Die Familie Chevalier wanderte um 1700 als Familie Ritter aus der Schweiz nach Ostpreußen ein und wurde im Kreis Gumbinnen in dem kleinen Dorf Roedszen seßhaft. 1944 mußte sie ihren Bauernhof verlassen und flüchtete mit allen anderen in den Westen, so sie am Elm wieder eine Landwirtschaft betreiben konnten. Ostpreußen blieb aber ständig präsent, und als es mit dem Fall der Sowjetunion möglich wurde, die alte Heimat wieder zu besuchen, waren sie sofort dabei. Karin Banse, lange Jahre Vorsitzende der Kreisgemeinschaft Gumbinnen, kam, unterstützt von ihrem Bruder Peter Ritter, auf die Idee, einen Erinnerungsstein an das Heimatdorf zu errichten. Und Peter Ritter hat nun aufgeschrieben, wie die Idee realisiert wurde. Er hat dabei aus seinen Emotionen kein Hehl gemacht, hat die gute Zusammenarbeit mit den neuen Bewohnern seiner Heimat gewürdigt und die Ereignisse in literarischer Form unspektakulär geschildert. Eine Kurzfassung von Peter Ritters Bericht veröffentlichen wir in unserem Blog. Die ungekürzte Fassung ist abgedruckt im Gumbinner Heimatbrief, Juli 2025, S. 90 ff. Sie werden sie auch bald in unserem Beitrag über das Dorf Roedszen im Kreis Gumbinnen finden.
Geschichten aus der Heimat
Beweggründe und Aufwendungen zu unserem Erinnerungsstein
Von Peter Ritter aus Groß Dahlum
Meine Erinnerungen in einer Zusammenfassung der Umstände, die dazu führten, dass der Erinnerungsstein nach Roedszen auf den Friedhof kam.
Es war 1995, als wir, meine Schwester Karin und ich, mit dem Bus der D Mayer & Keil im August nach Gumbinnen fuhren. Es war schon das dritte Mal, daß wir nach Ostpreußen gingen, diesmal nur wir beide. Wir hatten nach den ersten Besuchen dort festgestellt, dass, wenn wir mit vielen zusammen fuhren, wir eigentlich nicht das fanden, was wir suchten. Das waren die kleinen Stücke, die immer übersehen wurden, wenn die große Schar der Familienmitglieder übereifrig alles durchsuchte.
Schon als Kinder waren meine Schwester und ich bald einer Meinung und so waren wir mit unserem diesmaligen Programm uns einig, was wir da in unserer alten Heimat wollten. Wir wollten nachsehen, was es wirklich war, das uns andauernd darüber nachdenken ließ, wo wir herkamen. Und du gehst ganz anders durch die Landschaft mit solchen Gedanken und siehst auch vieles, was du sonst nicht erkannt hättest. Du erkennst die Landschaft an neuen, an vergessenen Blickpunkten. Die topografische, immer schon dagewesene landschaftliche Gestaltung wird dir wieder bewußt. Das ist eine wunderbare Erfahrung.
Und sie erscheint dir als etwas ganz Neues.So ungefähr waren unsere Gedanken, als wir dann nach der Taxifahrt bis zu der Stelle, wo es nicht mehr weiter geht, zu Fuß weiter zogen. Und das war an dem steilen Berg, dem verflixte Schestocker Barch, wie die Pferdefuhrleute früher schimpften.
Du gehst durch das dir bekannte Schestocken, also Peterstal, da war unsere Schule und unser Onkel Albert Karoos, der allen Leuten die Klumpen baute, wohnte da und Neubachers, Verwandte von uns. Fast die gesamte Ortslage war ein einziger großer See, um den wir herum
gingen, aber wir erkannten eigentlich alle ehemaligen Gehöfte und Häuserstellen, meistens an den alten, noch stehengebliebenen Obstbäumen und Ziersträuchern. Selbst unsere alte Schule
konnten wir noch ausmachen, es war der Bewuchs des Russischen Weins, der jetzt natürlich auf dem Erdboden sich breit machte, das Schulhaus gab es ja nicht mehr.Nun gingen wir beiden ehemaligen Schulkinder unseren alten täglichen Schulweg nach Hause, tatsächlich kamen wir uns so vor, wir konnten die bekannte Strecke gehen, die war nicht überschwemmt.
Und so saßen wir dann auch da, wo wir damals als Kinder saßen, wenn uns der Heimweg so weit und die Sonne so heiß vorkam. Es ar wirklich einmalig schön für uns beide, wie damals. Uns kamen Gedanken und wir sprachen darüber. Den ganzen Weg weiter bis an die Stelle, wo wir Schulkinder immer in den Friedhof einstiegen,um quer rüber ein paar Meter Weg einzusparen. Das wurde überhaupt nicht einfach, wir mussten uns beinahe hinlegen,
um in das Friedhofsgelände reinzukommen – unter Rosengestrüpp und Wildkraut, Dornen und Brennnessel und Disteln hindurch. An aufgebrochenen Gräbern vorbei, keins war unbelassen. Plötzlich ein unbeschädigter Stein – Gottlieb Heldt, gefallen 8.2.1941. Ich rief
Karin und sagte ihr, daß ich bei seiner heldenhaften Beerdigung dabei gewesen bin und erzählte von den Gewehrschüssen, die abgefeuert wurden. Wer weiß denn heute davon? Und dann zur großen Steinplatte, dem Grab des Unbekannten russischen Soldaten vom Ersten
Weltkrieg. Weiß auch keiner, war sogar für uns beide sehr schwer den zu finden, war unter viel Erde gerade erkennbar. Wir waren doch hin und her gerissen, fragten uns, was wir wohl
noch so finden würden, wenn wir suchen würden. Und Karin sagte, was meinst du, könnte man diesen Friedhof sauber machen und wieder aufräumen?! Na klar, ste ich wohl sofort, wenn wir ihn schön einpacken und mit nach Hause nähmen, könnte man das da machen. Um Gottes Willen. Aber der Gedanke war in unserem Kopf und Karin ließ nicht locker. Ab damals wurde der Gedanke, etwas mit oder für oder auf der Stelle unserer Geburtsheimat zu machen, nicht mehr aufgegeben und verfeinert.“ ……Es wurde der Plan gefasst, auf dem Gelände des Friedhofs von Roedzen einen Erinnerungsstein zu setzen.
„Mit Wilfried Stahl zogen wir durch die Gegend und fanden am Hofbereich der Vorwerksruine Marienhöhe den lange gesuchten Hauptstein für unser Erinnerungsdenkmal. Alle waren damit einverstanden – Juri stellte sich als Steinmetz vor, Wilfried wollte den Stein mit Traktor und Lader rausholen und nach Schulzenwalde / Dubrawa schaffen, wo Juri ihn dann behandeln würde. War ja alles bestens, optimistisch fast fertig. Der Stein stellte sich als beinahe eine Tonne schwer dar, fiel einige Male vom Wagen und kullerte den Berg hinab, wurde letztlich nicht bis zu Juri ans Haus geschafft, sondern nur bis in den Vorgarten. Nicht so schlimm, Juri baute also zuerst eine Hütte über den Stein, was dann auch seine wintertaugliche Steinmetzwerkstatt wurde.“
„Wir, das heißt Karin, Klaus, meine Brüder Hans und Ulrich und Schwester Ute, entschieden dann im Herbst 1997, also nach Karins sechzigsten Geburtstag, einen Termin im Herbst 1998 für die Einrichtung und Setzung des Erinnerungssteins auf dem alten Roedszer Friedhof fest zu machen. Das war sehr gewagt, musste aber so sein. Dann starb unser Bruder Ulrich mit 59 Jahren im April 98. Trotzdem machten wir weiter und Karin machte die Termine mit der Osjorsker Duma, mit dem Bürgermeister Aleksander Alevski. Wie auch mit dem mittlerweile
zum Probst erkorenen Heye Osterwaldt. Meldete uns über Mayer beim Kaiserhof an, erinnerte alle Freundinnen und Freunde an diesen Tag, das wurde der 2. August 1998. Damit war das Ultimo gesetzt. Mal sehn, was werden wird !?
Dann waren wir in Gumbinnen, Karin mit Klaus, meine Frau Dagmar war auch dabei, Hans und Ute kamen mit Neubachers per Flieger. die meisten fuhren mit Mayers Kulturreisen-Bus.
Dagmar und ich kauften einen Hammel, den die Dubrawaer Frauen wunderbar vorbereiteten, zum Friedhof brachten und dort ein Festessen mit Brause, Bier, Kaffee und Wodka präsentierten. Eine Festtafel, toll.
Wir fuhren auf Wilfried Stahls Wagen, von seinen Traktoren gezogen, wirklich mühselig aber lustig und feierlich von Buylien / Schulzenwalde / Dubrawa nach Roedszen quer Wildnis zum Friedhof. Das waren gute sechs Kilometer durch hohes Kraut- und Dornengestrüpp. Klaus brachte es fertig, die verspäteten, also die per Flieger Gekommenen mit seinem stabilen Toyota-Geländewagen auch dort hinauf zu bringen. Viele Interessierte wurden von Richard Mayer in seinen Bus gebeten, womit man meinte, nach Dubrawa gefahren zu werden. Doch
er fuhr sie zum Vystiter See. Manche besorgten sich dort ein Taxi und kamen sehr verspätet
zum Friedhof. (Mayer hat sich nie dafür entschuldigt, das machte seine Frau Erna später von Landshut aus.)
Pastor Osterwaldt „segnete“ den Stein, eine nette Dolmetscherin übersetzte ins Russische, Aleksander Alevski machte eine anerkennende Aussage zu solch einer neuen Einrichtung und wollte eine Würstchen- oder Schaschlikbude dort einrichten, damit alle seine Darkehmer
Einwohner ein Spaziergangsziel bekämen.
Karin, Klaus, Dagmar und ich luden alle zum Festmahl. Ich meine, es waren fast 50 Teilnehmer, alle freuten sich. Ich hatte dabei noch eine kurze Urkunde mit den Namen der ehemaligen Roedszer in das Steinkreis einmauern lassen. Ein wunderbares Fest, am Nachmittag des 2. August 1998.“

Die Familie Banse – Ritter freut sich über den gelungenen Erinnerungsstein
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