Tollmingkehmen

Geschichte von Tschistyje Prudi – Tollmingkehmen

Tollmingkehmen ist berühmt durch seinen Pfarrer Christian Donelaitis und weist eine interessante Geschichte seiner Gutsbewirtschaftung auf.

Der Überlieferung nach gründete ein Mann namens Tolmein oder Talmin das „Dorf am Wasser“ Tollmingkehmen – Dorf auf litauisch heißt „kehmen“. 1539 gilt als das Gründungsjahr des Dorfes, das 1589 zum Kirchspielort wurde. Das Kirchspiel litt ganz besonders unter der großen Pest von 1708 – 1710 in Verbindung mit gravierenden Missernten. Die geschrumpfte Bevölkerungszahl glichen vorwiegend Zuwanderer aus Litauen, um 1730 zusätzlich aus Nassau und Salzburg aus.

1731 richtete man in Tollmingkehmen ein Domänengut als königliches Vorwerk ein. Es umfasste 50 ha Acker, 16 ha Wiesen sowie einen Anteil Wald in der Rominter Heide. Dieser Besitz wuchs bis auf fast 800 ha an. Das königliche Vorwerk wurde 1812 zusammen mit Samonienen zur Versteigerung ausgeschrieben. 1817 erwarb Johann (II) Kaeswurm, Krüger in Walterkehmen und Gutsbesitzer in Sodehnen, Tollmingkehmen und 1821 Samonienen. Von ihm erbte Johann (III) Kaeswurm den Besitz, dessen Sohn Hans das Gut an seinen Neffen Hans Zerniko verkaufte, während Samonienen bei Bertha Kaeswurm (1824 – 1906) verblieb. Nachdem Dr. Otto Rothe, einer Salzburger Familie entstammend, Margarete Zerniko geheiratet hatte, erwarb er 1904 Gut Tollmingkehmen und 1906 Gut Samonienen und so blieb der Besitz bis zur Flucht aus Ostpreußen beisammen.

Seit 1787 befand sich bis 1944 auf der Domäne und auf dem nachfolgenden Gut eine Deckstation des Landgestüts Georgenburg für 3 – 5 Hengste. Im 20. Jh. gab es 70 Milchkühe aus Herdviehzucht. Die Schweinehaltung war unbedeutend, die Schafherde war nach dem 1. Weltkrieg abgeschafft worden.

Im Zuge der großen preußischen Verwaltungsreform gelangte Tollmingkehmen 1818 – 1841 in den Kreis Stallupönen, kam dann aber im Tausch mit Mehlkehmen an Goldap.

Um 1820 waren 120 Kinder zu beschulen, was mit erheblichen Raumproblemen einherging. Erst der massive Protest der Schulgemeinde führte 1853 zu einem Neubau, der heute noch steht.

Bereits 1860 erhielt Tollmingkehmen den Anschluss an das Eisenbahnnetz als Station auf der Verbindung Stallupönen – Goldap.

1948 ließ sich in Tollmingkehmen, jetzt Tschístyje Prudý, die Sowchose Nr. 19 nieder, eine der sowjetischen Landwirtschaftsbetriebe für die Fleisch- und Milchproduktion. Sie startete mit erheblich kranken Tieren und baute den Viehbestand bis 1963 auf 3.706 Stück aus. Bewirtschaftet wurden 1976 insgesamt 9.496 ha Land. Der Betrieb galt aber trotz oder vielleicht auch wegen seiner Größe als die schlechteste Sowchose in der Oblast Kaliningrad mit der niedrigsten Milchleistung und dem geringsten Getreideertrag. 1993 privatisierte man den inzwischen verwahrlosten Betrieb als Genossenschaft. Das Gutshaus hatte den Krieg einigermaßen heil überstanden, existiert aber nicht mehr. Bis 1998 waren alle Gebäude des Gutes bis auf einen Stall und den Speicher abgeräumt, die Ziegel zu Geld gemacht. Im Jahr 2004 erwarben Moskauer Investoren ca. 80 % des Sowchos-Landes und beseitigten auch noch die letzten vorhandenen Gebäudereste.

Wenn teilweise auch verändert, existieren in Tollmingkehmen noch die Schule als veterinärmedizinische Station, Bahnhof und Post als Wohnhaus, Milchstation, Lehrerhaus, Gemeinschaftshaus, Kino, Gasthaus und Kolonialwarenhandlung. Dazu gibt es etliche Neubauten, denn die Einwohnerzahl hat sich mit 1.500 fast vervierfacht.

Langjähriger Pfarrer in Tollmingkehmen war Christian Donelaitis, latinisiert Donalitius (1. 1. 1714 – 14. 2. 1780), geboren in Pervomajskoe – Lasdinehlen/ Gut Altkrug nahe Gumbinnen als Sohn eines Köllmers und als litauischer Preuße oder preußischer Litauer. Er studierte Theologie in Königsberg und wurde Lehrer und später Rektor an der Schule in Stallupönen, bevor er 1743 das Pfarramt in Tollmingkehmen übernahm. Er sprach litauisch so gut wie deutsch, machte Übersetzungen ins Litauische und beschrieb das Leben in seiner Gemeinde in populären Versen. Als Pfarrer war er sehr beliebt, gilt den Litauern aber vor allem als ihr Nationaldichter. Die litauische Donalitius-Gesellschaft und insbesondere deren Vorsitzender Dr. Napolionas Kitkauskas bemühten sich deshalb nachhaltig um den Erhalt der Kirche und des Pfarrhauses. Donelaitis Hauptwerk, das Versepos „Die Jahreszeiten“, erschien erst 1818, nach seinem Tod. Litauer schufen vor einigen Jahren in Lasdinehlen einen kleinen Park und stellten dort einen Gedenkstein auf, der die Inschrift trägt: “Hier wurde am 1.Januar 1714 der litauische Dichter Kristijonas Donelaitis geboren”. Pervomaiskoe – Lasdinehlen/Altkrug liegt nahe der Hauptstrasse von Gusev nach Nesterov – gut vier Kilometer hinter Gusev. Auf der Höhe von Pervomaiskoe ist ein Hinweisschild aufgestellt. Es zeigt nach Norden, wo die Gedenkstätte für Kristijonas Donelaitis zu finden ist.

Umfassende Informationen über Tollmingkehmen und darüber hinaus über viele Orte im Kreis Goldap und Kreis Stallupönen bietet Dr. Wolfgang Rothe mit den Büchern:

Kirchspiel Tollmingkehmen – ein Beitrag zur Siedlungsgeschichte in Preussisch Litthauen

Dörfer in der Rominter Heide: Kreis Goldap und Kreis Stallupönen in Ostpreußen,

zu beziehen beim Autor: Am Vierkotten 2, 45259 Essen, Tel.: 0201 46 38 07.

Literatur

Dr. Wolfgang Rothe “Zur Siedlungsgeschichte in Preußisch Litthauen”

Resultate von Geschichtsschreibung begegnen dem Leser üblicherweise in
der Form zu-sammenfassender Darstellung und Wertung. Ergebnisse solcher
Art bedürfen der Detailar-beit, die Recherche im Kleinen voraussetzen,
woraus sich dann ein Gesamtbild ergibt, wie in einem Mosaik. Dafür
liefern die Autoren W. Rothe, H. Keding, S. und E. Mildenberger und E.
Salewski ein klassisches Beispiel. In dem zweibändigen Werk von Wolfgang
Rothe / Dan-iela Wiemer „Zur Siedlungsgeschichte von Preußisch Litauen
am Beispiel der Region des Kirchspiels Tollmingkehmen und Umgebung“ ist
bereits die große Linie vorgezeichnet. Sie konnte nur so eindrucksvoll
gelingen, weil dem detaillierte Untersuchungen und Erkennt-nisse zu
Grunde lagen. Der Band „Zur kleinbäuerlichen Struktur in Preußisch
Litthauen (Reg.-Bezirk Gumbinnen) liefert sie jetzt gesondert. Mit
Beispielen aus Wittigshöfen/Ballu-pönen Kroscheln und Serguhnen im
Kirchspiel Tollmingkehmen in Ostpreußen wird die Mikrostruktur
beschrieben und erläutert. So entsteht ein Bild von einprägsamer
Deutlich-keit von den äußeren Gegebenheiten, den als selbstverständlich
empfundenen Lebensum-ständen und der Bewältigung des täglichen Lebens
der Bevölkerung. Die tägliche Mühsal, die Entbehrungen und die daraus
folgende Genügsamkeit sind Erkenntnisse, die sich dem Leser als Eindruck
des klein-bäuerlichen Lebens vermitteln.
Solche Darstellungen können nur durch das Zusammentragen sehr vieler
Daten und Fak-ten gelingen. Dazu hat eine Vielzahl namentlich genannter
„Helfer“ beigetragen. Von den fünf als Autoren ausgewiesenen Beteiligten
sind Siglinde und Edgar Mildenberger wegen ihrer Kompetenz auf dem
Gebiet des Drucks für die gefällige Gestaltung und Layout hervor zu
heben, ohne daß damit die Beiträge der anderen geschmälert werden sollen.
Inhaltlich ist das Buch ein Gegenstück zu dem, was man gemeinhin über
die Landwirt-schaft in den früheren deutschen Ostgebieten liest. Nicht
das Leben auf Gütern und von Großgrundbesitzern wird vorgeführt, sondern
das ärmliche Dasein und der Existenzkampf kleiner Bauern und ihrer
Familien. Mit den Schilderungen des Lebens auf Höfen mit 17 ha und einem
Kleinbauernhof von 6 ha, heute beide nicht mehr wirtschaftlich tragbar,
denk-bar bestenfalls als Nebenerwerbsstellen, wird der Blick auf das
flache Land gelenkt und damit auf die Situation von Bauern, die zwei
Drittel der landwirtschaftlich genutzten Flä-che der Provinz
bewirtschafteten. Die Beispiele sind typisch für das einfache Leben, die
Mitwirkung aller Familienangehörigen, das Inventar und die Erträgnisse.
So entsteht ein farbiges Bild von Land und Leuten, das man als
Mosaiksteinchen eines Gesamt-Tableaus sehen kann.
Exakte Pläne, Originale und Kopien von Urkunden aller Art, die Auskunft
über vertrag-liche Beziehungen geben, Zeugnisse – im Grunde alles, was
man aufbewahrte als rechtliche und organisatorische Basis des Lebens,
ist zusammen getragen, durch glückliche Umstände gerettet, überliefert –
und vermittelt ein plastisches Gesamtbild der ländlichen Lebenswelt.
Wer sich ein Bild von Preußisch Litthauen, dem östlichen Gebiet des
Regierungsbezirks Gumbinnen zur litauischen Grenze machen will, sollte
diese Veröffentlichung kennen. Die bereits erwähnte
„Siedlungsgeschichte“ bildet dabei das Gesamtgemälde, die jetzt
vorge-legte Arbeit ist ein Blick durchs Brennglas auf einen Ausschnitt.
Eine Reihe farbiger Abbildungen ergänzt die Texte. Sie illustrieren die
beschriebenen Ge-gebenheiten in ihrer Kargheit, aber auch
landschaftlichen Schönheit. Der Band ist für viele Erinnerung, für
andere kann es die Gewinnung von Kenntnissen über eine nicht mehr
exi-stierende Welt sein – eben Geschichte, die im Detail lebendig wird.

Prof. George Turner

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Links

Literaturliste etc. von Wolfgang Rothe

mit Schwerpunkten für Tollmingkehmen, Rominten, Goldap, Trakehnen
http://www.wolfgangrothe.de/Publikationen.htm

Umfassende Biographie von Kristijonas Donelaitis

einschließßlich seiner Schriften und Übersetzungen, Forschungsergebnisse über dem Nationaldichter, Beiträge der Kunst etc. http://www.mab.lt/Donelaitis/en-biografija.html