Das Gräberfeld von Groß Ottenhagen
10.01.2022
Den nachfolgenden Bericht schrieb Jürgen Ehmann, Ottweiler:
Ab Mitte des 19. Jahrhunderts führten Institutionen wie die „Physikalisch-Ökonomische Gesellschaft zu Königsberg“ oder die „Altertumsgesellschaft Prussia“ zahlreiche Ausgrabungen in Ostpreußen durch. Die Funde, überwiegend aus der Römischen Kaiser- und der Völkerwanderungszeit, mit den meist handschriftlichen Ausgrabungsberichten erhielt das im Königsberger Schloss gelegene Prussia Museum[1], dessen ehemaliger Direktor und Herausgeber der Sitzungsberichte der Altertumsgesellschaft Prussia[2] Adalbert Bezzenberger[3] das samländische Gebiet und der angrenzenden Landschaften Natangen und Nadrauen als ein „einziges großes Gräberfeld“ bezeichnete. Der Lehrer Emil Hollack[4] arbeitete für das Prussia-Museum, leitete Ausgrabungen und erstellte 1908 seine berühmte „Vorgeschichtliche Übersichtskarte von Ostpreußen“, in welcher Fundstellen verschiedener Zeitstufen vermerkt sind.[5]
Am 4. Februar 1928 wurden Arbeiter am Rand einer Kiesgrube im Norden des Dorfes Groß Ottenhagen, ca. 30 km östlich von Königsberg und 4 km südlich des Pregel gelegen, auf zwei Steinpackungen aufmerksam. Vor dem ersten Weltkrieg beobachtete man immer wieder Funde von Pferdeskeletten, Trensen und Steigbügeln beim Kiesabbau, allerdings unterblieben Meldungen an die zuständigen Behörden. Die am 5. März und am 25. April 1928 erfolgten Probegrabungen durch den damaligen Direktor des Prussia-Museums, Dr. Wilhelm Gaerte, förderten mehrere Körperbestattungen des 2. Jahrhunderts n. Chr. zutage. Die „Königsberger Allgemeine Zeitung“ vom 7. März 1928 berichtete, dass „man seit Jahren Kies aus einem Berge gefahren“ hatte und dabei auf vorgeschichtliche Funde gestoßen sei. Bei diesem „Berg“ wird es sich aber eher um eine flache Erhebung gehandelt haben, die aus dem umliegenden Flachland nicht mehr als 2 – 3 m herausragte.
Der in Angerburg geborene Herbert Jankuhn[6] untersuchte im Auftrag des Prussia-Museums zwischen dem 27. August bis zum 11. September1928 die Fundstelle. Die „Königsberger Allgemeine Zeitung“ berichtete, dass sich Gräber aus zwei verschiedenen archäologischen Perioden auf der Nekropole vereinten. Im Nordteil des ca. 120 m langen und 10 m breiten, untersuchten Streifens am Rande der Kiesgrube konzentrierten sich Gräber des 2. und 3. Jh. n. Chr., im Süden wurden mehrere Gräber des 6. bis 8. Jh. aufgedeckt.
Vom 14. bis zum 25. April 1930 leitete Herbert Jahnkuhn weitere Ausgrabungen. Insgesamt sind bis zum Abschluss dieser Grabungskampagnen 106 Befunde aufgedeckt worden, darunter 78 Bestattungen.
Danach fanden bis zum 26. Februar 1936 keine archäologischen Untersuchungen an der Kiesgrube von Groß Ottenhagen statt, als man das Prussia-Museum telefonisch über den Fund einer verdächtigen Steinpackung bei der Anlage einer neuen Kiesgrube informierte. Der Untersuchungsbericht des Prussia-Museum Mitarbeiter Walter Gronau, der nach einer zweitägigen Untersuchung einen Befund mit darüber liegender Steinpackung „hart östlich des alten Gräberfeldes“ mit „Resten aus schon früher zerstörten Gräbern“ dokumentierte, und eine Skizze der Fundstelle gelangten in Berliner Archivalien. Südlich dieser Kiesgrube befanden sich das „Wohnhaus „Blöhmke“, eine Schmiede und eine Scheune.
Bei allen Ausgrabungen fand man aus der römischen Kaiserzeit 25 Körper- und 11 Brandbestattungen, unterteilt in Urnengräber, Knochenlager, Brandschüttungsgräber und Brandgrubengräber, im südlichen Bereich des Gräberfeldes überwiegend Gräber aus der Völkerwanderungszeit, von denen einige durch den Kiesabbau zerstört wurden. Zwölf Brandgrubengräber aus dem Frühmittelalter entdeckte man im östlichen Bereich der Kiesgrube bei Nachuntersuchungen 2003.
Quellen:
Timo Ibsen & Konstantin N. Skvorzov „Das Gräberfeld von Groß Ottenhagen/Berezovka – ein wiederentdeckter Bestattungsplatz des 1. Jahrtausends n. Chr. im Kaliningrader Gebiet“
https://de.wikipedia.org/wiki/Prussia-Museum
http://prussia.online/Data/Book/er/erlaeuterungen-zur-vorgeschichtlichen-uebersichtskarte-von-ostpreussen/Hollack%20Erlaeuterungen%20Vorgeschichtliche%20Uebersichtskarte%20Ostpreussen%20komplett.pdf?bcsi_scan_f131b7438e4ff9c2=0&bcsi_scan_filename=Hollack%20Erlaeuterungen%20Vorgeschichtliche%20Uebersichtskarte%20Ostpreussen%20komplett.pdf
Wagner, Wulf D. „Die Altertumsgesellschaft Prussia“
Fotos:
„Pferdebestattungen 101 A und 101 B im Bereich der östlichen Grabgruppe des 10. und 11. Jh.“ aus Timo Ibsen & Konstantin N. Skvorzov „Das Gräberfeld von Groß Ottenhagen/Berezovka – ein wiederentdeckter Bestattungsplatz des 1. Jahrtausends n. Chr. im Kaliningrader Gebiet
[1] Das Prussia-Museum in Königsberg war die vorgeschichtliche Abteilung der Altertumsgesellschaft Prussia und sammelte Dokumente und Exponate zur Landes- und Volkskunde Ostpreußens.
[2] Die „Alterthumsgesellschaft Prussia“ wurde 1844 von Ernst August Hagen gegründet.
[3] Geboren 14. April 1851 in Cassel; verstorben 31. Oktober 1922 in Königsberg, war von 1891 bis 1916 Direktor im Prussia-Museum.
[4] Geboren 17. August 1860 in Grünwalde; verstorben 20. Mai 1924 in Königsberg.
[5] Erschienen im Kommissions-Verlag von Carl Flemming, Berlin, 1908.
https://kpbc.umk.pl/dlibra/publication/81084/edition/87589/content
[6] Herbert Jankuhn studierte in Berlin und Königsberg Germanistik, Geschichte und Vorgeschichte.