Käsereien bestanden bereits zur Ordenszeit. Die eingewanderten Holländer Mennoniten, die seit 1713 mit 105 Familien in der Memeler Niederung siedelten und in großen Mengen ihren „Mennonitenkäse“ vermarkteten, und auch die Salzburger verbesserten die Produktionsverfahren. Vor 1845 wurde in Plauschwarren/Milchbude bei Tilsit von einer Frau Westphal, geb Klunk (um 1790 – 1845) aus der Schweiz, Molkereibesitzerin in Tilsit seit 1840, eine Käserei eingerichtet. Als sie noch nicht verheiratet war, entwickelte sie auf dem Gut Brijohlen bei Tilsit den Brijolehner Käse, ein damals 600 bis 700 Gramm schwerer Weichkäse nach Limburger Art Daraus wurde der Tilsiter Käse, ein geschütteter, ungepresster Käse mit Kümmel und Salz, der in standardisierter Form bezüglich Form, Gewicht und Abmessung seinen Siegeszug in der Käsewelt antrat.[1]
Großen Aufschwung nahm die Käseproduktion in der wirtschaftlich prosperierenden Zeit nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71. Der Anfall an Milch erreichte Größenordnungen, die in traditioneller Weise in Ostpreußen nicht mehr abzusetzen war. Als Ausweg bot sich die Käseherstellung an, denn der Käse war wesentlich haltbarer als Frischmilch, Quark etc. und konnte mit dem neuen Transportmittel Eisenbahn weithin verteilt werden. Die fehlenden Fachkräfte für die Milchgewinnung und die Käseproduktion holte man sich aus der Schweiz, und bis zur Jahrhundertwende wurden viele Käsereien aus der Taufe gehoben. Die Melker aus der Schweiz, die es gewohnt waren, die Kuh umfassend ringsum zu pflegen und zu betreuen, erlangten bald als die „Schweizer“ hohes Ansehen in der Landwirtschaft. Die Bezeichnung wurde sogar als „Schweizarskaja“ in den heutigen russischen Sprachschatz übernommen.
Nach dem Salzbad (2 – 3 Tage in 20%iger Sole bei 12° – 15 °[2]) wird der Tilsiter Laib mit Rotschmiere eingerieben, in feuchten Kellern gelagert und wieder mit Rotschmiere gebürstet. Er hat meist ein Gewicht von 4 – 5 kg und ist nach 4 – 7 Wochen reif. Bald gab es mehrere Hersteller dieses Produkts in und um Tilsit, die sich zum „Verband Tilsiter Käsefabrikation“ zusammenschlossen. 1928 begründete man die Lehranstalt für Tilsiter Käserei in Saußeningken, Krs. Elchniederung, und 1932 führte man freiwillige Milchkontrollen ein. Das Originalprodukt bestand in einem runden Käselaib, 10 cm hoch, 25 cm Durchmesser, zunächst in Pergament, später in Stanniolpapier verpackt. Versandeinheit: 10 Stck. in einer Holzrolle.
Je nach Herkunft und Fettgehalt ist der Tilsiter aromatisch mild bis ziemlich deftig. Er hat winzige Löcher. Der Tilsiter passt gut zu Schwarzbrot mit Butter, ist ein echter Stinker, klebt und zerbröckelt sehr leicht, darf also nicht zu dünn geschnitten werden. Zu dick aber auch nicht, denn dafür ist er zu heftig und mächtig.[3]
Tilsiter Käse wurde in den Kreisen Tilsit, Ragnit, Pr. Holland und Elchniederung nach Hausrezepten hergestellt. Er entwickelte sich bald zum traditionellen Käse Norddeutschlands und des Ostseeraums. Der Name des Käses leitet sich ab von dem Flüsschen Tilse, das der Stadt Tilsit den Namen gab und in die Memel mündet.
Ende der 1930er Jahre existierten allein rund um Tilsit über 50 Molkereien, die jährlich 4.600 Tonnen Tilsiter Käse herstellten. Nach 1945 verfielen alle diese Molkereien.[4] Dennoch wurde auch in der Oblast Kaliningrad noch Käse dieser Art hergestellt. Nach der Umbenennung von Tilsit in Sowjetsk nannte man ihn dann allerdings fortan Sowjetsker Käse, neuerdings aber auch Tilsitski Syr. In Nordostpreußen wird Tilsiter Käse heute in Heinrichswalde hergestellt, wo eine Fabrik dem Vernehmen nach mit 72 Mitarbeitern täglich 2 Tonnen produziert.
Neuerdings produziert man aber wieder Original Tilsiter Käse. Das wurde möglich, weil die Schweizer Otto Wartmann und Hans Wegmüller 1893, also lange vor dem 1. Weltkrieg, vom Land an der Memel in die Schweiz zurückgekehrt waren und die Rezeptur für Tilsiter Käse und das Produktions-Know-how mitgenommen hatten, und danach wird noch heute auf dem Holzhof im Kanton Thurgau Käse fabriziert. Mit dem Segen der Behörden wandelte man den Bereich um den Holzhof in den Flecken Tilsit um und konnte jetzt wieder Original Tilsiter Käse aus Tilsit vermarkten..[5] In der Nordostschweiz gibt es weitere 21 Molkereien, die den Tilsiter Halbhartkäse aus Rohmilch produzieren. Im Jahr 2018 feierte man das 125jährige Jubiläum des Tilsiters in der Schweiz.[10]
Die Tilsiter SO Switzerland GmbH, Geschäftsführer Bruno Buntschu, die den Tilsiter Käse herstellt, bemüht sich darum, direkt in Sowjetsk eine Käsefabrik zu bauen. Sie soll verbunden sein mit einem 40 Meter langen Schautrakt, wo Besucher durch eine Glasfront die Herstellung des Käses beobachten können. Der Standort für die Fabrik, die 30 – 50 Arbeiter beschäftigen soll, befindet sich im Vorort Senteinen an der Königsberger Chaussee. Die Grundsteinlegung soll im September 2012 erfolgen.[6]
Inzwischen ist das Projekt der Käserei gestoppt worden, weil man festgestellt hat, dass in der Oblast Kaliningrad nicht genügend Milch für die Produktion des Tilsiters zur Verfügung steht. Jetzt müssen Milchwirtschaftsbetriebe in der Umgebung von Tilsit oder in der Elchniederung angesiedelt werden, was sicher einige Zeit in Anspruch nehmen wird. Aufgeschoben ist also nicht aufgehoben.[7]
In Ragnit wurde am 1. 10. 2016 eine Käsemanufaktur feierlich eröffnet. Der russische Unternehmer Iwan Artjuch hatte in einem rekonstruierten Vorkriegsgebäude eine handwerkliche Fertigungsstätte eingerichtet, wobei ausdrücklich angemerkt wurde, dass die Herstellung ohne Zusatzstoffe und Beschleuniger erfolgt und der Geschmack des Käses das Gras der auf den Memelwiesen grasenden Milchkühe zur Geltung kommen lassen soll. Die Monatsproduktion kann bis zu vier Tonnen betragen und Besucher können den Produktionsprozess hinter einer Glasscheibe beobachten.[9]
Plauschwarren war ein Vorwerk des Gutes Schilleningken. Die Güter Groß und Klein Plauschwarren lagen dicht beieinander südlich von Pogegen und unweit der Memel. Die Memel überschwemmte jedes Jahr das Land und der herantransportierte Schlick sorgte dafür, dass die Wiesen in dieser Gegend ungemein frchtbar waren und viel Heu lieferten. Das erklärt auch den hohen Stellenwert der Milchwirtschaft hier. Letzter deutscher Besitzer oder Pächter des Gutes Adlig Klein Plauschwarren waren Ludwig Jagst und seine Frau Anna Margarethe Helene, geb. Bastian. Beide wurde von den sowjetischen Eroberern nach Sibirien geschickt. Der Mann starb bereits auf dem Transport dorthin, die Frau später im Lager im Ural. Das Gutshaus wurde gesprengt, der Pferdestall später zu einem Wohnhaus umgebaut.[8]
[1] Albrecht Dyck, Tilsiter Käse aus Schillen, Tilsiter Rundbrief, Pfingsten 2012, S. 74
[2] Molkereimeister Albrecht Dyck, Tilsiter Rundbrief, Pfingsten 2012, S. 75
[3] Käse für Fortgeschrittene, Welt online, 5. 4. 2009
[4] Hans Dzieran, Der “Tilsiter” will an die Memel zurück, Tilsiter Rundbrief, Pfingsten 2012, S. 76
[5] Hans Dzieran, Der “Tilsiter” will an die Memel zurück, Tilsiter Rundbrief, Pfingsten 2012, S. 77
[6] H.Dz., Käsefabrik in Tilsit geplant, Oprbl. Nr. 11/2012, (17. März), S. 13
[7] Hans Dzieran, Grußworte in Land an der Memel/Tilsiter Rundbrief, Weihnachten 2013, S. 12
[8] Helmut Wiedemann, 4. 3. 2014 – ohhwiedemann@gmx.de; Dr. Hans Reimer, Plauschwarren: Wiesenwirtschaft,
[9] Hans Dzieran, „Der Tilsiter“ ist heimgekehrt!, in Land an der Memel, Pfingsten 2017, S. 116
[10] Schweizer Bauernzeitung online, 14. 6. 2018