Geschichte des Kreises Tilsit-Ragnit
Bis zum Versailler Vertrag als Abschluss des 1. Weltkriegs wurde Ostpreußen im Norden durch eine Grenze abgeschlossen, die vom östlichen Schmalleningken an der Memel bis Nimmersatt nördlich der Stadt Memel reichte, seit dem Frieden am Melnosee 1422 fast genau 500 Jahre Bestand gehabt hatte und allgemein anerkannt war. Verwaltungsmäßig gab es nördlich der Memel den Kreis Heydekrug sowie Teile des Kreises Tilsit und des Kreises Ragnit. Ohne Volksbefragung wurde das Gebiet nördlich der Memel durch den Versailler Vertrag von Deutschland abgetrennt und der Kontrolle des Völkerbundes unterstellt, die die Franzosen wahrnahmen.
Indem so die Memel zum Grenzfluss dekretiert wurde, schrumpften die Kreise Tilsit und Ragnit. Der Kreis Tilsit verlor von seiner ursprünglichen Fläche von 771,76 qkm mit 43.179 Einwohnern ein Areal von 647,34 qkm mit 33.645 Einwohnern. Es verblieb ein Rumpf von 124,42 qkm mit 9.534 Einwohnern. Der Kreis Ragnit hatte nach dem Stand von 1914 eine Fläche von 1.220 qkm mit einer Bevölkerungszahl von 55.338 Einwohnern. Davon wurden nach dem 1. Weltkrieg 269 qkm mit 8.934 Einwohnern an das Memelland abgetreten und es blieb ein Rest von 951 qkm mit 49.419 Einwohnern.
Während man nördlich der Memel aus den Restgebieten von Tilsit und Ragnit den Kreis Pogegen bildete, legte man die Reste der Kreise Tilsit und Ragnit südlich der Memel mit Inkrafttreten des Ostmarkengesetzes vom 21. 7. 1922 zum Grenzkreis Tilsit-Ragnit zusammen. Der südlich der Memel gelegene Teil des Kreises Heydekrug wurde dem Kreis Niederung, später Elchniederung, zugeschlagen.
Tilsit erlitt zwar durch die neue Grenzziehung erhebliche Einbußen bei der vorher umfangreichen, da frachtgünstigen Holzflößerei und der damit einhergehenden Holzwirtschaft, zeichnete sich jedoch gegenüber Ragnit durch seine günstigere Verkehrslage und die größere Anziehungskraft für zahlreiche Wirtschafts- und Handelsunternehmen aus. Deshalb wurde Tilsit, obwohl Repräsentant eines stark geschrumpften Kreises, anstelle von Ragnit die neue Kreisstadt und Sitz des Landrats.
Da die Kreisgrenzen der Kreise Ragnit und Tilsit sowohl nördlich als auch südlich der Memel verliefen, war die Memel über die Jahrhunderte kein Grenzfluss, sondern verlief mitten durch das Land und hatte dadurch eher etwas Gemeinsamkeit Begründendes, Verbindendes. Dazu gehörte auch, dass die sich einst links und rechts der Memel über die Kreise Heydekrug, Niederung sowie Teile von Tilsit-Ragnit und Labiau erstreckende Litauische Niederung zu den fruchtbarsten Gegenden des Deutschen Reiches gehörte, weitgehend entstanden durch den zurückbleibenden Schlamm der über die Ufer getretenen Flüsse Memel, Ruß und Gilge und vieler kleinerer Flüsse.
In vorhistorischer Zeit floss die Memel in den Pregel, weil der Baltische Höhenrücken den direkten Zugang zur Ostsee versperrte. Dabei hatte sich in der Gegend um Unter-Eißeln ein großer Stausee gebildet, dessen Spuren sich noch in den Dünen der Unter-Eißeler Heide finden. Sie gelten als die größten Binnendünen Europas.
Die Landschaft entlang der Memel war ziemlich gegliedert, sodass man auch von der „Ostpreußischen Schweiz“ sprach. Der größte Nebenfluss auf der linken Seite der Memel im Kreisgebiet Tilsit-Ragnit war dieScheschuppe/Szeschuppe, die man später in Ostfluß umbenannte. Aus dem Kreis Pillkallen/Schlossberg kommend, wo der Fluss 50 km lang die Grenze zu Litauen bildete, traf er bei Wedereitischken/Sandkirchen auf das Kreisgebiet Tilsit-Ragnit. Die wichtigsten Orte in seinem Verlauf im Kreis Tilsit-Ragnit waren die Dörfer Galbrasten/Dreifurt, Giewerlauken/Hirschflur, Juckstein, Lobellen, Groß-Lenkeningken/Großlenkenau, Lenken und Rautengrund.