Erinnerung an Hannah Arendt
14.10.2016
Hannah Arendt (14. 10. 1906 – 4. 12. 1975) wurde in Hannover als Tochter assimilierter Juden geboren. Die Eltern standen den Sozialdemokraten nahe. Ihre Vorfahren waren seit Generationen in Königsberg und dem Baltikum ansässig. 1909 zogen die Arendts zurück nach Königsberg. Hier verlor Hannah sehr bald, 1913, ihren schwer kranken Vater Paul Arendt, von Beruf Elektroingenieur, der an den Folgen einer Syphilisinfektion, die er sich in jungen Jahren zugezogen hatte, starb. Er hinterließ seiner Tochter eine ansehnliche Bibliothek mit lateinischen und griechischen Klassikern.
Hannah verlebte einen großen Teil ihrer Jugend in dem gutsituierten, sozialdemokratisch geprägten Bürgerhaushalt der Großeltern in Königsberg und wurde liberal erzogen. Urgroßvater Jacob Cohn (1838 – 1906) kam 1852 aus Litauen nach Königsberg, wo sich sein Vater als Teehändler niedergelassen hatte. Er übernahm das väterliche Geschäft und machte es zum größten Teeimportunternehmen der Stadt. Mit dem umfangreichen Erbe konnte die Witwe mit sieben Kindern und zwölf Enkeln bis zur großen Inflation gut überleben. Großvater Max Arendt (gest. 1913) war in Königsberg Präsident der liberalen Gemeinde, Vorsitzender der jüdischen Gemeinde und Stadtverordneter.
Im selben Jahr, in dem der Großvater Arendt starb, wurde Hannah in die Szittnicksche Schule eingeschult und kam später auf die Königin-Luise-Schule. Durch ihre Umgebung angeregt, las sie bereits mit 14 Jahren Immanuel Kants „Kritik der reinen Vernunft“ sowie Werke von Sören Kierkegaard und Karl Jaspers. Wegen Aufmüpfigkeit, ein Zeichen von Intelligenz, wurde sie der Schule verwiesen und machte mit 17 Jahren ihr Fernabitur. Sie studierte Philosophie, Theologie und Philologie in Marburg bei Martin Heidegger und Rudolf Bultmann sowie in Freiburg bei Edmund Husserl und in Heidelberg bei Karl Jaspers, den sie ihr Leben lang verehrte. 1928 oder 1929 promovierte sie bei Jaspers mit dem Thema „Liebesbegriff bei Augustinus“.
Heidegger, der damals 36 Jahre alt und verheiratet war sowie zwei Kinder hatte, war ihre erste und große Liebe, die auf Gegenseitigkeit beruhte und wohl ein ganzes Leben anhielt.
Nach kurzer Inhaftierung durch die Gestapo floh sie im August 1933 über Karlsbad und Genf nach Paris. Verheiratet war sie mit dem Philosophen Günther Stern, doch die Ehe wurde 1937 nach der Flucht aus Deutschland in Paris geschieden. 1940 heiratete sie den Marxisten und Bohemien Heinrich Blücher. 1941 Flucht aus dem französischen Internierungslager Gurs und Emigration in die USA. Dort wurde sie nach dem Krieg amerikanische Staatsbürgerin.
Bereits 1943 hörte Hannah Arendt von Auschwitz. Was sie zunächst nicht glauben konnte, wurde bald zur Gewissheit. Sie sagte später dazu, das hätte nicht passieren dürfen und könnte nicht mehr erklärt werden. In Auschwitz sei eine Grenze überschritten worden, jenseits derer auch eine Wiedergutmachung nicht mehr möglich war. So sei sie, als sie später dem Eichmann-Prozess in Jerusalem beiwohnte, insbesondere darüber schockiert gewesen, dass dieser Organisator der Transporte von Juden in die Vernichtungslager kein abscheuliches Ungeheuer war, sondern eine absolut durchschnittliche, geschichtslose Person, ein Hanswurst ohne Gespür für das Leid, zu dem er maßgeblich beigetragen hatte.
Hannah Arendt polarisierte die Gesellschaft. Ihr Eichmannbuch, das 1963 erschien, entfesselte in den USA einen großen Skandal. Man warf ihr mangelndes Mitgefühl und “deutsche Arroganz” vor. Den Deutschen war Hannah Arendt zu jüdisch, den Juden zu deutsch, den Franzosen nach Kriegsbeginn ebenfalls. Den Historikern dagegen war sie nicht wissenschaftlich genug. Den Rechten stand sie zu weit links, den Linken in aller Welt zu weit rechts. In keinem Land, keinem Volk, keiner Partei, keiner Fachrichtung, keiner Denkrichtung war sie verwurzelt. Sie wollte es dann auch so. Sie nannte es “Denken ohne Geländer”, und sie hielt es tapfer aus, missverstanden und angefeindet zu werden.[1] An ihrem Lebensende gestand sie gegenüber Joachim Fest, der sie interviewte, dass sie in ihrer Art zu denken und zu urteilen ihr Leben lang von Königsberg geprägt worden sei. Überraschend erscheint, dass Hannah Arendt sich für das Rätesystem stark machte, wie sie im letzten Kapitel ihres Buches „Über die Revolution“ ausgeführt hat.
Viele Juden sahen die Rettung ires Volkes in einem eigenen Staat, in dem sie Heimatrecht besaßen. Hannah Arendt hielt Distanz zu dieser Vorstellung. Sie sah die Konflikte mit der palästinensischen Bevölkerung voraus und plädierte für einen Staat, in dem die Palästinenser und Juden gemeinsam gleichberechtigt leben sollten. Das lief den Vorstellungen der Zionisten von einem jüdischen Nationalstaat zuwider.[2]
Hannah Arendt war Professorin an Elite-Universitäten in den USA und Medienstar, Teilnehmerin an internationalen Konferenzen. Sie erlag 1975 einem Herzinfarkt. In Kaliningrad wird am 14. Oktober 2016 eine Gedenkfeier zu ihrem 110. Geburtstag abgehalten.
Wichtigstes Buch „Origins of Totalitarism“ („Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft“, 1951);
„The Human Condition“ (1958) – in deutsch „Vita activa oder Vom tätigen Leben“ (1960); „Eichmann in Jerusalem. A Report on the Banality of Evil“ (1963) – „Bericht von der Banalität des Bösen“ (1963); Biographie über Rahel Varnhagen (frühe 1930er Jahre); „Vom Leben des Geistes“ (Nachlaß).[3] Ehrungen: Lessing-Preis 1959;