste. 1907 errichteten dort zwei russische Damen auf Gemeindeland, das sie gekauft hatten, eine Villa, die nach dem 1. Weltkrieg das Sommerschulheim der Haushalts- und Gewerbeschule Königsberg wurde.[1]



[1] Bruno Knapp, Heimatkunde Kunzen, Unser schönes Samland, Sommer 1975, S. 15
[2] Des „Vogelprofessors“ Erbe, Oprbl. Nr. 43/2005, S. 13

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