Universität, Kantdenkmal und Paradeplatz

Die 1544 unter Herzog Albrecht gegründete Albertus-Universität gehört zu den ältesten europäischen Bildungsstätten. Sie sollte die humanistische Bildung vermitteln und dem Staat tüchtige Ärzte, Prediger und Juristen liefern,  aber auch Verwaltungsfachleute, denn die Ordensbrüder, die bisher diese Aufgaben wahrnahmen, gab es seit der Säkularisierung nicht mehr. Gleichzeitig war sie eine Universität der Reformationszeit, die zweite nach Marburg an der Lahn (1527) und einst dazu bestimmt, <b>die protestantische Lehre zu festigen</b> und in den Nachbarländern zu verbreiten. Obwohl Kaiser und Papst die Anerkennung und damit die Promotionsbefugnis der neuen Hochschule verweigerten, schrieben sich bereits 314 Studenten im ersten Jahr ein. Es waren besonders die Studienanwärter in Polen, Dänemark, Schweden und dem Baltikum eingeladen, hier ihre akademischen Lorbeeren zu gewinnen. Insbesondere die bildungsbeflissenen Mitglieder der deutschen Oberschicht aus Gutsbesitzern und Pfarrern in Livland und Kurland, die 1721 von Russland unter Peter I. okkupiert worden waren, bildeten später ein großes Reservoir für die Königsberger Studentenschaft. Ernst Johann von Biron, erster Herzog in Kurland von Russlands Gnaden, hatte in Königsberg studiert.[1]

Manchem intelligenten jungen Mann war sie aber auch aus Glaubensgründen Zufluchtsort, auch manchem Hochschullehrer. Dieses und die Unterstützung durch die Landesherren führten höchst fähige Wissenschaftler und Lehrer nach Königsberg. Während des 30jährigen Krieges erlebte die Universität darüber hinaus eine Blütezeit, weil sich Studenten aus den umkämpften Gebieten im Deutschen Reich in das wenig beschädigte Preußen flüchteten. Im 18. Jh. errang die Philosophische Fakultät mit Kant europäische Bedeutung, nach dem Zusammenbruch Preußens unter Napoleon versammelten sich an der Albertina viele Reformkräfte des preußischen Neuanfangs. Es gab bis ins 20. Jh. hinein vier Fakultäten: die theologische, die juristische, die medizinische und die philosophische, wobei letztere immer mehr ein Sammelsurium darstellte.

Insbesondere in den ersten beiden Jahrzehnten des 19. Jhs. bemühte sich die Preußische Regierung in Berlin darum, die Naturwissenschaften an der Albertina nachhaltig zu fördern und führende Wissenschaftler auf diesem Gebiet dorthin zu vermitteln. So gelangten auch der Astronom und Mathematiker Friedrich Wilhelm Bessel sowie der Physiker Franz Neumann nach Königsberg. Da beide Herren sich mit Töchtern des Universalgelehrten und Begründer der wissenschaftlichen Pharmazie, Karl Gottfried Hagen vermählten, sprach man in Königsberg vom Hagen-Bessel-Neumann-Triumvirat.

Erster Rektor war Georg Schuler (23. 4. 1508 – 2. 12, 1560), Schwiegersohn Melanchthons, der sich später Sabinus nannte. Andreas Osiander (19. 12. 1498 – 17. 10. 1552) aus Nürnberg, der dem Herzog die Luthersche Lehre nahe gebracht hatte und durch diese enge Beziehung zum Landesherrn an die Universität gelangt war, sorgte gleich am Anfang seiner Anwesenheit in Königsberg für heftige akademische Auseinandersetzungen, die „Osiandrischen Wirren“. Simon Dach (29. 7.  1605 – 19. 4. 1659) wurde 1639 Professor an der Universität und 1656 deren Rektor. Johann Christoph Gottsched (2. 2. 1700 – 12. 12. 1766), geboren in Juditten, studierte an der Albertina, erlangte dort 1723 die Magisterwürde, floh aber 1724 vor den Soldatenwerbern Friedrich Wilhelms I. ins Ausland nach Leipzig. Immerhin gab er später die entscheidende Anregung zur 1741 durch seinen Schüler Coelestin Flottwell in Königsberg gegründeten „Königlichen Deutschen Gesellschaft“ zur Pflege der deutschen Sprache. Diese Gesellschaft bestand bis 1945. Der große Stern der Universität wie auch Königsbergs war natürlich der Philosoph Immanuel Kant  Aber auch sein Schüler und häufiger Tischgenosse Christian Jacob Kraus (1753 – 1807) erlangte in dieser Zeit als Staatswissenschaftler und Propagandist der englischen Freihandelstheorien von Adam Smith erhebliche Bedeutung für die Ausbildung des preußischen Beamtenwesens und damit der Stein-Hardenbergschen Reformen. Die Geistesgrößen Johann Georg Hamann (27. 8. 1730 – 21. 6. 1788), auch „Magus des Nordens“ genannt, und Johann Gottfried Herder (25. 8. 1744 – 18. 12. 1803) erlangten ihr wissenschaftliches Rüstzeug an der Albertus-Universität. E.T.A. Hoffmann studierte hier ebenso wie Max von Schenkendorf, der spätere Regierungspräsident Theodor Gottlieb von Hippel d. J., die Oberpräsidenten Heinrich Theodor von Schön, Hans Jacob von Auerswald und Eduard Heinrich von Flottwell, der vielfache Präsident Eduard Martin Simson, der Astronom Friedrich Wilhelm August Argelander (22. 3. 1799 – 17. 2. 1875), der Anatom und Physiologe Karl Friedrich Burdach (12. 6. 1776 – 16. 7. 1847), der Philosoph und Pädagoge Johann Friedrich Herbart (4. 5. 1776 – 14. 8. 1841), der Mathematiker Carl Gustav Jacobi (10. 12. 1804 – 18. 2. 1851), der Altphilologe Karl Lachmann (4. 3. 1793 – 13. 3. 1851), Erforscher des Nibelungenliedes, dessen Arbeiten darüber allerdings inzwischen umstritten sind, der Philosoph Karl Rosenkranz (23. 4. 1805 – 14. 6. 1879), ab 1833 der bedeutendste Nachfolger auf dem Lehrstuhl Kants, der Jurist Wilhelm Eduard Albrecht aus Elbing (1800 – 1876) – einer der „Göttinger Sieben“, der Historiker Ferdinand Gregorovius, der Dichter Ernst Wichert

Der Königsberger Gelehrtenfriedhof am einstigen Steindammer Wall, auf dem u. a. Karl Rosenkranz, Theodor Gottlieb von Hippel, Franz Neumann  und Friedrich Wilhelm Bessel begraben waren, existiert nicht mehr. Er ist aber nicht vergessen. Als 2013 die Bebauung des Geländes anstand, gelang es der Stadtgemeinschaft Königsberg und Gleichgesinnten, die Abgeordneten von Kaliningrad für die Aufstellung eines Gedenksteins zu gewinnen, der dann am 12. 7. 2014 enthüllt wurde und  der 11 ehemals dort begrabene Professoren der Albertus Universität ehrt, gestaltet von dem Bildhauer Valery Kovalev. Über drei noch existierende Steinstufen vom Alten Neuroßgärtner Friedhof kommt man über einen gepflasterten Weg zur Gedenkstätte. [2]

Die wachsende Bedeutung der Lehranstalt forderte mehr Platz als auf dem Kneiphof verfügbar war. Der Grundstein für den neuen Universitätsbau nach Plänen des Architekten August Stüler im Stil der oberitalienischen Renaissance aus gelben Backsteinen wurde am 31. 8. 1844 durch König Friedrich Wilhelm IV. gelegt. Der eigentliche Bau erfolgte aber erst 13 Jahre später ab 1857/58. Die Einweihungsfeier fand am 20. Juli 1862 statt. Dabei übergab Architekt Stüler die Schlüssel für das Haus dem neuen Rektor, Kronprinz Friedrich Wilhelm, später Kaiser Friedrich III.  Die Frau des letzten Universitätshausmeisters Kaminski rettete 1945 einen Schlüssel in den Westen. Vermutlich handelt es sich dabei um einen der damals von Stüler übergebenen Schlüssel für das Hauptportal. Er befindet sich heute im Museum der Stadt Königsberg in Duisburg. Unvergessen ist die Bedeutung der Königsberger Universität für die Naturwissenschaften im 19. Jh.: von 21 Trägern des Friedensordens „Pour le Mérite“ in diesem Jahrhundert lehrten und forschten 9 Mathematiker, Physiker und Astronomen ausschließlich an der Albertina – so viel wie an keiner anderen deutschen Universität.[3]

1924 wurde Robert Liebenthal (26. 9. 1884 – 19. 5. 1961) zum Leiter des Neubauamts der Universität Königsberg ernannt. In dieser Eigenschaft leitete er die Baumaßnahmen für den Erweiterungsbau der Albertina mit der Aula ein, die  bis 1928 andauerten und den man später den „Liebenthal-Flügel“ nannte.

Am 17. August 1944 feierte Königsberg das 400jährige Gründungsfest seiner Universität, am 29. und 30. August zerstörten westalliierte Bomben die Lehrgebäude, die restlichen Zerstörungen besorgten die Endkämpfe 1945. Nur der westliche Liebenthal-Flügel mit seinem Innenhof, dem Karzer und einigen Stuckmedaillons kam einigermaßen davon – mit größeren Blessuren zwar, aber immerhin. Die zerstörten Gebäude wurden Mitte der 1960er Jahre unter Einbeziehung eines Teils der alten Bausubstanz, auch der Reste von Außenmauern, auf den alten Grundmauern neu aufgebaut, allerdings unter Verlust des gesamten schmückenden Zierrats, mit rechteckigen Fenstern und verputzt. Die charakteristischen Arkaden der Hauptfront wurden entfernt, der Risalit in der Fassadenmitte umgebaut. Zunächst fungierte das Gebäude als Mittelschule, ab 1967 als Pädagogisches Institut. Den Studienbetrieb der Universität in Königsberg nahm man 1968 wieder auf. Den Namen der Universität, Albertina, löschten die Nazis aus, doch die russischen Studenten übernahmen den alten Namen wieder. Anlässlich des 750. Stadtjubiläums änderte man 2005 den Namen offizielle in “Immanuel Kant Universität“.[4]

Erstaunlicherweise hat ein Teil der umfangreichen Universitätsbibliothek überlebt, indem noch vor dem Krieg 40 000 (Dubletten-)Bände als Schenkung an die Universität Straßburg gingen, wo sie heute noch sind (Information von Lutz Szemkus)[5].

Der ehemalige Student der Albertina, Dr. Friedrich Lange, inzwischen Arzt in New York, stiftete 1893 oder 1894 die „Palästra Albertina“ in der ehem. Fliesstr. 3 – 5, eine der Gesundheit der Studenten dienende Sport-Einrichtung mit Hallenbad, Turnhalle, Fechtsälen, Kegelbahn, Mensa. Architekt war der Sohn des Königsberger Astronomen Bessel, Baurat Bessel-Lorck.[6] Die Palästra, das erste Studentenhaus Deutschlands, war unweit der Universität gelegen und hat in Fragmenten überlebt. Seit dem 2. Weltkrieg diente sie lange Zeit als Schwimm- und Turnhalle der Baltischen Flotte.

Die Größe der Universität zu deutscher Zeit hält keinen Vergleich mit den heutigen Massenuniversitäten der Bundesrepublik aus. Erst 1904 wurde eine Studentenzahl von 1.000 erstmals überschritten. Die Höchstzahl erreichte man 1930 mit 4.113 Studenten. An der heutigen Kant-Universität studieren 12.000 Studenten in 13 Fakultäten.

1922 erhielt die Universität einen hauptamtlichen Kurator, der das Kuratorium vertrat und sich um die Fortentwicklung der Lehr- und Forschungsanstalt in Abstimmung mit den staatlichen Stellen bemühte. Hierfür wurde der <b>Oberregierungsrat Friedrich Hoffmann</b> (19. 1. 1875 – 7. 3. 1951) ernannt. Er hatte auch die traurige Pflicht, die Universität Anfang April 1945 zu schließen und erst nach Greifswald und dann nach Göttingen zu verlegen. In der Bundesrepublik hat daher die Universität Göttingen die Patenschaft für die Albertus-Universität übernommen. Das geistige Erbe der Albertina pflegen und vermitteln die noch von Hoffmann initiierten „Rundbriefe der Albertus-Universität“ sowie das „Jahrbuch der Albertus-Universität“ des Arbeitskreises ostdeutscher Wissenschaftler und es gibt die „Gesellschaft der Freunde Kants“, die aus der Tischgesellschaft des Philosophen hervorging und jährlich bei einem „Bohnenmahl“ den „Bohnenkönig“ kürt.

Im Zuge der 750-Jahr-Feier in Kaliningrad/Königsberg wurde ein Kooperationsvertrag zwischen der Universität Kaliningrad, die jetzt Kant-Universität heißt, und der Universität Bremen abgeschlossen. Besonders die Lehrstühle für Geschichte an beiden Unis hatten sich für diese Form der engen Zusammenarbeit engagiert. Es soll Lehrpersonal ausgetauscht werden und Doktoranden und Studierenden sind aufgerufen, gemeinsame Projekte wie z.B. wissenschaftliche Workshops und Konferenzen durchführen. Der Vertrag gilt zunächst für 3 Jahre und verlängert sich automatisch, wenn keine Seite kündigt.

Zurück nach Königsberg: am Kellergeschoß im Innenhof des Liebenthal-Flügels sind noch fünf Kunststeinreliefs mit Szenen aus dem Studentenleben erhalten, die Rudolf Daudert, Schüler von Hermann Brachert, 1927 gestaltete. Von den ansonsten verschollenen Kunstwerken im Innern wurde überraschend 1996 das <b>Hochrelief „Genius“</b>, das vor 1912 der Bildhauer Stanislaus Cauer schuf, von einem russischen General für eine fünfstellige Summe auf dem Kunstmarkt angeboten. Es befand sich bis zum Kriegsende im Liebenthal-Flügel.[7]

Auf dem Paradeplatz vor der Universität steht wieder das Kant-Denkmal, das Christian Daniel Rauch (1777 – 1857), Bildhauer des deutschen Klassizismus, 1857 schuf. 1864 wurde das Denkmal in der Nähe von Kants Wohnhaus nördlich vom Schloss feierlich enthüllt, kam aber schon 1885 auf den Paradeplatz, wo es bescheiden in Respekt bietendem Abstand vom monumentalen Standbild des Landesherrn Friedrich Wilhelm III. seinen Platz fand.

Der Paradeplatz selbst wurde 1509 vom Hochmeister Herzog Friedrich von Sachsen als „Königsplatz“  angelegt und war an Kaisers Geburtstag der Ort, wo die sieben Königsberger Regimenter aufmarschierten. Daher rührt wohl der Name des Platzes.

1945 verschwand die Bronzestatue Kants und auf den leeren Sockel stellte man 1966 die Figur des deutschen Kommunisten Ernst Thälmann (1886-1944). 1992 stiftete Marion Gräfin Dönhoff eine Bronzekopie der Rauchschen Kantfigur, hergestellt von dem Berliner Bildhauer Harald Haacke. Das Reiterstandbild Friedrich Wilhelms III. von August Kiß (1802 – 1865), einem Schüler von Christian Daniel Rauch, gegossen von den Gräflich Einsiedelschen Eisenwerken in Lauchhammer aus erbeuteten französischen Kanonen der Freiheitskriege, das noch bis mindestens 1950 auf dem Paradeplatz stand, wurde danach eingeschmolzen. Heute beherrscht der Philosoph Kant den Paradeplatz.

Unterhalb des Paradeplatzes befindet sich der Bunker des Festungskommandanten von Königsberg, General Lasch,  der am  9. 4. 1945 die Kapitulation der Stadt unterzeichnete. Er beherbergt heute ein Museum, das die Eroberung Königsbergs aus russischer Sicht dokumentiert.

Auf der anderen Seite des Paradeplatzes gegenüber der Universität befand sich der Gräfe & Unzer Verlag, der heute in München fortlebt. Heute stehen dort sozialistische Wohngebäude der Nachkriegszeit.


[1] Manthey, Königsberg, S. 279

[2] Dr. E. Neumann-Redlin von Meding, Neuer Gedenkstein auf dem ehemaligen Gelehrtenfriedhof, Königsberger Bürgerbrief, Winter 2014, S. 88/89

[3] Eberhard Neumann-Redlin von Meding, Die Geschichte des Friedensordens „Pour le Mérite“ im Blickwinkel der Königsberger Naturwissenschaften, Königsberger Bürgerbrief, Sommer 2008, S. 56 f

[4] Lorenz Grimoni, Der Architekt Robert Liebenthal, Königsberger Bürgerbrief, Sommer 2014, S. 16

[5] Opr-forum, 4. 2. 2008

[6] Hanswerner Heincke, Der Tragheim, Königsberger Bürgerbrief, 1978, S. 13

[7] Dr. Heinrich Lange, Genius von einem nackten Mädchen symbolisiert, Oprbl. Nr. 25/96