Die Königsberger Industriellen und Unternehmen sowie ihre Betriebe und Manufakturen

Ein Bericht von Manfred Weigel

September 2011

Die Randlage Ostpreußens machte es notwendig, viele Industrieprodukte an Ort und Stelle zu erzeugen. Es verwundert daher nicht, dass unternehmungsfreudige Menschen sich hier ansiedelten und ihre Erfahrungen einbrachten. So finden sich Schiffbau, Stahlbau, Fahrzeugbau, Holzverarbeitung, Zellstoff-Fabrikation, Zucker-Produktion neben allen Spielarten von Ackerbau und Viehzucht. Bei eigentlich allen Industriellen fällt das starke soziale Engagement sowohl für ihre Betriebsangehörigen als für das Wohl und die Entwicklung des Gemeinwesens und der Region auf, was sich natürlich in großem Ansehen, allgemeiner Beliebtheit und Motivation der Mannschaften niederschlagen sollte.

Das zeitweilig größte Unternehmen stand in engem Zusammenhang mit der Entwicklung des Schienenverkehrs.

Es macht Sinn, die einzelnen Firmen nicht völlig getrennt zu betrachten, denn es gab zahlreiche familiäre Verbindungen.

Die Ursprünge der Waggonfabrik L.Steinfurt gehen zurück in das Jahr 1830 und auf ihren Gründer Benjamin Leopold Steinfurt, der 1804 in Königsberg i.Pr. geboren wurde und dort 1864 starb. Er war verheiratet mit Amalie Wulff und hatte mit ihr eine Tochter, die den Ingenieur Fritz Heumann heiratete. Standort der Firma war von 1830 bis 1843 in der Badergasse und danach bis 1903 am Weidendamm.

Bereits im Jahre 1764 erhielt der Berliner Daniel Itzig von Friedrich, dem Großen, die Genehmigung, eine Silbergießerei in der Butterbergstraße3 zu errichten. 1826 kauft die Frau des Charles Hughes aus Birmingham, die gebürtige Königsbergerin Maria Theodora Christine Hughes, geborene Schnell, das Grundstück Butterbergstraße 3, auf dem Hughes eine Eisengießerei errichtet, die Union-Gießerei. Häufig wird auch davon gesprochen, dass die Firma an der Oberlaak gelegen habe. Beides ist richtig, da das Gelände zwischen beiden Straßen lag, nachdem man 1833/1835 die Grundstücke Oberlaak 2-5 hinzugekauft hatte. Hughes lebte vom 16.4.1781 bis 31.12.1839. Ab 1.Mai1828 werden Gustav Schnell, Friedrich Laubmeyer und Carl-August Dultz als Investoren und Eigentümer der Firma genannt. In einer anderen Quelle wird Hughes hier in einem Atemzug genannt und als treibende Kraft und besonders unternehmungslustig beschrieben. Sie schließen einen so genannten Mastopie-Contract (auch Mascopie-Contract). Der beinhaltet die Verteilung von Gewinnen und Verlusten unter den drei (vier) Teilhabern. Sie sind untereinander verschwägert und haben achtunddreißig Kinder in drei Familien. Die Firma leidet anfänglich unter der Tatsache, dass es in ganz Ostpreußen keine gelernten Former gibt. Die muss man erst ausbilden und die entsprechenden Ausbilder anwerben. Besonders die Waggonfabrik L.Steinfurt profitierte gleichfalls wenig später von diesen Maßnahmen. Nach dem Tod von Charles Hughes übernahm bis 1842 Carl Steimmig, der Schwiegersohn von Gustav Schnell, verheiratet mit Sophie Amalie, die Leitung, danach bis 1846 dessen Bruder Rudolf Steimmig. Nach dem Eintritt des 33jährigen Maschinenbauers und Eisenfabrikanten aus Wendinghofen bei Kamen in Westfalen Gottfried Ostendorff 1845 wächst die Firma schnell von 100 Personen auf über 700 in 1869 und 1000 in 1911. In den ersten 20 Jahren haben die Gründer hauptsächlich investiert und wenig Gewinn gemacht. Sie ziehen sich nach dem Eintritt von Ostendorff weitgehend aus dem Tagesgeschäft zurück und übertragen ihm 1852 das Alleinvertretungsrecht. Abgesehen von großen Kessel- und Dampfmaschinen-Anlagen wurden um 1854 in Serien angefertigt: Dreschmaschinen, Rostwerke, Häcksel- und Kartoffelschneidemaschinen, Schrotmühlen, Kleehau- und Getreidequetschmaschinen, Pflüge, Kopierpressen, Grabkreuze, Gitter, Pumpen, Ziegelstreichmaschi­nen, Mühlen aller Art, eiserne Öfen, Walzen aller Art, Lokomobilen, Chausseewalzen, hydraulische Aufzüge, Brennereien, Brauereien, Backöfen für Garnisonbäckereien, Feuerspritzen, Pferdestall­einrichtungen, Meiereianlagen u.s.w.. Auch Ostendorff heiratet am 24.6.1847 mit Bertha Schnell, 26.1.1823-4.12.1863, eine Tochter des Hauptgründers. Zu gleicher Zeit beginnen die Planungen für eine Eisenbahn-Verbindung zwischen Königsberg und Berlin mit der Konstruktion der Weichsel-Brücken. Die Pregel-Brücken und viele andere ostpreußische Brücken sind auch von Union. 1866 heiratet der verwitwete Ostendorff Charlotte Negenborn, deren Vater Julius die eher kleine Vulkan-Gießerei besitzt und Schwiegersohn von Karl Douglas ist, der 1802 das Bernstein-Regal von Danzig bis Memel pachtete. Das meint das alleinige Recht zur uneingeschränkten Bernsteingewinnung durch Sammlung, Fischung oder Grabung. 1854 veranlasst das preußische Ministerium für Handel, Gewerbe und Öffentliche Arbeiten, dass der Union-Gießerei der Bau einer Lokomotive übertragen werde. Es kommt zum Vertragsabschluss mit der Königlichen Direktion der Ostbahn in Bromberg am 12.9.1854. Am 5.12.1855 liefert die Union-Gießerei die erste Lokomotive einschließlich dreiachsigem Tender mit der Achsfolge 1A1n2, wie sie auch bei der berühmten Maschine „Adler“ von 1835 üblich war, die allerdings mit zweiachsigem Tender, an die Königliche Ostbahn. Der Dampfüberdruck wurde damals mit „90 Pfund pro Quadratzoll“ angegeben. Die Lok erhält den Namen „Gilge“, entsprechend dem gleichnamigen ostpreußischen Ausflugsort am ebenfalls gleichnamigen 45 km langen südlichen Mündungsarm der Memel, und die Bahnnummer 43. Ihre Leistung wurde mit „1800 Zentnern Bruttolast bei einer Stundengeschwindigkeit von neun Preußischen Meilen (67,8 km/h) in einer Steigung von 1:200 (5 Promille)“ bemessen. Auf die britische Insel fühlt man sich vollends versetzt, wenn man liest, dass der Verbrauch der Lok 120 Pfund vom „guten englischen Koks pro Meile“ nicht übersteigen sollte. Union garantierte für eine Laufleistung von 2000 Preußischen Meilen. Die 1A1-Maschinen waren zu diesem Zeitpunkt unspektakuläre Standart-Maschinen, noch mit offenem Führerstand, deren Bau noch bis 1870 fortgeführt wurde, während allerorten bereits mit B- und C-Kupplern teilweise schon mit angedeuteten Führerhäusern experimentiert wurde.

Zu den weiteren Lok-Entwicklungen zählen die T9.3 (Personenzug-Tenderlok, C-Kuppler mit Laufradsatz vorn, Nassdampf-Zwillingstriebwerk) und die T14 (Personenzug-Tenderlok, D-Kuppler mit Laufradsätzen vorn und hinten, Heißdampf-Drillingstriebwerk), die in großer Stückzahl an der Oberlaak gebaut wurden. Die T14 wird auch als „Kampflokomotive“ bezeichnet, weil sie die Elektrifizierung des schnellen Nahverkehrs verhindern sollte. Als Erfindung vermarktet man zwischen 1896 und 1918 die Dultz´sche Anfahrvorrichtung in immerhin 5510 Stück zum Einbau in Nassdampf-Verbund-Lokomotiven. Obwohl Borsig in Berlin beim Lokomotivbau als Wettbewerber auftrat musste man das Verhältnis zwischen Borsig und Union als freundschaftlich bezeichnen, nicht verwunderlich bei der persönlichen Wertschätzung zwischen Borsig und Radok.

Am 18.Juli 1874 wird die 100ste Lok mit einem umfangreichen Dinner gefeiert. Am 2.Juni 1881 wird die Union-Gießerei zur AG. Rudolf Laubmeyer ist Aufsichtsratsvorsitzender und die Vorstände Elias Radok, gestorben 1910, und Arthur Ostendorff, gestorben 1891. Nach dem Tode von E.Radok übernahmen die Oberingenieure Georg Panck (Lokomotivbau), Paul Fischer (Eisen­konstruktionen und Brückenbau) und Regierungsbaumeister Max Hartung (Neubau in Contienen), ein Schwiegersohn von Radok, die Leitung des Werks. Ab 30.3.1910 ist Obering. Georg Panck bis 1923 Vorstand und Obering. Paul Fischer bis 1920. Danach leitet Max Hartung bis zum Eintritt von Dr.-Ing. eh Paul Brehm im November 1925 die Firma allein. Eine Aktie vom 29.12.1922, abgebildet im Lok Magazin 5/98, zeigt die Vorstandsunterschriften Panck und Hartung. 1899 bereits feierte man die tausendste Lok. Am 11.8.1902 liefert Union die erste Heißdampflok mit der Fabrik-Nummer 1222 ab, die nach wenigen Tagen der Erprobung bereits planmäßig zwischen Königsberg und Eydtkuhnen unterwegs ist. 1923 erhielt man als weiteres Patent den Druckausgleichschieber der Bauart „Nicolai“, der später als „Karl-Schulz-Schieber“ bekannt wurde. Als die Fabrik-Anlagen an der Oberlaak endgültig nicht mehr ausreichten begann man 1908 mit dem Bau eines neuen Werkes in Königsberg-Contienen am südlichen Pregelufer westlich der Hafenbecken. Wichtig war ein Bahnanschluss zum Bahnhof Ponarth, um Waren zu empfangen, vor allem aber die Lokomotiven unmittelbar ins öffentliche Schienennetz übergeben zu können. Auf dem Werksgelände gab es zwischen den Werkstätten eine ausgedehnte Schmalspuranlage. Auf der Normalspur erledigte eine elektrische Kranlokomotive den Rangierdienst. Sämtliche Werkstätten waren über Schiebebühnen und Drehscheiben mit dem normalspurigen Gleis verbunden. Über den Bau von Schiffsdampfmaschinen war man immer auch am Bau von Schiffen interessiert oder beteiligt. Dies wurde verstärkt durch den Kauf der bis dahin schon befreundeten Werft von Fechter im Jahre 1912. 1922 erreicht die Zahl der Arbeiter mit 1752 ihren Höchststand. 1869 empfahl der frisch ernannte Geheime Kommerzienrat und Berliner Albert Borsig dem alternden Gottfried Ostendorff den jungen und begabten Ingenieur Elias Radok, der nach dem Tode Ostendorffs 1876 dessen Nachfolger gemeinsam mit Arthur Ostendorff, dem Sohn, werden sollte und die Gießerei zu großem Ansehen führte. 1877 werden als Eigentümer der Union-Gießerei Frida Schnell, geb. Dultz, Lisette Dultz, geb. Schnell und die Familie Gottfried Ostendorff genannt. Anlässlich der tausendsten Lok wurde Arthur Ostendorff die Ehre eines Königlichen Kommerzienrates zuteil. Nach dem Tode von Arthur Ostendorff 1891 wurde Elias Radok alleiniger Direktor. Am 1.Januar 1898 hat Radok die Aktien allein unterschrieben. Ab 1895 gehört er der Handelskammer an. Ab 1896 sitzt er im Stadtrat. 1901 lassen sich die Radoks lutherisch taufen. Gleichzeitig wird aus Elias der Emil. Elias und seine Frau Jenny, geb. Pincus, haben 3 Töchter und 2 Söhne. Else, die Älteste heiratet Max Hartung, der an der Geschäftsführung der Gießerei teilnimmt und Fritz, der Jüngste.

Fritz Radok, geboren am 16.1.1883, wächst in unmittelbarer Nähe und mit der Gießerei auf. Er erlernt das Violinspiel und begeistert sich für die Betriebsabläufe der Pferdebahn. Nach einigen Semestern Maschinenbau an der TH Danzig macht er eine kaufmännische Lehre unter der Aufsicht seines Vaters. Anschließend geht er zum Arbeiten und Sprachenlernen nach Russland, England und Frankreich. Nach dem Tode des Vaters, den er sehr verehrte und dem er später auch in Fleiß und Tüchtigkeit nacheiferte, erwägt Fritz, in Ost-Afrika eine kaufmännische Existenz aufzubauen.

Am 24.März 1913 heiratet Fritz Radok Gertrud, geb. Vageler, in der Luisenkirche. Die Vagelers stammten ursprünglich aus Holland, waren sesshaft im Holsteinischen und übersiedelten in die Gegend südlich von Elbing. Sie pachteten drei Güter aus dem Familienbesitz der Grafen Dönhoff. Dort wird Gertrud am 30.September 1891 geboren.

Unterdessen war die Union-Gießerei noch bis 1928 im alleinigen Besitz der Familien-Aktionäre. Erst danach kamen Banken ins Spiel, die ab 1928 im Zeichen der Weltwirtschaftskrise für die Einstellung der Lok-Produktion und 1930 für das Ende sorgten. Immerhin konnten in den Jahren 1927/1928 noch 40 Lokomotiven der Baureihe 64 und einige wenige der Baureihe 80 an die Deutsche Reichsbahn geliefert werden, von denen einige bei Museumsbahnen überlebt haben. Während die Tenderloks der Baureihe 80 hauptsächlich im Rangierdienst eingesetzt wurden galten die Tenderloks der Baureihe 64 mit der Achsfolge 1´C1´h2 als Personen- und Eilzugloks für Nebenstrecken und leichtere Züge auf Hauptbahnen. Eine im Lok Magazin 5/98 von Johannes Glöckner veröffentlichte Recherche bezüglich zu dem Zeitpunkt noch betriebsfähig erhaltener Loks hat eine pr.T13 in Minden ergeben. Auch der Verbleib von zwei weiteren 92ern und einer 93er ist ihm bekannt gewesen. Eine 89er hat er in den Niederlanden aufgespürt und drei T9.3 in Polen. Etwas ganz Besonderes war in Jaworzyna eine pr.T7 von 1890. Bei der aufgeführten Typenliste ist auch die Schlepptenderlok pr.P8, die spätere Reichsbahn-Baureihe 38 mit dabei. Sie war wahrscheinlich die größte in Contienen gebaute Union-Lokomotive. Die Fa. und also auch der Lokomotivbau ging an die Fa.F.Schichau in Elbing und wurde als Zweigwerk weitergeführt. Die Union-Gießerei erlosch offiziell 1936. Heute arbeitet die Jantar-Werft an gleicher Stelle.

Die frisch verheirateten Radoks zieht es nach Deutsch-Ost-Afrika. Mit Beginn des Ersten Weltkriegs sind sie wieder in Königsberg. Fritz meldet sich patriotisch gesinnt und national begeistert zum Militär, wird aber von einer in Russland eingesammelten Darmerkrankung eingeholt und aus dem Militärdienst entlassen. Am 15.November 1915 tritt er in die Waggonfabrik L.Steinfurt ein, um sein Lebenswerk zu beginnen. Ab 1922 wohnt man in der vornehmen Villa Ottokarstraße 27. 1930 begeht die Waggonfabrik ihr 100jähriges Bestehen.

Nachdem die Waggonfabrik ab 1865 von Fritz Heumann, 22.8.1835-27.11.1905, geleitet wurde, kam 1873 mit K.Gaedeke ein fleißiger Mitarbeiter und Kommanditist hinzu und daraus wurde eine KG. Ab 1886 wurde Fritz Heumann zum Alleininhaber. Das gab ihm die Möglichkeit von Erweiterungen. So baute er Lackier- und Montagehallen und eine Holztrocknungsanlage. Dazu kam ein Lieferanten-Kartell unter 14 norddeutschen Waggonfabriken mit festen Bestellungen der königlich preußischen Eisenbahnverwaltung. Außerdem konnte man nun Spezialwagen, Langholz-, Plattform-, Kühl- und Kokswagen bauen. Hinzu kam ein Geschäft mit Russland, bei dem man in Eydtkuhnen mit Hilfe von Kränen beladene Wagenkästen auf die jeweiligen Unterwagen der Normalspur 1435mm bzw. der russischen Breitspur 1524mm, nunmehr 1520mm umsetzte.

Fritz Heumann wurde am 22.8.1835 in Aachen geboren und starb hochangesehen am 27.11.1905. Er gehörte zu den Geldgebern der 1901 eingeweihten Luisenkirche. Auch hat er sich um den Wohnungsbau im Ortsteil Rathshof und viele soziale Einrichtungen um die ab 1903 an heutiger Stelle zwischen Pillauer Bahn und Pregel an der Arndtstraße neu errichtete Fabrik verdient gemacht. Die neue Fabrik auf den Pregel-Wiesen hat Bahnanschluss und Schiffsanleger. 1907 erwirbt die Waggonfabrik das am Pregel und in der Nähe gelegene Sägewerk der Ostpreußischen Holz-KG. Im Jahre 1910 wird auch die werkseigene Gießerei fertiggestellt.

1865 lieferte man die ersten 50 offenen Güterwagen aus. 1870 baute man schon den 500sten und 1873 den 1000sten Güterwagen. Gleichzeitig lieferte man erstmalig sechs Personenwagen 4.Klasse für die Südbahn zwischen Königsberg und Prostken. Die Mitarbeiterzahl betrug 200. 1891 konnte der 5000ste und 1899 der 10 000ste Güterwagen ausgeliefert werden. 1905 übernahm Fritzens Sohn Kommerzienrat Dr.h.c.Felix Heumann, vom Vater bereits bestens eingearbeitet, die Leitung der Firma, nachdem er ein Jahr zuvor Teilhaber geworden war. Er hatte an der TH Berlin-Charlottenburg Maschinenbau studiert und hatte bei Siemens-Schuckert im Eisenbahnbereich eine Ausbildung gemacht, war also gegenüber seinem Vater weniger kaufmännisch und eher technisch ausgerichtet. 1906 wurde die Gesellschaftsform erneut geändert in eine GmbH. Heinrich Konrad Gaedeke, geboren am 7.10.1843 und gestorben am 17.5.1912, Bankier im Bankhaus Jacobi und Industrieller als Mitgründer ab 1895 der Königsberger Zellstofffabrik, wurde Aufsichtratsvorsitzender. Gaedeke war außerdem Aufsichtsrat bei der Union-Gießerei, der Brauerei Ponarth, der Königsberger Vereinsbank und erster Konsul der USA in Königsberg. Schon sein Vater war von 1873 bis 1895 Kommanditist der Waggonfabrik L.Steinfurt KG. Johann Christian Gädeke gründete 1882 gemeinsam mit seinem Schwiegervater Friedrich Conrad Jakobi die erste Königsberger Zuckerfabrik. Der kinderlose Onkel von F.C.Jakobi war der Gründer des Bankhauses Johann Conrad Jakobi, 30.10.1717-22.8.1774, der mit Immanuel Kant eng befreundet war und zu dessen berühmten Tischgenossen zählte. Im Jahre 1922, als der Eintritt von Fritz Radok schon 7 Jahre zurücklag, wurde die Firma zur AG. Bald nach dem Eintritt erhielt er Prokura, wurde in der AG in den Vorstand gewählt und war gemeinsam mit Felix Heumann, dem Vorstandsvorsitzenden, kaufmännischer Direktor. Ab 1920 erlebte das Werk nach den schwierigen Jahren des ersten Weltkriegs einen kurzen Aufschwung, da die als Reparationsleistungen an das Ausland abgegebenen Wagen dringend ersetzt werden mussten. Auch das Straßenbahn-Geschäft entwickelte sich erfreulich.

In einer Werbung stehen folgende Produkte: Produktion von Güter-, Personen- und Spezialwagen aller Art für Voll- und Schmalspur, Straßenbahnwagen, Transport- und Ackerwagen, Karosserien, Gesenkschmiedestücke als Massenartikel, Eisen- und Metallguß, insbesondere Handels-, Ofen- und Herdguß, Holzmaterial für Bau- und Tischlerzwecke, Schulmöbel.

Schon 1881 hatte Steinfurt die ersten Wagen für die neue Königsberger Pferdebahn geliefert, die auf einer Spurweite von 1435 mm verkehrte. Diese besaß in ihrem letzten Jahr 74 Wagen und befuhr 5 Linien. Später kamen Wagen für die elektrische Straßenbahn, die für die Meterspur bei einer maximalen Wagenkastenbreite von 2200 mm ausgelegt war, hinzu. Die offizielle Stilllegung der Pferdebahn zog sich bis zum Juni 1901 hin, obwohl die Eröffnung der elektrischen Straßenbahn bereits am 31.Mai 1895 erfolgte. In diesen Jahren wurden die Strecken und Fahrzeuge der Pferdebahn auf die Meterspur umgerüstet. Die endgültig letzten Fahrten der Pferdebahn fanden am 30.Oktober 1901 statt. Von 1924 bis 1931 baute Steinfurt auch die große Serie an Neuwagen. Auf Fotos sind sie durch 7 bzw.9 relativ schmale Seitenfenster und geteilte Frontfenster leicht zu erkennen. Die Zahl 7 gilt für die Triebwagen, die 9 für die Beiwagen. Fotos belegen, dass auf der Basis dieser Beiwagen auch lange Triebwagen entstanden sind. Stangen-Stromabnehmer, Lyra-Bügel und Scheren-Stromabnehmer wurden über die Jahre verwendet. Die Stückzahl der Neuwagen-Serie von 1924/1931 betrug wahrscheinlich 115 Triebwagen und 80 Beiwagen. Dazu kamen in der Folgezeit ebenfalls von Steinfurt durch Ersetzen der Wagenkästen umgebaute 21 Triebwagen und 27 Beiwagen. Bereits zwischen 1899 und 1902 war Steinfurt an Lieferungen elektrischer Wagen mit offener Plattform beteiligt gewesen. Die kamen noch aus der alten Fabrik am Weidendamm, die bekanntlich keinen Gleisanschluss besaß, sodass die Fahrzeuge mit speziellen Pferde-Fuhrwerken, bis zu zehnspännig, zum Gleis gebracht werden mussten. 1946 waren noch 129 Fahrzeuge nach Wiederherstellung im Einsatz, wurden aber in den Folgejahren nach Simferopol auf der Krim abgegeben. Es ist nicht bekannt, ob noch irgendwo ein Wagen erhalten ist. Rainer Radok meinte, im Jahre 1965 noch einzelne Steinfurt-Straßenbahnfahrzeuge in Kaliningrad gesehen zu haben.

Die Suche nach erhaltenen Personen-Eisenbahnwaggons aus Königsberger Produktion ist wenig ergiebig. Dennoch bemühen sich Museumsbahnen, in liebevoller Feinarbeit insbesondere zweiachsige Stahlwagen Ci bzw. Bi aus den Jahren 1925 bis 1941, die so genannten Donnerbüchsen, wieder in den Ursprungszustand zu versetzen. Nach 1945 existierten jedenfalls viele MCi-43, so genannte zweiachsige Behelfspersonenwagen, die konstruktiv aus Gedeckten Güterwagen der Bauart Glmhs Leipzig hervorgegangen waren und eigentlich auch „nach dem Endsieg“ darauf zurückgebaut werden sollten. Eine Quelle spricht von 5093 gebauten MCi 43, die ausschließlich in den Jahren 1943/44 bei L.Steinfurt und bei Staudinger in Nordmähren produziert worden sein sollen. In der Standartausführung hatten sie 52 Sitzplätze oder 21 Betten. Die 24 Volt-Beleuchtung funktionierte nur, falls der Wagen selbst eine Lichtmaschine einschließlich Batterie-Kasten besaß oder mit einem solchen Fahrzeug verbunden war. Nur etwa ein Viertel besaß eigene Lichtmaschinen, sodass ursprünglich Vierer-Wagengruppen vorgesehen waren. Man benötigte sie einerseits für die Truppentransporte und andererseits als Ersatz für die kriegsbedingten Fahrzeugverluste. Sie hatten offene Einstiegsbühnen über den Puffern und Türen an den Stirnseiten und eine leicht demontierbare Bestuhlung dritter Klasse, was auch Sanitätswagen möglich machte. Die Wagenkästen waren von so hoher Qualität, dass die DB ab 1950, als sie im Personenverkehr verzichtbar wurden, in großer Zahl aus zweien je einen vierachsigen Gepäck- u. Expressgutwagen der Bauart MDie 996 mit speziellen übergangsgeeigneten geschlossenen Einstiegsboxen hat bauen lassen. Sie wurden nach 1990 ausgemustert oder einzelne auch zu noch heute anzutreffenden Bauzug- u. Bahndienstwagen verändert. Letzteres gilt auch für die übrig gebliebenen MCi.

1903 startete bei Steinfurt eine Entwicklung, die noch heute bei Eisenbahn und Straßenbahn Bestand hat. Der Ingenieur Karl Scharfenberg, geb.3.3.1874, gest.5.1.1938, arbeitete von 1896 bis 1900 bei Steinfurt und entwickelte danach als Beschäftigter bei der ostpreußischen Südbahn, unterstützt von Fritz und Felix Heumann, die nach ihm benannte starre Mittelpuffer-Kupplung, die „Schaku“, die man heute an allen Triebwagen-Zügen bis hinauf zum ICE3 findet, oft eingepackt oder hinter Klappen. Sein erstes einschlägiges Patent meldete er am 6.5.1903 an und erhielt es als Reichspatent 149727 am 18.3.1904. Für eine Weiterentwicklung, die er am 5.4.1906 anmeldete, erhielt er das RP 188845 im Jahr 1907. Danach ging er bis 1926 als Oberingenieur zurück zu Steinfurt. Im Jahre 1921 war in Berlin die Scharfenberg-Kupplung AG gegründet worden, der er sich in der Folgezeit voll widmete. Ab 1932 gab es die Schaku auch mit zusätzlicher automatischer Verbindung der elektrischen Leitungen und der Luftleitungen. Die berühmten SVT der Reichsbahn, wie der „Fliegende Hamburger“, sowie der „Henschel-Wegmann-Zug“ waren bereits mit der Schaku ausgerüstet. Zum Kuppeln der Züge wird kein Personal benötigt, wenn man vom Abnehmen der Verpackung absieht. Die Schaku zentriert selbsttätig und verriegelt selbsttätig unter Mitwirkung von Federspeichern bei 5 bis 7 km/h Begegnungsgeschwindigkeit. Das Entkuppeln braucht auch kein Personal im Gleis. Das Entriegeln der Schaku und Spannen der Federspeicher geschieht mit Druckluft im Stand. Der heutige Hersteller Voith-Turbo gibt an, dass mittlerweile über 300.000 Stück ausgeliefert wurden. Soll ein Triebwagen von einer normalen Lok geschleppt werden, so ist eine Übergangskupplung notwendig.

1923 kamen praktisch keine Aufträge von der Reichsbahn. Um dennoch eine Kernmannschaft weiterbeschäftigen zu können nutzte man die vorhandenen Potenziale und baute Kraftwagen, Möbelwagen und landwirtschaftliche Fahrzeuge. Erst 1925 wurde es langsam wieder etwas besser, bis Anfang der 30er Jahre infolge der Weltwirtschaftskrise die Firma erneut gezwungen war, das Personal erheblich auf eine Kernmannschaft zu reduzieren. Dieses Mal baute man vor allem gummibereifte Ackerwagen. Erst 1939 hatte man wieder festen Boden unter den Füßen.

Nachdem Fritz Radok seit 1915 seine Qualitäten unter Beweis stellen konnte leistete sich die wachsende Familie ab 1922 in der Villa Ottokarstraße 27 einen recht komfortablen Lebensstil. Während der schlechten Jahre konnte man sich durch etwas Tierhaltung, Obst und Gemüse auf dem eigenen Gelände einigermaßen über Wasser halten. Das galt auch für die im Obergeschoß wohnende Familie des Chauffeurs Lemke. An Wochenenden und zu Feiertagen wird an der Ostsee gewandert. Man fährt mit der Pillauer Bahn ab Bahnhof Ratshof in Richtung Neuhäuser, wo Else und Max Hartung ein Ferienhaus besitzen, wie sich das für wohlhabende Königsberger gehört. Ab 1933 wird es für Fritz Radok und seine Familie zunehmend schwieriger, die Tendenz der Nazis nicht ernst zu nehmen. Radok verteidigt seine Position als kaufmännischer Direktor, lebt in gutem Einvernehmen mit der Belegschaft, so auch mit dem technischen Direktor Paul Zollitsch.

Die beiden letzten Direktoren Dipl.-Ing. Friedrich Heumann und Industriekaufmann Max Heumann, Söhne von Felix Heumann, sind Anfang 1945 beide umgekommen. Die Kinder Robert und Gertrud von Max, dem Agrarier auf dem Gut in Klein Gablick und Bruder von Felix, sind hingegen mit dem Gutstreck im Westen angekommen. Robert Heumann starb 79-jährig 1983 in Nürtingen. Ende März 1945 wird noch von einer Begegnung des zur Truppe eingezogenen Einkaufs-Abteilungsleiters mit dem Vorstandsmitglied der Waggonfabrik L.Steinfurt A.G., Königsberg Pr., Alfred Pelikan, berichtet. Auf einer Aktie vom 1.Juli 1940 ist unter den drei Vorstandsunterschriften in der Mitte auch seine Unterschrift zu entdecken. Links daneben liest man Zollitsch, rechts daneben Heumann, vermutlich Max. Als Aufsichtsräte unterzeichneten Gaedeke und Hoffmann, vermutlich Gustav, ein Verwandter von E.T.A.Hoffmann. Pelikan nahm im Sommer 1949 als alleinzeichnungsberechtigtes Vorstandsmitglied die Rechte der mittellosen Fa. als möblierter Herr in Wiesbaden war. 1956 wurde die Altgesellschaft nach Hamburg verlagert, wo 1966 ein Konkursverfahren eingeleitet und 1968 die Firma wegen Vermögenslosigkeit gelöscht wurde. Im gleichen Jahr am 6.Dezember starb Fritz Radok in Melbourne. Die Todesanzeige ist unterzeichnet von Sohn Christoph in New York, Sohn Dr.Uwe in Melbourne, Sohn Jobst in Wolfsburg, Sohn Prof. Rainer in Adelaide und Tochter Gundula Thwaites in Melbourne. Man bezeichnet den Verstorbenen nicht nur als ehem. Direktor der Waggonfabrik L.Steinfurt AG, Königsberg, sondern außerdem als Aufsichtsratsvorsitzenden der Scharfenberg-Kupplung AG, Berlin, an der die Waggonfabrik ab 1943 beteiligt war. Die Frau von Fritz, Gertrud, hat man bereits am 3.August 1965 verloren und eine rührende Todesanzeige veröffentlicht. Zum Tode von Fritz Radok am 6.12.1968 gab es auch einen Nachruf, unterzeichnet von Dr.Adolf Störiko, der 1973 die Geschichte der „Vereinigte Westdeutsche Waggonfabriken AG“ Köln-Deutz („Westwaggon“) aufgeschrieben hat, Dr.Fuchs, den man mit der Waggonfabrik Fuchsin Heidelberg, die von 1862 bis 1957 Eisenbahnwaggons und Straßenbahnen baute, in Verbindung bringt und Richard Talbot, dem letzten Familien-Inhaber der 1995 von Bombardier übernommenen Waggonfabrik Talbot in Aachen. Die Herren nennen ihren ehemaligen Kollegen „einen fairen königlichen Kaufmann, guten Patrioten und vorbildlichen Familienvater, sowie einen markanten Vertreter Ostpreußens, der mit allen Fasern seines Herzens an seiner ostpreußischen Heimat hing und der sich unermüdlich für ihre möglichst enge geistige und wirtschaftliche Verbindung zum Reich einsetzte“. So dachten sie noch 30 Jahre nach seinem von den Nazis betriebenen Ausscheiden. Über dieses und die komplizierte Auswanderung erfährt man in den Aufzeichnungen von Rainer Radok, dass der Weg der Eltern und der Schwester über Genua und Lissabon schließlich nach jeweiligen Aufenthalten und Unannehmlichkeiten im Februar 1941 nach Ellis Island führt, nachdem sie bereits seit dem 17.April 1939 Nummern auf einer sehr langen amerikanischen Warteliste waren. Das die Ausreise überhaupt letztlich geklappt hat, war unter Anderem in den USA lebenden Bekannten und Verwandten zu verdanken.

Rainer Radok reist am 17.Juli 1939 mit einem Besuchervisum „zum Zwecke des Erlernens der englischen Sprache“ nach England. Er besitzt zu diesem Zeitpunkt eine gelbe Studentenkarte der TH München, die ihn als Juden ausweist, einen Reisepass, der ihn nicht als Juden ausweist und die Nachricht, dass er alle Examina mit sehr gut bestanden habe. Mit dem Ausbruch des zweiten Weltkrieges werden in England alle „feindlichen Ausländer“ interniert. Dabei interessiert es die Briten nicht, ob sich darunter auch vom Nazi-Regime Verfolgte oder Nazi-Gegner befinden. Am 23.9.1939 werden die drei Königsberger Brüder Jobst, Uwe und Rainer interniert und am 1.Juli 1940 mit einem ehemaligen Luxusliner, der „Arandora Star“ von Liverpool aus mit Ziel Kanada und 1200 Passagieren, davon 800 Italienern, auf See geschickt. Bereits am nächsten Tag versenkt ein deutscher Torpedo das große Schiff. Nachdem sich alle drei schwimmend auf zwei Rettungsboote in Sicherheit bringen können werden sie Stunden später von einem kanadischen Zerstörer aufgenommen und im Schottischen Greenock an Land gesetzt. Die Zeitungen melden 900 Tote. Am 10.Juli 1940 schifft man sie wiederum in Liverpool auf dem Truppentransporter „H.M.T.Dunera“ ein, der am 2.September Melbourne erreicht. Die erste wirklich menschliche Behandlung erfahren die Deportierten auf dem Weg ins Internierungslager Rushworth in der Station Seymour. In den australischen Lagern geht es deutlich ungezwungener zu, als in englischen Lagern oder auf der Dunera.

Hätte sich Rainer Radok, geboren am 18.Februar 1920, nicht über viele Jahrzehnte als Familien-Schriftsteller betätigt so wären wir allein auf die Anzeigen und Artikel im Ostpreußen-Blatt angewiesen. So berichtet er aus dem Jahre 1947, dass die Eltern und Gundula aus den USA nach Australien kamen und wenige Monate später auch Christoph und dessen Sohn Uwe. Aus dieser Zeit findet sich in Rainers Aufzeichnungen ein Familienfoto. Von sich berichtet Rainer, dass er in Australien gearbeitet, in England studiert, mathematische Bücher aus dem Russischen übersetzt und mit Torchie Thwaites und den gemeinsamen Töchtern Katherine und Stephanie 1955 in die USA übersiedelt.

Nach Erreichen seines MA in 1949 wurde er zum College of Aeronautics in Cranfield (England) geschickt, um an der Verstärkung von Platten durch Sicken zu arbeiten. Dies brachte ihm ein Diplom mit Auszeichnung ein und führte ihn zu seinem Dr.-Ing. der Technischen Hochschule München in 1955 und zu Aufgaben in den USA.

Anfang der 60er Jahre macht man Station in Wien, um 1963 nach Australien zurückzukehren und an der Universität von Adelaide Mathematik zu lehren. Seine wissenschaftlichen Kontakte nach Georgien ermöglichen ihm gemeinsam mit Torchie Thwaites 1965 einen Besuch in Kaliningrad (Königsberg) und Nida (Nidden). Sowohl seine Frau als auch seine Schwester führten den Nachnamen Thwaites. Der Zusammenhang ist nicht bekannt.

Wie wir aus einem Nachruf erfahren werden lagen seine Schwerpunkte als Dozent auf der Praktischen oder Angewandten Mathematik in Verbindung mit der Ozeanographie. Es wird von einem Projekt berichtet, das für die gefahrlose Erreichbarkeit des Hafens in der Port Philip Bay bedeutsam war. 1966 wurde er Gründungsprofessor für Angewandte Mathematik an der Flinders-Universität und 1971 Gründungsprofessor für Ozeanographie. 1981 folgte er dem Ruf als Professor für Angewandte Mathematik an das Asian Institute of Technology (AIT) in Bangkok, dem er bis zu seinem Tod am23.Aug.2004 verbunden blieb.

Drei Naturwissenschaftler und ein Kaufmann lassen vermuten, dass bei einem anderen Verlauf der ostpreußischen Geschichte auch die dritte Generation Radok aktiv an der Industrie-Geschichtsschreibung Königsbergs mitgeschrieben hätte.

Nach Kriegsende und unter russischer Leitung war der erste Direktor der „Vagonzavoda“ ab 18.2.46 Wassili Petrovitsch Gorbunov und sein Nachfolger ab November 1954 Wladimir Maximowitsch Schabalin. In 2008 lautete der Name der Firma „Open Joint Company privaten Eigentums“ Vahonobodivnyk. Auf dem Fabrik-Gelände gibt es ein schwarz lackiertes Kalinin-Denkmal. Die lutherische Christus-Kirche Rathshof, die „Wagonka“, heißt jetzt „Poluskazochnum Palast“ und dient der Kultur. In den letzten Jahren war sie auch Kaliningrads angesagteste Discothek. Direkt nach dem Krieg diente die Christuskirche als Kulturhaus der Waggonfabrik.

Erwähnte Personen

Benjamin Leopold Steinfurt, 1804 in Königsberg geboren, dort 1864 gestorben

Amalie Steinfurt, geb. Wulff, Frau des L.Steinfurt

Fritz Heumann, 22.8.1835-27.11.1905, Schwiegersohn des L.Steinfurt, ab 1865 Leiter, ab 1886 Alleininhaber der Waggonfabrik L.Steinfurt

Daniel Itzig, Berliner,Gründer einer Silbergießerei 1764

Charles Hughes, 16.4.1781-31.12.1839, Engländer, Leiter der Union-Gießerei

Maria Theodora Christine Hughes, geb. Schnell, Frau des C.Hughes

Gustav Schnell, 20.1.1793-15.2.1864, Im- und Export-Kaufmann, Erbe der väterlichen Segelschiffreederei in Pillau,1828 Mitbegründermitarbeitender Miteigentümer und Sponsor der Union-Gießerei, kaufte 1820 das Gebiet der Hinterhufen und nannte es, offenbar in Verehrung seiner Schwester Sophie Amalie Steimmig, geb.Schnell, Amalienau,Präsident der Industrie- und Handelskammer, Gründer der Handelsschule, Königlicher Geheimer Kommerzienrat und Admiralitätsrat, Berater für das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch und für das Seerecht, Schwiegervater des Buchhändlers Gräfe von Gräfe & Unzer

Friedrich Laubmeyer, 1828 MitbegründerAufsichtsratsvorsitzender und Sponsor der Union-Gießerei

Carl-August Dultz, 1828 Mitbegründermitarbeitender Miteigentümer und Sponsor der Union-Gießerei

Carl Steimmig, 1814-1873, Schwiegersohn von Gustav Schnell, verh. mit Sophie Amalie, Leiter der Union-Gießerei 1840-1842

Rudolf Steimmig, 1818-1893, Bruder von Carl St., Leiter der Union-Gießerei 1842-1846

Gottfried Ostendorff, 5.4.1812-23.4.1876, Schlosser und Kenner des englischen Lokomotivenbaues, auch als Maschinenbauer und Eisenfabrikant bezeichnet, aus Wendinghofen bei Kamen in Westfalen, ab 1845 Leiter der Union-Gießerei

Berta Ostendorff, geb. Schnell, erste Frau von G. Ostendorff und Mutter von Arthur O.

Charlotte Ostendorff, geb.Negenborn, zweite Frau von G. Ostendorff

Julius Negenborn, Besitzer der Vulkan-Gießerei, Vater von Charlotte und Schwiegersohn von Karl Douglas

Karl Douglas, ab 1802 Pächter des Bernsteinregals von Danzig bis Memel

Albert Borsig, 7.3.1829-10.4.1878,Berliner, Fabrikant

Elias/Emil Radok, 16.11.1840-30.3.1910, bis 1876 Vertreter G. Ostendorffs, 1876 bis 1891 gemeinsame Firmenleitung mit A. Ostendorff, 1891-1910 alleiniger Direktor der Union-Gießerei

Jenny Radok, geb. Pincus, gestorben 1918, Frau von E. Radok

Arthur Ostendorff, 18.5.1850-24.7.1891, Sohn von G. Ostendorff, 1876 bis 1891 Leiter der Union-Gießerei gemeinsam mit E. Radok

Else Hartung, geb. Radok, Tochter von E. Radok, Frau von Max Hartung

Max Hartung, Regierungsbaumeister a.D., 1910-1925 Leiter der Union-Gießerei

Fritz Radok, 16.1.1883-6.12.1968, Sohn des E. Radok, ab 1915 bei Steinfurt, 1922 bis 1938 kaufmännischer Direktor der Waggonfabrik, bis 1932 gemeinsam mit Felix Heumann, danach mit Max Heumann

Gertrud Radok, geb. Vageler, Frau des F. Radok

Dr.h.c.Felix Heumann, 1869-1932,ab 1898 Assistent des Leiters, ab 1904 Teilhaber, ab 1905 Alleininhaber der Waggonfabrik, ab 1906 gemeinsam mit K.Gaedeke als GmbH, ab 1918 erster Präsident der Industrie- und Handelkammer

Heinrich Konrad Gaedeke, 7.10.1843-17.5.1912, Bankier im Bankhaus Jacobi und Industrieller als Mitgründer ab 1895 der Königsberger Zellstofffabrik, Aufsichtratsvorsitzender bei L.Steinfurt, außerdem Aufsichtsrat der Union-Gießerei, der Brauerei Ponarth, der Königsberger Vereinsbank und erster Konsul der USA in Königsberg.

Johann Conrad Jacobi, 30.10.1717-22.8.1774, Gründer des Bankhauses Jacobi, kinderlos verheiratet mit der 22 Jahre jüngeren Charlotte, geb. Schwinck, die bei der Heirat noch keine 13 Jahre alt war.

Friedrich Conrad Jacobi, Bankier im Bankhaus Jacobi, Neffe und Erbe von J.C.Jacobi

Johann Christian Gädeke, 1765-1853,Schwiegersohn von F.C.Jacobi und 1782 mit jenem gemeinsam Gründer der ersten Königsberger Zuckerraffinerie, ab 1816 Bankier im Bankhaus Jacobi, Großvater von H.K.Gaedeke

Friedrich Heinrich Gaedeke, 1811-1895, Bankier im Bankhaus Jacobi, Geheimer Kommerzien- und Admiralitätsrat, Konsul, Sohn des J.C.Gädeke und Vater von H.K.Gaedeke, ab 1871 Kommanditist bei L.Steinfurt

Adolf Hoffmann, ab 1864Bindfadenfabrikant, Flachs- und Hanf-Geschäftsmann als Nachfolger von Gustav Schnell, verheiratet mit Selma , geb. Schnell, Tochter von Gustav Schnell

Gustav Hoffmann, Sohn und Erbe von Adolf und Selma Hoffmann, verheiratet mit Adele, geb. Heumann, Tochter von Fritz Heumann, gestorben hochbetagt im Sommer 1944, vermutlich zumindest 1940 Aufsichtsrat der Waggonfabrik L.Steinfurt

Rainer Radok, Prof. Dr.-Ing., 18.2.1920-23.8.2004, Sohn von Fritz R., Mathematiker und Ozeanograph, „Familien-Schriftsteller“

Karl Scharfenberg, 3.3.1874-5.1.1938, Oberingenieur bei L.Steinfurt und Erfinder der Scharfenberg-Kupplung, heute an allen Eisenbahn-Triebwagen üblich

Lemke, Chauffeurbei F. Radok vermutlich von 1922 bis 1938

Paul Zollitsch, technischer Direktor der Waggonfabrik L.Steinfurt AG zumindest in 1937 bis 1940

Friedrich Heumann, Dipl.-Ing., umgekommen im Frühjahr 1945, Sohn von Felix Heumann, technischer Direktor

Max Heumann, Industriekaufmann, umgekommen im Frühjahr 1945, Sohn von Felix Heumann, kaufmännischer Direktor, vermutlich Vorstandsvorsitzender ab 1932

Max Heumann, Rittergutsbesitzer in Klein Gablick, Sohn von Fritz Heumann

Robert Heumann, 1904-1983,Rittergutsbesitzer in Klein Gablick, Enkel von Fritz Heumann

Alfred Pelikan, zumindest ab 1940 kaufmännischer Direktor der Waggonfabrik L.Steinfurt AG, zumindest im Sommer 1949 alleinzeichnungsberechtigtes Vorstandsmitglied der mittellosen Firma

Christoph Radok, Sohn des F. Radok

Dr.Uwe Radok, Sohn des F. Radok, Meteorologe an der Universität Melbourne

Jobst Radok, Sohn des F. Radok

Gundula Thwaites, geb. Radok, Tochter des F. Radok

Torchie Thwaites, Frau des Rainer Radok

Wassili Petrovitsch Gorbunov, Leiter der Waggonfabrik ab Februar 1946

Wladimir Maximowitsch Schabalin, Leiter der Waggonfabrik ab November 1954

Quellen

Google: „Reichskristallnacht“ „Radok“, Autor: Rainer Radok

Google: „Lemmel“ „Union-Gießerei“, Autor: Erich Lemmel, 1951/1955 (Enkel von Gottfried Ostendorff)

Google: „Werkbahn“ „Union“

Europublisher: H.K.Nielsen, Kaliningrad, Stadtverkehr (Buch von 2008)

Google: „Das Ostpreußenblatt“, div. Ausgaben

Google: „Reichsbankaktien“ „L.Steinfurt“

Google: „Gartenstadt Ratshof“ „Willi Freimann“ 1984

Lok-Magazin 212, Ausgabe 5/98, Seite 36, Autor: Johannes Glöckner

Ing. Manfred Weigel
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Einen weiteren Bericht über die Union-Gießerei – von Jens Merte – finden Sie unter

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PAZ: Im Jahre 1826 erwarb Charles Hughes’ Ehefrau Maria Theodora Christine für 700 Taler das Anwesen im Königsberger Stadtteil Laak. Als gesichert gilt, dass Hughes die Silberschmiede bereits 1825 betrieb. Das kleine Unternehmen hatte mit erheblichen finanziellen Problemen zu kämpfen, die der Techniker allein nicht bewältigen konnte. Seine Heirat mit Maria Theodora Christine Schnell war ein Glücksgriff, denn sie war die Schwester des erfolgreichen Königsberger Kaufmanns Gustav Schnell. Der wiederum konnte seine Schwäger Karl August Dultz und Friedrich W. Laubmeyer überzeugen, mit ihm zusammen die Gießerei zu übernehmen. Die drei hatten nicht nur Geld, sondern auch
wirtschaftlichen Weitblick. Mit dem Beitritt dieser drei Familien im Jahre 1828 wurde ein entsprechender Vertrag geschlossen, der allgemein als Gründungsdatum für die Union-Gießerei angesehen wird, obwohl die Bezeichnung erst in einer 1845 verfassten Urkunde auftaucht.

1910 erlag in Berlin der inzwischen zum Kommerzienrat ernannte Radok einem tückischen Leiden. Er muss sich bei seinen Untergebenen allgemeiner Wertschätzung erfreut haben, denn an seinem Begräbnis nahmen alle Angestellten und Arbeiter teil. Es bildete sich ein Trauerzug von solcher Ausdehnung, wie ihn Königsberg bis dahin und auch später nicht wieder gesehen hat.

Nach seinem Tod übernahmen die Oberingenieure Georg Panck und Paul Fischer zugleich mit dem Regierungsbaumeister a. D. Max Hartung die Leitung des Werks. Die Probleme der Union Gießerei begannen erst nach dem Ersten Weltkrieg. 1921 war die Verlagerung der Gießerei und der Maschinenbau-Abteilung von der Oberlaak nach Contienen abgeschlossen.

1924 geriet das Unternehmen plötzlich in Not, vor allem weil auch die neu geschaffene Deutsche Reichsbahn-Gesellschaft kaum noch Aufträge ins ferne Ostpreußen vergab. Subventionen durch das Reich konnten die notleidenden Betriebe im Osten noch eine Weile über Wasser halten. Die Wirtschaftskrise ab Oktober 1929 bereitete jedoch allen Hoffnungen ein Ende. Im Januar 1930 ging das Unternehmen in Konkurs.

Erhalten blieb die Werft in Contienen, denn das Reich hatte sie so lange unterstützt, dass bei einer Schließung des Werftbetriebes ostwärts von Stettin kein Reparatur- und Dockbetrieb mehr bestanden hätte. Die Vereinigung mit der ohnehin schon fast im Reichsbesitz befindlichen Schichau AG lag nahe, wurde aber zunächst noch nicht vollzogen. Erst 1933 wurde aus der Union-Gießerei die Schichau-Werft Königsberg, der Schiffbau ging bis Kriegsende weiter, und sie existiert immer noch, wenn auch heute unter russischer Leitung.

Ergänzung zu den Königsberger Industriellen neben der Union-Gießerei:

In Königsberg gab es seit 1420 einen Seeschiffbau. Im 16. Jh. liefen mehrere Kriegsschiffe vom Stapel und der Große Kurfürst versuchte, Anschluss an die damaligen Seemächte zu bekommen. Mit dem Aufkommen der Dampfschifffahrt gingen die Königsberger Werften, die auf Holzschiffe ausgerichtet waren, weitgehend ein. Erste Versuche der Union-Gießerei, den Eisenschiffbau in Königsberg aufzubauen, waren wenig erfolgreich. Einzig die Werft von Gustav Fechter (1845 – 1924), der 1870 die Eggertsche Werft nahe dem Fort Friedrichsburg übernommen hatte, konnte auf niedrigem Niveau mithalten. 1912 ging die Firma Gustav Fechter in den Besitz der Union-Gießerei über, die in ihrem Werk in Contienen moderne Werftanlagen aufbaute. Nach dem 1. Weltkrieg ergänzte man den Schiffbaubetrieb um ein Schwimmdock von 2.200 to Tragfähigkeit und legte bis zum Ende der zwanziger Jahre 100 Fluß- und Seeschiffe auf Kiel, doch musste die Union-Gießerei 1929 mit dem Zusammenbruch der Lokomotivproduktion ihre Pforten schließen. Obwohl selbst mit Schwierigkeiten kämpfend, übernahm 1930 die Firma F. Schichau in Elbing den Schiffbau der Union-Gießerei. Das Rüstungsprogramm unter der Nationalsozialistischen Regierung brachte dann wieder eine spürbare Belebung[1]

Neben seiner Werft gründete Gustav Fechter eine Reederei, indem er 1874 ein für diesen Zweck auf seiner Werft gebautes Schiff mit dem Namen „Kneiphof“ in Betrrieb nahm und als erstes Ziel einen von ihm in Pr. Arnau erbauten Gasthof mit Fremdenzimmern und Terrassengarten gewinnbringend ansteuerte. Ein zweites Schiff folgte 1879. Die guten Erträge der Reederei reichten jedoch nicht aus, die Verluste der defizitäre Werft auszugleichen. So musste die Werft 1912 an die Union Gießerei verkauft werden. Die Reederei lief jedoch erfolgreich weiter. Am Ende der 1920er Jahre wurden 7 Damper und 16 offene Schuten betrieben. In dieser Zeit vereinigte man sich mit der Reederei Wischke und Reimer und kam vor Beginn des 2. Weltkriegs auf 25 Dampfer und Motorschiffe sowie auf 28 Schuten. Davon konnte man zum Kriegsende 9 Schiffe in den Westen retten, darunter der Eisbrecher Ostwacht und das Fahrgastschiff Altstadt. Die in Lübeck neu gegründete Reederei Wischke und Reimer konnte sich auf Dauer nicht halten, der Eisbrecher 1967 verkauft. Die Altstadt dagegen ist noch heute unter dem Namen „Wappen von Schleswig“ in Schleswig in täglichem Betrieb und hat ihren Liegeplatz gegenüber dem Schloss Gottorf.[2]

Eine der renommiertesten Banken Königsbergs war die “Ostpreußische Landschaft“. Sie war 1788 durch König Friedrich Wilhelm II. mit einem Anfangskapital von 200.000 Talern gegründet worden und sollte Kredite gegen einen erschwinglichen Zinssatz vermitteln. Im Laufe der Zeit wurden Gutsbesitzer und köllmische Bauern zu Kunden der Bank. Die Bank hatte ab 1806 ihren Sitz in der Landhofmeisterstrasse 17 und hier tagten am 5. Februar 1813 die Landstände, die die Aufstellung der Landwehr für den Kampf gegen Napoleon beschlossen. Von 1906 – 1920 war der gescheiterte Putschist Wolfgang Kapp (1858 – 1922) Direktor der Ostpreußischen Landschaft.

Ein höchst innovatives Bankgeschäft ist mit der Gründung der Kunden Kredit Bank (KKB) im Jahr 1926 verbunden. Der in Königsberg geborene Dr. Walter Kaminski führte ein Teilzahlungssystem ein, das auch Bürgern mit geringerem Einkommen einen Bankkredit gewährte, der mit günstigen Raten an die Bank zurück gezahlt wurde und so auch für diese Kreise hochwertige Anschaffungen ermöglichte. Die KKB überstand die Kriegswirren und firmiert heute – 2014 – unter dem Namen Targobank.[3]

Franz Todtenhöfer (13. 8. 1875 – 22. 3. 1955) gründete 1895 die Fahrradhandlung “Franz Todtenhöfer & Co.”, aus der sich bis 1945 die größte Fahrrad- und Automobilhandlung ganz Ostpreußens entwickelte. Erster Schritt war die Generalvertretung der Bielefelder Dürkopp-Werke, den Pionieren der deutschen Fahrradproduktion, für Königsberg. 1902 begann man den Vertrieb von Automobilen der Hersteller Fiat, Mercedes und Opel und übernahm bald die Generalvertretung von Opel für Ost- und Westpreußen, Danzig und das gesamte Baltikum. Arrondiert wurde das Sortiment durch Motorräder aus Neckarsulm, später NSU. 1921 erfolgte die Gründung von “Todtenhöfers Vereinigte Automobil Werkstätten” und 1930 ließ er in Königsberg eine Großgarage für 300 Autos errichten. Neben dieser enormen unternehmerischen Aktivität nahm Franz Todtenhöfer an Autorennen teil, wobei er 1927 beim Cadiner Bergrennen den 1. Platz errzielte, und er wurde 2. Vorsitzender einer Motorradfahrer Vereinigung, aus der 1911 der ADAC hervor ging. Ein solcher Vollblutunternehmer lässt sich auch durch die Katastrophe des 2. Weltkriegs nicht unterkriegen: 1946 bereits startete er in Berlin-Lichterfelde und in Weißenfels, Sachsen-Anhalt, einen Neuanfang, über dessen Schicksal aber keine Informationen vorliegen.[4]

Königsberg war auch eine Stadt der Marzipanbäcker. Die bekanntesten Firmen waren Ewald Liedtke (seit 1809), Henry Schwermer (seit 1894) und Kurt Gehlhaar (seit 1912). Ewald Liedtke produzierte Marzipan nach Rezepten der ehemaligen Hof-Conditoren Gebrüder Pomatti aus 90 % Mandeln und 10 % Zucker unter Beimischung von Rosenwasser. Heute arbeitet die Firma in Sinsheim und Heilbronn. Henry Schwermer ist der bekannteste der Königsberger Marzipanbäcker. Er hatte sein Handwerk in Paris und im Café Kranzler in Berlin gelernt und gründete seinen Kaffeehausbetrieb 1894 in Königsberg, wobei er sich auf die Herstellung von Marzipan und Baumkuchen konzentrierte. Nach seinem Tod 1918 übernahm Tochter Charlotte die Betriebsführung. Das Unternehmen wurde nach dem Krieg erfolgreich in Bad Wörishofen neu gestartet und gehört seit 2017 mit 100  Mitarbeitern zur Schweizer HEIDI Chocolat Group AG. Die Firma Gehlhaar betrieb in Königsberg zwei Filialen. Das Ehepaar Gehlhaar kam beim Kriegsende in ihrer Heimatstadt um. Dem Sohn Werner Gehlhaar gelang die Flucht nach Wiesbaden. Dort setzte er die handwerkliche Fertigung von Königsberger Marzipan ab 1957 – 1986 in der Klarenthaler Straße 3 fort. Nachfolgende Betreiber waren Alfred Kulling bis 2003 und seitdem Frau Stephanie Peißger. Der Königsberger Konditormeister Paul Wald (1905 – 1985) zog 1939 nach Berlin und gründete dort seine Marzipanmanufaktur 1947. Die Verkaufsräume der Firma Wald befinden sich in der Pestalozzistrasse in Berlin-Charlottenburg.[5]

Die Familie Dittrich war stark engagiert im Mühlensektor und hier bereits seit dem 18. Jh. spezialisiert auf Schneideühlen mit wachsenden Exporten nach England, Spanien und Portugal. Sie errichteten 1753 eine Schiffswerft am Lizentgraben in Hafen von Könisberg und betrieben die Pinnau-Mühlenwerke in Wehlau. Im 19. Jh. kamen eine Ölmühle, eine Roggenmühle, eine Weizenmühle hinzu. Um 1900 gründete man eine Holzschleiferei und eine Papierfabrik sowie eine Segeltuchfabrik. Die Dittrichs gehörten so zu den reichsten Familien Königsbergs.[6]


[1] Dipl.-Ing. Erich Fechter (1877- 1959), Reeder und Schiffbauer in Königsberg, “Schiffbau in Königsberg”, in Königsberger Bürgerbrief, Sommer 2015, S. 28 ff

[2] Gisela Schmiemann, Enkeling von Ericvh Fechter, in Die reederei Gustav & E. Fechter/Königsberg i.Pr.,in Königsberger Bürgerbrief, Winter 2016, S. 24 ff

[3] Lorenz Grimoni, Banken in Königsberg, Königsberger Bürgerbrief, Winter 2014, S. 12 ff

[4] Andreas Krinke, Chronik der Königsberger Firma Todtenhöfer AG, Königsberger Bürgerbrief, Sommer 2015, S. 22 ff

[5] Klaus Weigelt, Königsberger Firmen, die auch nach 1945 weiter bestehen, Königsberger Bürgerbrief, Winter 2019, S. 12/13

[6] Lorenz Grimoni, Südliche Königsberger Vororte bis 1939, Königsberger Bürgerbrief, Sommer 2021, S. 14/15