Das Schicksal einer ostpreußischen Gutsfrau

Das Schicksal einer ostpreußischen Gutsfrau

01.12.2011

Rosemarie Constantin wurde 1915 als Spross einer Berliner Fabrikantenfamilie von Tonwaren, die u. a. auch Figuren für das Rote Rathaus anfertigte, geboren und wuchs auf einem Gut in Ostpreußen nahe Königsberg auf. Das Gut mit 250 Hektar hatte mehr als 30 Angestellte, betrieb Milchviehzucht mit 50 Herdbuchkühen und züchtete edles Halbblut Trakehner Abstammung. Jede Weide hatte fließend Wasser, der Hof beschäftigte zehn Gespanne, Kutscher, Landarbeiter, Kämmerer. Die junge Gutsfrau lernte auf der Mädchengewerbeschule in Königsberg Flicken, Stopfen, Nähen, Schneidern, Kochen und Hauswirtschaften. Auf dem Gut gab es keinen Strom, kein Telefon. Abends kam die Petroleumlampe auf den Tisch und der Vater las aus den Klassikern vor.

1935 wurde geheiratet, doch der Mann fiel bereits 1940 in den Ardennen kurz nach der Geburt des zweiten Kindes. Zum Kriegsende folgten Flucht und Vertreibung. Was Rosemarie Constantin von ihrem Gut blieb, ist ein Koffer mit den Papieren und einige wenige Fotos vom Herren-Zimmer im Danziger Barock, dem Biedermeier-Zimmer und dem Ess-Zimmer aus Eschenholz. Die Flucht führte 1945 über Danzig nach Hannover in ein Flüchtlingslager.

Der Neuanfang glückte in Bad Oeynhausen. 1956 konnte dort das Pensionshaus Rheineck gepachtet werden. Zehn Jahre später folgte ein zweites Haus für die Frauen-Krebsnachsorge der Knappschaft. In den Siebzigerjahren erfüllte sich Rosemarie Constantin einen späten Lebenstraum: eine gediegene Pension an der Hindenburgstraße. Heute präsentiert sich die 96jährige Gutsfrau im Seniorenzentrum Bethel mit ihrer unermüdlichen Schaffenskraft. Porzellanmalerei, Handarbeiten, Aquarelle.

(NW-news.de, 30. 11. 2011)