von Helene Haupt & Ute Poeppel
Wir wagen uns
Am 06. Juni war es endlich soweit – wir starten unsere Reise ins Nördliche Ostpreussen. Voraus
gingen dem lange Überlegungen und gemischte Gefühle angesichts der sehr angespannten
geopoliƟschen SituaƟon. Was würde uns erwarten, was hat sich verändert? Immerhin liegt
unsere letzte Reise nach Königsberg schon 4 Jahre zurück . So schwankten die Gedanken
innnerhalb unserer kleinen Reisegruppe im Vorfeld und noch am ersten Tag unserer
ZusammenkunŌ in Danzig, von wo am Folgetag unser gemeinsamer Grenzgang in die Oblast
Kaliningrad erfolgen sollte.
GrenzübertriƩ in die Oblast Kaliningrad und AnkunŌ in Königsberg
Alle Bedenken lösten sich dann aber rasch im sprichwörtlichen “blauen Himmel “ Ostpreussens
auf. Unser Transfer mit einem komfortablen Sprinter-Bus und das Passieren der Grenze
erfolgte, abgesehen von einer Verzögerung auf polnischer Seite, reibungslos. In Kaliningrad in
Empfang genommen wurden wir dann von Eduard PoliƟko, Chef des Adebar-Reiseteams, über
den wir diese Reise gebucht haƩen. Gemeinsam haben wir dann den obligatorischen
Geldwechsel (mitgebrachte Dollar in Rubel) hinter uns gebracht und unser QuarƟer für die
kommenden drei Nächte bezogen. Übrigens eine sehr gute Wahl, in dieser modernen und sehr
gemütlichen Familienpension Klaudia im alten StadƩeil Rothenstein mit noch vorhandener alter
Bausubstanz, kleinen Gärten und GeschäŌen, fühlten wir uns sofort gut aufgehoben.
Des weiteren verlief unser erster Abend in Königsberg / Kaliningrad dann so, dass wir nach
einem gemeinsamen Abendessen in dem zur Zeit sehr angesagten Restaurant Britanica und in
Begleitung der Familie PoliƟko nebst Enkelkind einen ausgedehnten Bummel am Königsberger
Dom, der Kneip-Insel dem Fischdorf etc, unternahmen. Es war wirklich sehr schön, für Stunden
an diesem entspannten Sommerabend-Flair mit flanierenden Besuchern und kleinen Musik-
Gruppen teilhaben zu können. Ein schöner Ausklang unseres ersten Tages in der Stadt
Königsberg.
Unsere Reiserouten im Königsberger Gebiet
Für die nächsten Tage waren viele individuelle Wünsche der Reiseteilnehmer unter einen Hut zu
bringen – BesichƟgungswünsche im modernen Kaliningrad, dem historischen Königsberg, einige
Tage Erholung an der Küste und dazwischen jede Menge Spurensuche / Heimatort-Besuche in
der grünen ostpreussischen Provinz. Eduard PoliƟko hat daraus sehr schöne Tagestouren für
uns zusammengestellt – 9 Übernachtungen mit nicht zuviel Hotelwechseln, aber Muße zum
Verweilen an allen uns wichtigen Orten
Christ-Erlöser-Kathedrale
Stadt Kaliningrad/Königsberg und Ostseeküste
Die folgenden zwei Tage verliefen angelehnt an das Programm hƩps://www.nordostpreussen-
und-balƟkum-reisen.com/studienreisen/kurzreise-kaliningrad/
Was uns besonders ins Auge gefallen ist: Der lange diskuterte Rückbau des Rätehauses, dem
scheinbar ewigen Negatv-Wahrzeichen der Stadt Kaliningrad, findet sichtbar statt! Errichtet
auf dem Burggraben der 1967 gesprengten Königsberger Schlossruine entsteht hier nun Platz
für Neues. Hierzu soll es Überlegungen zum Wiederauĩau eines des Teils des Alten Schlosses,
insbesondere des Westflügels geben. Wg der aktuellen politschen Situation ruhen diese zur
Zeit allerdings.
Im Gürtel der Stadt und auch im Stadtzentrum findet eine rege Bautätigkeit statt. Alte Häuser
werden hergerichtet, viele Neubauten entstehen.
Angenehm aufgefallen ist uns auch die vor einigen Jahren neu begrünte Anlage des Otto-Lasch-
Bunkers. Eine umzäunte unspektakuläre kleine Anlage mit informatven Stelltafeln. Im Bunker
selbst eine originalgetreue Darstellung der Einrichtung und der Kommando-Situation.
Interessant auch die zahlreichen Museen wie z.B. das Museum der Weltmeere, worauf hier aus
Platzgründen nicht weiter eingegangen werden soll.
Anmerkung: Bereits in 2020 wurde Kaliningrad von tripadvisor und Stern zur Nr. 1 der TOPten
der aufstrebenden touristischen Zentren gekürt! Dies ist nicht mehr zu übersehen!
Speziell zu Kaliningrad werden hier noch die Eindrücke unseres jüngsten Teilnehmers Marvin,
der aus beruflichen Gründen nicht an der gesamten Reise teilnehmen konnte und am Ende der
Reise noch einen Tag allein in der Stadt unterwegs war eingefügt:
“Am 12. Juni, dem Tag meiner Abreise, begab ich mich ins Stadtzentrum Kaliningrads,
genauer gesagt an das Westufer des Oberteichs, um dort den Feierlichkeiten zum
Russlandtag beizuwohnen. Angesichts des einige Wochen zuvor erfolgten Terroranschlages
bei Moskau galten auch hier verschärfte Sicherheitsmaßnahmen, was jedoch der fröhlichen
Stmmung der Besucher keinen Abbruch tat. Während von der Hauptbühne die russische
Nationalhymne und allerlei patriotische Lieder erklungen, konnte man sich an zahlreichen
aufgebauten Ständen mit den Gebräuchen und teilweise auch den kulinarischen Spezialitäten
verschiedener Völker Russlands vertraut machen, auch wenn es mir so schien, als sei nicht die
Asiaten in ihrer bunten Tracht oder der kosakische Schwerttänzer sondern ich, der Deutsche
aus Berlin mit dem Rollenkoffer, hier der Exot. Ich führte das ein oder andere freundliche
Gespräch, genoss neben der Musik und dem Bühnenprogramm ein Schälchen kalten
litauischen Borschtsch und machte mich dann am frühen Nachmittag auf den Weg zur
Bushaltestelle am Hauptbahnhof, um von dort meine Rückfahrt nach Gdansk anzutreten.”
Fazit: Das Leben in Kaliningrad sprudelt. Das Wetter war gut und die Laune der Menschen
ebenso. Es machte Spass, wenn auch nur für kurze Zeit, Teil dieses entspannten Treibens zu
sein.”
Ausflug ins Samland
Am Nachmittag dieses Tages stand eine Exkursion an die Samlandküste an. Die Tour ging über
Juditten mit einer der ältesten Kirchen des Samlandes
(https://de.wikipedia.org/wiki/Juditter_Kirche), welche heute aktiv von der Orthodoxen Kirche
genutzt wird, weiter über Kumehnen nach Palmnicken. Kumehnen hat uns wirklich berührt.
Einer dieser stillen Plätze mit Ruinen aus der Ordenszeit, mit den typischen Störchennestern,
der Dachlosigkeit und dem sprichwörtlich blauem Himmel darüber. In den 2000er Jahren gab es
den Versuch einer Initiative, den weiteren Verfall zu stoppen. Nach dem frühen Tod des
Initiators Lothar Dubbe kam diese Initiative leider wieder zum Erliegen. Inzwischen sind auch
die Fragmente der Fresken im Chorraum kaum noch erkennbar.
Der absolute Kontrast zu diesem stillen Verfall dann in Palmnicken. Hier ist die Umwandlung in
einen gepflegten modernen Badeort gelungen ohne zuviel Altes zu zerstören. Eine gepflegte
Hotelerie, eine wunderbare Parkanlage mit abgestuften Treppen hinab zum berühmten breiten
Sandstrand und dort schöne Strandcafes inmitten des grünen Baumbestandes.
Kumehnen 2024
Strandcafé in Palmnicken 2024
Der zweite Tag war dann der Kurischen Nehrung vorbehalten.
Sehr angenehm aufgefallen ist uns bei Rossitten auf der Haffseite die sehr schöne Parkanlage
mit dem Hotel Altrimo. Eine Top-Adresse auch für einen entspannten Urlaub mit kleinen
Kindern. Auf der Seeseite ist eine großzügige Aussichtsplattform mit einem kleinen Café
angelegt worden. Ein wunderbarer Platz um entspannt einen Kaffee zu geniessen.
Ansonsten ist die Kurische Nehrung leider sehr ruhelos geworden und deutlich belebter als zu
Zeiten, als auch der Grenzübergang nach Litauen noch geöffnet war. Unzählige Autos, kleine
und große Reisebusse säumen die schmale Nehrungs-Straße an den Besichtigungsorten. Vor
den sich aneinanderreihenden Bernsteinhütten und Ständen große
Ansammlungen kaufwilliger Tourien, zumeist aus Zentralrussland. Für Souvenierbegeisterte war
die Nehrung allerdings eine wahre Fundgrube.
Unsere Exkursionen im grünen Hinterland – Kreis Labiau
Der dritte Tag war dem Kreis Labiau mit seinen zahlreichen Wasserstraßen und ausgedehnten
Wäldern in der Landseite am Kurischen Haff gewidmet. Welcher wohltuende Kontrast zu der quirligen Szenerie an der Küste! Erholsam auf dem Weg nach Gilge die Fahrt durch die stille und
sich selbst überlassene Landschaft entlang des Großen Friedrichsgrabens. In Gilge dann die von
uns mit Spannung erwartete Bootstour durch das “Ostpreussiche Venedig”. Bei leider etwas
bedecktem Himmel schipperten wir für ca. 3 Stunden über die Gilge, den Nemonienstrom, die
Laukne und die Timber. Wie auch auf unseren früheren Exkursionen hier eine atemberaubend
stille und endlos scheinende Wasser-Landschaft. Wer mag sich noch erinnern, welch reges
Treiben sich hier vor knapp 80 Jahren abspielte. Aus der Elchniederung und den Dörfern des
Großen Mossbruches wurden mit Lastkähnen die landwirtschaftlichen Erzeugnisse bis zum
Markt nach Labiau oder gar bis Königsberg transportiert. Am Ufer der Moorkolonie Franzrode
erinnert heute nur noch die steinerne Rampe für die Lastkähne an das dahintergelegene
KauĬaus Schipporeit, heute gelegentlich von Anglern genutzt. Vom Timber-Krug an der
Einmündung der Laukne in die Timber und dem Elch-Krug am Wasserkreuz Nemonienstrom
/Großer Friedrichsgraben in Nemonien keine Spuren mehr außer in der Erinnerung. Von der
Schenkendorfer Brücke, wo einst ein berühmter Krug und eine kleine Badeanstalt zum
Schwimmen in der Laukne einlud, bleibt noch die zerstörte Brücke. Über diese Brücke legten
früher die Kinder aus den Moosbruch-Kolonien ihre täglichen Schulwege nach Lauknen zurück.
Eine stille, unwirklich archaisch anmutende Wasserwelt – irgendwie ist es der Zeit gelungen hier
stehen zu bleiben.
Zurück wieder auf sicherem Boden in Gilge dann das krasse Gegenteil. Das ehemals verträumte
Fischerdörfchen Gilge, bis vor einigen Jahren noch bekannt durch das Gasthaus von Leni Ehrlich
ist inzwischen zu einem quirligen russischen Feriendorf angewachsen. Vor allem am südlichen
Ufer mit eingezäunten respektablen privaten Ferienhäusern, kleinen Hotels, Gastronomie etc.
gesäumt. Die Hauptattraktion hier ist das “Fischdorf”, eine weitläufige Anlage mit Restaurant,
Hotel und Bootsverleih. Hier stärkten wir uns nach unserer Bootstour mit einem Burger.
Weitere Stationen an diesem Tag waren die ehemalige Brauerei Arthur Blankenstein in Labiau
und die Alte Dorfschule in Waldwinkel. Beide Initiativen sind integrale Bestandteile des
länderübergreifenden Ökotourismus – Projektes VON KÜSTE ZU KÜSTE. Ausführliche Infos s.
www.adebar://www.nordostpreussen-und-balƟkum-reisen.com/neue-projekte/alte-
dorfschule/-.
Übernachtung an diesem Tag bei unseren inzwischen sehr guten Bekannten in Waldwinkel mit
einem ausgedehntem Abendessen und anschließender Stärkung mit den dazugehörigen
“Wässerchen”.
Am Großen Friedrichsgraben 2024
Am vierten Tag weiter im Kreis Labiau – Vergeblicher Versuch, von Waldwinkel aus über die
Waldseite nach Alt-Heidendorf zu gelangen. Die über die Jahre immer mal wieder
ausgebesserte Strasse hat letztlich den Kampf gegen die Kies- und Sandlaster verloren. Mit
einem Umweg von 2 Stunden gelangten wir dann entlang des idyllisch zugewachsenen Ufers
des Großen Friedrich-Grabens zur ehemaligen Schule von Juwendt. Dieser Treffpunkt war mit
einem lieben alten Bekannten aus Alt-Heidendorf ausgemacht, der dann mit einem kleinen
Boot über den Großen Friedrichsgraben zu uns herüber ruderte. Ein etwas wehmütiger
Abschied (wer weiß schon, was die Zukunft bringen wird) mit kleinen Geschenken beiderseits.
Nach diesem recht emotionalen Programmpunkt begaben wir uns dann auf den Weg in
Richtung Tilsit mit einem Abstecher über Szargillen / Eichrode und Luknojen.
Angekommen in Tilsit wurden wir dann bei einem Spaziergang über die gepflegte neue
Promenade am Memelufer vor der Königin-Luisen-Brücke mit einem wundervollen
Sonnenuntergang belohnt. Übernachtung im Hotel Rossija.
Am 5. Tag dann unsere Exkursion in der Elchniederung – zunächst ging es ausgestattet mit den
erforderlichen Passierscheinen ab der Sköpener Brücke ins Sperrgebiet der Elchniederung. Auch
hier wieder ein Wechselbad der Gefühle. Durchaus noch malerisch anmutende Fischerdörfchen
wie Karkeln und Schakendorf mit ihren Fischereisowchosen und auf der anderen Seite große
Enttäuschung in dem ehemals schmucken Marktflecken Kuckerneese. In Kuckerneese scheint
die Sanierung der eingerüsteten Kirche zum Stillstand gekommen zu sein. Ob und wie es
weitergeht, konnten wir zum Zeitpunkt unseres Besuches leider nicht in Erfahrung bringen. Die
Fassaden der ehemals schönen Gebäude am Marktplatz sind sichtbar weiter dem Verfall
überlassen. Ähnliches in dem etwas südlich und außerhalb des Sperrgebietes gelegenem
Seckenburg. Geblieben ist der weite Blick über die vorgelagerten Gilgewiesen zum Fluss
hinunter, verschwunden das stattliche Holzhaus, dass hier noch vor einigen Jahren auf der
Anhöhe zum Gilgedamm stand; die Kirche verschlossen und mit kleinen Tannenbäumchen, die
aus den Mauern lugen. In dem kleinen Magazin, das die verbliebenen Bewohner mit
Lebensmitteln versorgt, stärkten wir uns dann mit einem leckeren Eis. Ein kleiner Lichtblick war
dann der Abstecher nach Rauterskirch, wo sich ein Verein liebevoll um die idyllische kleine
Anlage um die Ruine der ehemaligen Oktagon-Kirche kümmert. Es tat einfach gut, über die
Wiese zu schlendern und bei den einzelnen Gedenksteinen zu Menschen, die hier einmal
gelebt haben, zu verweilen. Was uns noch aufgefallen ist, es waren sehr viel weniger
Storchennester als in früheren Jahren an diesem als Storchenkolonie bekannten Ort
Karkeln am Karkelstrom 2024
In Schakendorf
Tilsit und weiter entlang der Memel bis nach Trakehnen
Von Tilsit geht es heute nach Ragnit – Kraupischken – Insterburg – Gumbinnen – Angerapp und
Trakehnen.
Im nahegelegenen Ragnit galt unser erster Stopp der ehemaligen am Memelufer gelegenen
Ordensburg Ragnit. Seit einigen Jahren findet hier im Rahmen eines Kulturprojektes eine
Sanierung der weitläüfigen Anlage mit einem integrierten Hotelkomplex innerhalb der
mächtigen Mauern statt. Nähere Infos hierzu s. https://www.nordostpreussen-und-baltikum-
reisen.com/neue-projekte/ordensburg-ragnit/
Dann stand ein sehr persönlicher Besuch auf unserem Programm. In Breitenstein statteten wir
dem Direktor des Heimatmuseums Kraupischken, Herrn Juri Uzerzow einen Besuch ab, für
einige unserer Teilnehmer inzwischen schon ein guter alter Bekannter von früheren
Begegnungen. Zum Abschluss unseres Rundgangs durch dieses sehr sehenswerte Museum mit
vielen Informationen und Fundstücken noch aus der Deutschen Zeit, gab es dann eine kleine
Stärkung nebst den dazugehörigen “Wässerchen”
Nähere Infos zu dem Heimat-Museum Kraupischken s. https://www.nordostpreussen-und-
baltikum-reisen.com/wissenswertes/heimatmuseum-kraupischken/
Im Wesentlichen war dieser Tag aber den Erinnerungen und der Spurensuche unserer
Teilnehmerin Ingrid gewidmet. Ein Auszug aus diesen sehr persönlichen Eindrücken sei deshalb
hier im Original eingefügt:
“Selbst habe ich keine Wurzeln im Königsberger Gebiet, habe aber 1996 – 1999 an
Humanitären Hilfstransporten teilgenommen und an weiteren Reisen mit dem
Partnerschaftsverein Rossitten. Dieses nun ist meine bisher ausgedehnteste Reise ins
Nördliche Ostpreussen und ich war sehr gespannt, inwieweit ich nach so vielen Jahren
noch an vertraute Erinnerungen und vielleicht sogar auch Begegnungen anknüpfen
können würde.
Unsere Reise fand ja zum Zeitpunkt der Lindenblüte statt und so stellten sich beim
spazieren über die alten Alleen mit ihrem gut erhaltenem Kopfsteinpflaster sofort wieder
die vertrauten Erinnerungen ein. Ganz besonders berührt hat mich das, an den oft mit
Linden umstandenen Kirchenruinen und Denkmälern während der zweiten Hälfte der
Reise, im Gebiet von Tilsit bis Trakehnen.
Selber auf einem Bauernhof mit Pferden aufgewachsen, war Trakehnen natürlich mein
besonderer Anziehungspunkt. Die „Alte Apotheke“, wo wir damals immer zu Mittag
gegessen hatten, wird wohl nicht mehr bewirtschaftet, aber neu für mich war die Statue
(Kopie) des Tempelhüters vor dem Landstallmeister-Haus. Auch die mir aus der Zeit der
Humnitären Hilfstransporte noch vertrauten Orte Insterburg, Gumbinnen, Angerapp, das
Gestüt Weedern und die Sowchosen/Kolchosen Grimmen und Sausreppen standen auf
meiner Wunschliste. In Angerapp ist es nach meiner Erinnerung stiller geworden und auch
der Betrieb in Weedern scheint zu ruhen.
In Grimmen ist es mir gelungen dank der geduldigen Spurensuche von Eduard Politiko
etwas Heimaterde für das Grab eines im vergangenen Jahr verstorbenen und in Grimmen
geborenen lieben Ostpreussichen Freundes mit nach Hessen zu bringen. Auf dem
Soldaten-Friedhof in Insterburg gelang es mir mit Eduards Hilfe auf einer Gedenktafel die
Inschrift eines Nachbarn meines Vaters ausfindig zu machen. Bei einem früheren Besuch in
den 90igern hatten wir diesen Friedhof vergeblich gesucht.
Mein persönliches Fazit:
Wer vorhat, noch einmal in das „Land der Dunklen Wälder“ zu reisen, sollte nach meiner
Meinung nicht zu lange warten. Man weiß ja nie, was die Zukunft noch so bringt.
Bedenken, in dieser Zeit ins Kaliningrader Gebiet zu fahren, haben sich als haltlos
erwiesen. Die Leute, mit denen wir während unserer Tour ins Gespräch kamen, waren sehr
freundlich und hilfsbereit. Und unser Reiseleiter und Chef des Adebar-Reisteteams Eduard
Politiko war neben seinem großen Wissen zu Land und Leuten, dem Befragen von
Zeitzeugen unser „Problemlöser“ bei allen kleinen Alltagsproblem bis hin zum Übersetzen
der Speisekarte.”
Tempelhüter (Kopie) vor Landstallmeisterhaus Trakehnen
Kirche in Angerapp
Am Ende dieses langen Tages mit vielen Eindrücken, die uns alle sehr berührt haben, erreichten
wir dann müde und erschöpft unser Domizil in Cranz / Selenogradsk. Unser Quartier für die
letzten drei Übernachtungen auf unserer Reise war hier eine moderne Ferienwohnung im 8.
Stock in einem der zahlreichen neueren Hochhaus-Komplexe, von wo wir aus einen grandiosen
Rundblick über die schöne neue Welt dieser Wohn-Komplexe, aber auch zur Ostsee hin
genießen konnten.
Cranz
Für Cranz lassen wir nochmal unseren jüngsten Teilnehmer Marvin sprechen:
“Besonders im Gedächtnis geblieben ist mir die Küstenstadt Selenogradsk (ehemals Cranz),
etwa 20 km nördlich von Kaliningrad. Auf Schritt und Tritt wird man hier auf der
Flaniermeile von streunenden, aber zutraulichen und gepflegten Katzen begleitet, die
sogar ihre eigenen kleinen Häuschen besitzen. Aber nicht nur von der Straße, auch von den
Fassaden der Häuser schauen einen hier Katzen an, was dem Städtchen zweifellos seinen
eigenen Charme verleiht. Passend dazu begegnet einem beim weiteren Schlendern durch
die Fußgängerzone, vorbei an Souvenirläden und Bekleidungsgeschäften, direkt vor einem
Restaurant eine schneeweiße Statue W.I. Lenins, der bekannterweise ein großer
Katzenliebhaber war.”
Unser letzter Tag im Königsberger Gebiet:
Tagesfahrt entlang des Pasmar bis nach Preussisch-Eylau
Persönlicher Bericht von Ute Poeppel:
“Meine Familie mütterlicherseits stammt aus Natangen, aus verschiedenen kleinen Orten
am Flüßchen Pasmar (Reka Mayskaya), der sich zum frischen Haff hin schlängelt.
Vorbereitet hatte ich meine Reiseziele auch mit Hilfe von Frau Christine Bilke-Krause von
der Kreisgemeinschaft Preußisch-Eylau, die mir dankenswerter Weise einiges an
Information sowie handgezeichnete Ortspläne von Cavern und Sollau zur Verfügung
gestellt hat. Meine Ziele:
1) Cavern (der Ort gilt als erloschen),
2) Sollau (Krasnoarmeiskoje),
3) Althof (Orechowo), Abbau außerhalb des Örtchens
4) Preußisch-Eylau (Bagrationowsk).
Los gehts. Wir (ein kleines Grüppchen von drei Deutschen mit unserem russischen Freund
und Reiseführer Eduard Politiko) starten in Cranz mit dem Kleinbus vom Adebar-Reiseteam
und erreichen über Königsberg kommend zunächst Kreuzburg (Slawskoje). Dort machen
wir einen kleinen Stopp bei der Kirchenruine.
Weiter geht es in Richtung Cavern, meinem ersten persönlichen Ziel heute. Maria Kluschke,
meine Urgroßmutter großmütterlicherseits besass in Cavern einen Hof, der Urgroßvater
war früh gestorben. Noch nie hier gewesen, möchte ich schauen, ob ich noch Spuren des
erloschenen Örtchens finde. Wie vermutet, neben der Landstraße nichts außer Ackerland,
Brachland, Gebüsch und Bäume. Mit google-maps-Karten und den handgezeichneten
Ortsplänen ausgestattet, halten wir auf der Landstraße an einer Stelle, an der wir das
ehemalige Dorf vermuten. Eduard, unser Begleiter, ist ein guter Pfadfinder. An einem
Waldrand steig ich ins Feld und habe das Glück, das ein größeres Gefährt eine Schneise im
hohen Gestrüpp hinterlassen hat. So kann ich einen Weg durchs vermeintliche Dorf gehen.
Und tatsächlich, ich finde minimale Spuren roter Backstein-Fragmente auf meinem Weg.
Hier bin ich also richtig. Ich folge dem vorgegebenen Schneisenweg und gelange nach
einer Weile an eine sehr große alte Eiche umringt von bewohnten Bienenkästen sowie zu
einem verwilderten Apfelbaum. Dies also sind die Reste von Cavern. Ich bin traurig und
glücklich zugleich, immerhin habe ich das Dorf gefunden und noch ein paar wenige
“Reliquien”. Es wäre bestimmt lohnenswert im Winter ohne Vegetation die Spurensuche
nochmal aufzunehmen. Auf meinem Rückweg kommt mir ein junger Bauer mit dem
Traktor (daher der Schneisenweg) entgegen. Er hält, steigt aus und kommt verwundert auf
mich zu. Er kann ein bißchen Englisch und ich erkläre ihm meinen ungewöhnlichen
Aufenthalt im gestrüppigen Niemandsland. Er erzählt mir, dass er nicht weit von hier einen
Hof hat, den man in der Ferne erblicken kann. Auf dem Rückweg nehme ich etwas von
dem zerborstenen roten Ziegel und ein bißchen Erde mit auf meine weitere Reise.
Von Cavern aus geht es nach Sollau (heute Krasnoarmeiskoje). Das idyllische Dörfchen
liegt von Kreuzburg aus gesehen, versteckt rechts neben der Landstraße Richtung
Preußisch-Eylau. Eine alte Birkenallee führt über Pflastersteine ins Dorf. Hier ist die Zeit fast
stehen geblieben. Der Hof meiner Urgroßeltern Friedrich & Mathilde Quandt
(großväterlicherseits), später bewirtschaftet vom ältesten Sohn Rudolf Quandt mit Magda
steht noch zum Teil. Das Wohnhaus ist bewohnt. Die Nebengebäude existieren als
Grundmauern und Fundamente. Leider läßt uns der Russe, der nun den Hof mit seiner
Familie bewohnt, nicht auf das Anwesen, welches mit vielen alten Autowracks bestückt ist.
Vor Jahren erlaubte mir der Sohn dieser Familie eine Begehung und schenkte mir sogar ein
altes Hufeisen, welches an der Häuserwand hing. Dies konnte ich meiner Mutter als
Glücksbringer mitbringen.
Hier in Sollau, machen wir ein romantisches Picknick auf der Brücke über den Pasmar mit
Käse, Wurst, Brot, Tomaten und Obst. Eduard hat uns etwas ganz besonderes
mitgebracht: Ein Fläschchen Meschkinnes (Bärenfang). Ein Bekannter von ihm, stellt
diesen 50%igen Trank in der Nähe von Ragnit her. Mmh, ist das lecker. Während die
anderen ausgiebig schlemmen, zieht es mich, die Gegend weiter zu erkunden.
Ich folge verschiedenen Wegen beidseitig des Pasmar und suche vor allem den Sollauer
Friedhof. Dank der handschriftlichen Pläne und google maps kann ich ihn gut finden,
komme allerdings nicht bis an ihn heran, da private Grundstücke den Weg versperren. An
einem alten Häuschen mit Garten direkt vor dem Friedhof kommt mir eine aufgeregte laut
maunzende Katze entgegen. Vom Besitzer keine Spur. Wie wir später erfuhren, war der
Mann am vorherigen Tag mit Schlaganfall ins Krankenhaus gekommen. Ein Haus weiter
haben wir Glück. Hinter einem neuen Gartenzaun, fragt Eduard einen alten Mann, der vor
seinem kleinen Häuschen hinter dem Wasserbrunnen rumwerkelt. Er läßt uns ein und
begleitet uns zwischen Kartoffeln und anderen bewirtschafteten Flächen bis zum
ehemaligen Friedhof. Dieser ist vollkommen zugewuchert und unbegehbar. Der Mann war
vor vielen Jahren zuletzt auf dem Friedhof gewesen und hatte noch alte Grabsteine gesehen. Ich sah im Gestrüpp des Außenbereichs eine Art Eisenzaun, vielleicht die äußere
Umgarnung des Friedhofes. Auch hier wäre eine Besichtigung im Winter sinnvoll.
Der alte Mann erzählt uns, dass der Friedhof nach dem Krieg verwüstet worden sei. Es hieß
damals, dort lägen alles Faschisten. Der Alte war 1948 als dreijähriges Kind mit seiner
Mutter nach Sollau gekommen und wohnte seit vielen Jahren allein in dem kleinen
bescheidenen Häuschen. Er berichtet, dass sie damals in das ärmste Haus des Ortes
eingezogen wären, es gab sehr unterschiedliche Häuser, einfache und auch wohlhabende.
Am Ende unserer Begegnung, sagt er zu mir: Ja, wenn der Krieg nicht gewesen wäre, dann
hätten ihre Leute hier bleiben können. Er sagt dies verständnisvoll und ganz einfach, aber
mit der Weisheit und Erfahrung eines alten Menschen, der die Wirklichkeit des Lebens
neben der Propaganda und den Erzählungen der Herrschenden kennt. Das war sehr
versöhnlich und eine berührende Begegnung. Wir nehmen Abschied und verlassen Sollau.
In Sollau, Brücke über das Flüßchen Pasmar
Weiter geht es auf der schönen alten Alleestraße Richtung Preußisch-Eylau nach Althof
bzw. ins Umland zum sogenannten Abbau des Ortes. Da ich schon zweimal dort war,
glaube ich den Weg zu kennen. Aber inzwischen hat es auch hier kleine Veränderungen
gegeben, so dass der Weg im Ort durch Zäune und einen kläffenden großen Hund
versperrt ist. Es gibt zum Glück noch einen zweiten Weg, der hinter dem Ort über eine
kleine Pasmarbrücke führt. Das Autofahren hier ist eine unmögliche Herausforderung und
ich beschließe einen Teil des Weges zu Fuß zu gehen. Die großzügige Weite der Landschaft
unter dem herrlichen ostpreußischen Himmel, das Zirbeln und Zwitschern der Insekten und
Vögel ergreift mich nicht zum ersten Mal. Vom Hof meiner Großeltern Albert und Olga
Quandt ist nichts übrig geblieben, bei meiner ersten Reise 2015 hatte ich noch einen
Weidezaunpfahl (vermutlich Eiche) mit Stacheldraht gefunden. Auch hier ist jetzt das
Gestrüpp so hoch, dass das Land jenseits des Weges nicht begehbar ist. Ich stehe eine
Weile und nehme die Landschaft, den Wind und die Geräusche heilsam in mich auf.
Nun geht es zu unserer letzten Etappe des Tages: Nach Preußisch Eylau. Wir haben keine
Passierscheine für die Stadt beantragt, obwohl dies aufgrund der Grenzlage vonnöten ist.
Aber wir haben unsere Sondergenehmigungen für die Elchniederung dabei. Das sollte
helfen, falls wir kontrolliert werden.
Das Städtchen scheint kaum verändert seit meinem letzten Besuch. Bei der Burg machen
wir einen kleinen Stopp mit Kaffee und Süßgebäck an einer Kaffeebude mit
Außensitzmöglichkeit. Zwei Damen im Imbiss klären uns auf: Die Burg hat einen Investor
gefunden und die Renovierung ist deutlich sichtbar und wohl von außen abgeschlossen. Es
finden auch Führungen statt, die eine der beiden Damen durchführt.
Weitere Infos hier (Übersetzung mit google möglich) https://kgd.ru/spp/eylau/
Bahnhof Preussisch-Eylau
Es geht weiter und bei unserem nächsten Halt erkennen wir schon aus der Erinnerung in
leuchtenden Rosatönen den Bahnhof von Preußisch-Eylau. Ein repräsentativ wirkendes
und anscheinend intaktes Gebäude. Den Abschluss macht unser Besuch des L´Estocq-
Denkmals, welches umgeben von inzwischen hohen Bäumen eine schöne gepflegte
Anlage ist. Übrigens, wir wurden heute kein einziges Mal in Preußisch-Eylau kontrolliert,
haben auch keine Kontrollstation erblicken können und haben uns frei in der Stadt
bewegt. Gleiches gilt übrigens auch für Tilsit, wo wir zuvor für 2 Nächte untergebracht
waren. Lediglich auf dem Weg zur Grenzsperrzone Elchniederung gab es bei unserer Reise
eine Kontrolle, die aber ohne jegliche Problematik verlaufen ist, hierfür hatten wir ja die
Passierscheine.
Fazit meiner persönlichen Tagestour:
Entlang des Pasmars war von dem wilden Treiben der Touristenorte fast nichts zu spüren.
Hier gehen die Uhren noch ähnlich langsam wie vor der Coronazeit, dem Ukraine-Krieg
und den westlichen Sanktionen. Aber die Zeit schreitet auch hier voran. Die Spuren
unserer Ahnen werden weniger. Eine Wehmut hat sich zur anderen Wehmut gesellt.
Siehe auch meine Kunstaktion “Olga‘s Reise“ und erste Fahrt nach Ostpreußen 2015:
https://www.weisse-gaerten.de/kunstwerke/olga-s-reise/
Gemeinsames Fazit unserer kleinen Runde am Ende dieser ganz besonderen Reise:
In Königsberg, an der Samlandküste mit seinen historischen Badeorten Palmnicken, Rauschen
und Cranz, aber auch entlang der Nehrungsstraße und in Teilen der Elchniederung (Gilge) ist ein
reges Treiben ausgebrochen. Es wird emsig saniert und gebaut. Unübersehbar ist auch hier eine
neue Zeit mit Modernisierung und Massentourismus angebrochen. Touristen und Investoren
aus Zentralrussland erobern das viele Jahre im Dornröschenschlaf gelegene alte Ostpreußen.
Darauf muß man sich einstellen. Das Positive daran: Urlaub in einer gepflegten Hotelerie ist hier
inzwischen auf dem gleichen Standard möglich wie an der deutschen Nord- oder Ostseeküste.
Weiter im Inland werden die Äcker bestellt, wir haben große Flächen mit Getreide, Mais, Raps,
Soja sowie mehrere riesige Herden „Black Angus Rinder“ bei unseren Rundtouren gesehen.
Aber wir haben auch dies gefunden – die stillen unvergleichlichen Landschaften etwas weiter im
Inland des Samlandes, der Rominter Heide und an der Landseite des Kurischen Haffs, die so
typisch sind für das Sehnsuchtsland Ostpreussen. Auch unsere „Heimatorte“ gibt es noch. Aber
meist sƟller und verlassener, teils auch verfallender als noch vor Jahren. Man merkt, dass viele
Menschen aus der Provinz jetzt Arbeit und Auskommen in der boomenden Küstenregion
gefunden haben.
Reisende aus westlichen Ländern haben wir nur vereinzelt gesehen. Die ansässige russische
Bevölkerung begegnete uns freundlich, der Umgang an der Grenze, beim Geldwechsel, Einkauf
oder im Restaurant war durchweg höflich und korrekt. Zum Teil wurden wir sogar freudig und
neugierig angesprochen, wenn die Menschen hörten, dass wir Deutsch sprachen. Und natürlich
haben wir dabei auch auf die deutsch-russische Freundschaft ein paar Wässerchen getrunken
und waren uns einig, dass wir den Frieden wollen.
Zuguterletzt: Das Königsberger Gebiet bzw. die Oblast Kaliningrad ist wie eh und je eine
Reise wert. Aber man muß bedenken – die Zeit ist auch hier nicht stehengeblieben. Dann
wird alles gut!!!