Juden in Königsberg

Im Mittelalter waren die Juden im gesamten Deutschordensland vom Besitz und vom Erwerb des Bürgerrechts ausgeschlossen, weil man sie besonders bei der Abschottung der Christen von den Nichtchristen  in den Focus genommen hatte. Hinzu kam eine latente Hysterie. 1321 verbreitete sich in Südfrankreich das Gerücht, die Juden würden die Christenheit vernichten wollen und bedienten sich dafür der Aussätzigen, die Brunnen, Quellen und Flüsse vergifteten. Daraufhin fielen zehntausende von Juden weit verbreiteten Progromen zum Opfer. Im Ordensland machte man die Juden für die große Pestepidemie im 14. Jh. verantwortlich und verbreitete die Behauptung, sie hätten zahlreiche Brunnen vergiftet und dadurch unzählige Menschen umgebracht.  Dieser Vorwurf traf z.B. den Juden Rumboldus, der allein in Elbing 9.000 Personen auf diese Weise massakriert haben soll.[1]

 Schon bevor Herzog Albrecht einem weltlichen Fürstentum vorstand, konnten sich erste Juden in Königsberg ansiedeln. So ist belegt, dass 1508 zwei jüdische Ärzte in Königsberg zugelassen waren – Michel Abraham und Isaak May.[2] Ansätze für die Bildung einer jüdischen Gemeinde gab es bereits zur Zeit des Großen Kurfürsten, nachdem dieser die Macht der Stände gebrochen hatte und seine eigene Wirtschaftspolitik verfolgte. Für den grenzüberschreitenden Handel und den damit verbundenen Finanzierungsbedürfnissen bot es sich an, sich der Erfahrung der Juden auf diesem Gebiet zu bedienen. Das erkannte der Große Kurfürst und ernannte solche jüdischen Händler zu Schutzjuden. Diese sollten Mangelwaren importieren können und auf den Jahrmärkten, bei knappen Gütern auch außerhalb, für Absatz sorgen. Gegen meist beträchtliche Zahlungen erhielten die Schutzjuden einen kurfürstlichen Schutzbrief, der ihnen den Schutz des Landesherrn gewährte. Der Kurfürst erlaubte 1680 die Einrichtung einer Betstube und einer jüdischen Schule und gestattete den Juden, über die befristete Teilnahme an Jahrmärkten hinaus sich in Ostpreußen anzusiedeln. 

Eine richtige jüdische Gemeinde entstand erst ab etwa 1700 und Friedrich I. gestattete den Königsberger Juden 1703[3], einen eigenen Friedhof anzulegen und die Beerdigungsbruderschaft „Chewra Kaddischa“ zu gründen. Doch der König ließ die jüdische Gemeinde auch streng beobachten. So war es von 1703 bis 1778 vorgeschrieben, dass dem Gottesdienst in der Synagoge ein Professor für orientalische Sprachen als Aufseher beizuwohnen hatte. Der letzte dieser Synagogeninspektoren war Professor für Philosophie und Theologie Johann David Kypke, in dessen Haus Kant vorübergehend Vorlesungen hielt.[4]

Die jüdische Gemeinde wuchs von anfänglich 50 auf 300 Mitglieder um 1756, als auf Anordnung der Regierung die erste Synagoge in der Vorstadt, auf dem Schnürlingsdamm[5], gebaut werden durfte, die 1811 einem Stadtbrand zum Opfer fiel. Die Anzahl der Gemeindemiglieder erhöhte sich 1789 auf 814 Personen und auf 900 Mitglieder um 1800. Das Emanzipationsedikt vom 1 1. März 1812 machte die Juden mit kleinen Einschränkungen zu gleichwertigen Staatsbürgern und gewährte ihnen Gewerbefreiheit, Niederlassungsrecht, Freizügigkeit,[6] Waffenfähigkeit und erlegte ihnen die Wehrpflicht auf, so dass sie an den Befreiungskriegen teilnehmen konnten. Das alles mehrte den jüdisch-preußischen Patriotismus und führte zu einem weiteren Aufschwung im jüdischen Leben. Die endgültige staatsrechtliche Gleichstellung erhielten die Juden am 3. 7. 1869 im Bereich des Norddeutschen Bundes und wurden in die Verfassung des Deutschen Reiches vom 16. 4. 1871 übernommen.

Im Deutschen Reich gab es 1914 etwa 550.000 Juden. Davon lebten 1910 in der Provinz Ostpreußen 13.027 Juden.[7] 1871 gab es in Königsberg 4.000 jüdische Mitbürger = 3,5 % der Einwohner Königsbergs, um 1880 wurde mit 5.000 jüdischen Einwohnern der höchste Stand erreicht. Die jüdische Gemeinde in Königsberg folgte damit in ihrer Bedeutung der der Berliner Gemeinde. Die Juden waren Kaufleute, Philosophen, Fabrikanten, Bankiers, Kaufhausbesitzer, Großhändler, Ärzte, Politiker und neuerdings Beamte, nur vereinzelt Handwerker. Neben Königsberg gab es größere jüdische Gemeinden in Allenstein, Insterburg und Memel. 1880 schlossen sich alle damaligen 43 jüdischen Gemeinden der Provinz in Insterburg zum Verband der Synagogengemeinden in Ostpreußen zusammen. Insgesamt gab es 62 jüdische Gemeinden in Ostpreußen. (Qu.: Ostpr- Kulturzentrum Ellingen 2021)

Für Königsberg sehr bedeutend war die Familie Friedländer, die ihren Ausgang nahm bei dem seit 1718 hier wohnenden Schutzjuden und Kaufmann Moses Levin, dessen Sohn Joachim Moses (1712 – 1776), der 1764 mit Generalprivileg eine Großhandelsfirma für den Export von in Preußen gewebten Tuchen sowie Artikeln der königlichen Gold- und Silbermanufaktur nach Polen und Russland gründete, den Namen Friedländer annahm. Mitglieder der Familie verteilten sich auf andere preußische Städte, auch auf Berlin, wo David Friedländer (1750 – 1834) eine Seidenmanufaktur eröffnete. Samuel Wolff Friedländer war der erste Jude, der 1809 in den Stadtrat gewählt wurde. Sein Schwager David Friedländer wurde einer der prominentesten Vorkämpfer für die rechtliche Gleichstellung der Juden in Preußen und wirkte entscheidend mit am Emanzipationsedikt von 1812. Im liberalen Königsberg waren allerdings die Juden bereits seit 1810 als Vollbürger anerkannt. Ludwig Friedländer (18. 7. 1824 – 16. 12. 1909), ab 1858 ordentlicher Professor an der Universität Königsberg und erster Lehrstuhlinhaber, der die klassische Philologie mit der Archäologie verknüpfte, arbeitete über die Sittengeschichte Roms in der Zeit von Augustus bis zum Ausgang der Antonine und schuf damit ein 1862 erstmals erschienenes, bis heute gültiges Standardwerk über das private Leben im alten Rom.[8] Er habilitierte sich 1847 in Königsberg mit einer Schrift über griechische Grabreliefs und reiste mehrfach nach Italien.[9] Bedeutendster Vertreter der Familie wurde Eduard von Simson (1810 – 1899), Präsident der Deutschen Nationalversammlung in Frankfurt/Main, Präsident des Norddeutschen Reichstags, des Deutschen Reichstags und letztlich Präsident des Reichsgerichts in Leipzig. Sein Schwiegervater war der erfolgreiche Königsberger Bankier Marcus Warschauer.

Der Kaufmann  Marcus Warschauer (1777 – 1835) aus Breslau heiratete in die Bankiersfamilie Oppenheim in Königsberg ein.  Sein Sohn Robert Warschauer I (1816 – 1884) ehelichte die Tochter Marie des Berliner Bankiers Joseph Mendelssohn (1770 – 1848), begründete 1849 in Berlin eine Filiale des Königsberger Institutes und trennte sich 1868 durch Gründung der Bank Warschauer & Co vom Mutterhaus, dessen Gewinne er turmhoch überflügelt hatte. Robert Warschauer baute nach Plänen von Martin Gropius eine herrschaftliche Villa am heutigen Ernst-Reuter-Platz und war um die Wende zum 20. Jh. der größte Steuerzahler der Stadt Charlottenburg. Für die Villa wurden 1872 drei Wandbilder des Historienmalers Rudolf Henneberger (1825 – 1876) angeschafft, die patriotische Szenarien unter Verwendung familiärer Physiognomien darstellten. Diese Wandbilder wurden kürzlich in einem späteren Wohnhaus der Warschauers im Grunewald aufgefunden und sind – restauriert – zur Ausstellung vorgesehen.[10]

Um 1800 ließ sich Joseph Simon in Königsberg nieder. Seine Söhne Samuel und Moritz gründeten 1839 das Bankhaus Simon und wurden die bedeutendsten Vertreter der Königsberger Finanzwelt. Moritz Simon war nicht nur auf dem Zeitungssektor engagiert, sondern führte auch als Obervorsitzender die Königsberger Kaufmannschaft an. Sein auf dem Finanzsektor erfolgreicher Neffe Robert Simon war Vorsitzender des nationalliberalen Vereins in Königsberg. Der Sohn von Moritz Simon, Walter Simon, entwickelte sich zum größten Förderer der Kommune Königsberg. Er schenkte der Stadt ein Sportgelände schräg gegenüber dem Tierpark, das den Namen „Walter-Simon-Platz“ erhielt (1933 umbenannt in Erich-Koch-Platz). Auf diesem Gelände entstand 1892 das älteste Sportstadion auf dem europäischen Festland (nur England hatte ältere Stadien), und dieses wurde nach 1945 als Stadion „Baltika“ Spielort für den Kaliningrader Fußballverein, der aber demnächst in das neue Stadion auf der Lomse wechselt und damit das Baltika überflüssig werden lässt. Simon. stiftete auch eine Badeanstalt am Oberteich für die Schüler der Stadt mit kostenlosem Schwimmunterricht, unterhielt eine Volksküche und eine Volksbibliothek, ließ ein Bootshaus für den Schülerruderverein errichten, spendete Geld für den Bau der Luisenkirche und für das Farenheidsche Armenhaus. Dazu finanzierte er wissenschaftliche Werke und schenkte dem Magistrat ein wertvolles Tafelsilber für dessen Empfänge und Banketts.[11]

Einer der herausragenden Politiker des 19. Jhs. war Johann Jacoby (1805 – 1877), Mitglied der Preußischen Nationalversammlung und des Preußischen Abgeordnetenhauses, Vertreter der Fortschrittspartei und Sozialdemokrat und Verfechter demokratischer Rechte. So forderte er in einer heftig angefeindeten Schrift die „gesetzliche Teilnahme der selbständigen Bürger an den Angelegenheiten des Staates“ – ein unerhörtes Ansinnen in jener Zeit.

In der nachfolgenden Zeit bis zum 1 Weltkrieg lebten 13.000 von 550.000 deutschen Juden in Ostpreußen, davon ein Drittel in Königsberg. 100.000 deutsche Juden nahmen am 1. Weltkrieg teil. Davon fielen 12.000 in Kampfhandlungen, 30.000 wurden ob ihrer Tapferkeit ausgezeichnet, 2.000 zu Offizieren befördert. Die Juden gehörten sehr oft zur deutschen Intelligenzschicht: von 20 deutschen Nobelpreisträgern bis 1933 waren 12 Juden.

Stadtverordnetenversammlung und Magistrat in Königsberg hatten bis zum Machtantritt der Nazis verhindert, dass die jüdische Minderheit den antisemitischen Angriffen schutzlos ausgeliefert wurde.

Es gab bis dahin mehrere Synagogen: die älteste Synagoge von 1753 am Schnürlingsdamm wurde 1811  beim großen Stadtbrand zerstört und durch einen Neubau in der Synagogenstrasse 2 ersetzt. Ihre Mitglieder blieben dem osteuropäisch-jüdischen Ritus im Gottesdienst verpflichtet. Dieser Neubau bot Platz für 238 Männer und 186 Frauen. Ein Stückchen weiter, in der Synagogenstrasse 14/15 bezog 1893 die strenggläubige Gemeinschaft „Adass Jisroel“ ihr jüdisches Gotteshaus: die Alte Synagoge. Vorher nutzt man einen beengten Betraum in der Borchertstrasse 11. Die Gemeinde feierte ihre Gottesdienste nach eigenen Riten – sie war eine chassidische Synagoge. Zu „Adass Jisroel“ zählten sich ca. 40 meist wohlhabende Familien, die vor allem aus Süddeutschland und Rußland stammten. Nach der Eröffnung der Neuen Synagoge (1897) verblieb ein Teil der frömmeren Mitglieder in der „Alte Synagoge“. Aus der Synagoge wurde die bestehende Orgel ausgebaut.

1896 war die Große Synagoge in der Lindenstrasse fertig, jetzt die „Neue Synagoge“, geplant von dem Berliner Architektenbüro Cremer und Wolffenstein. Architektonisches Vorbild für die Synagoge war der alte Dom zu Aachen, errichtet 795 – 803[12]. Darüber hinaus existierten ein Waisenhaus daneben (1904/05 gebaut nach einem Entwurf von Regierungsbaumeister Behrend aus Berlin), ein Altenheim und drei jüdische Friedhöfe.

Der Königsberger Junge Max Fürst erzählt im „Gefilte Fisch“ aus seiner Stadt um 1912: „Das jüdische Altenstift war in der Synagogenstraße gegenüber der alten, orthodoxen Synagoge. Dort und in den Seitenstraßen der Kaiserstraße war das alte jüdische Getto. Hier hatten auch die Eltern meines Vaters gewohnt. Hier begegnete man den Juden aus den polnischen und russischen Gettos mit Kaftan und Peies; sie waren für uns umso abstruser, als sie wie wir Juden waren. Wir verstanden kein Jiddisch, und der Gedanke war peinlich, dass unsere Ahnen auch so ausgesehen haben sollen. Mein Vater titulierte sie mit „nicht sehr angenehme Zeitgenossen“. Ich glaube, auch andere Menschen wären nicht sehr erfreut, wenn ihnen ihre Ahnen nicht in romantischer Verklärung, sondern ganz real unter die Augen treten würden. Es war für meine Eltern eine überlebte Lebensform, die sie zugunsten der „höherstehenden“ deutschen Kultur aufgegeben hatte. „Deutsche Ordnung, deutsche Sitte trat in Judas niedrige Hütte“, stand in einem Gebetsbuch.

Ein paar Jahre später waren die Kinder der Ostjuden in Königsberg unsere besten Freunde; wir sangen zusammen jiddische Lieder, und nun erschienen uns die orthodoxen und chassidischen Juden in romantischer Verklärung.

Etwa 10 verschiedene, regelmäßig erscheinende Zeitungen und Zeitschriften im Ostpreußen des 19. und 20. Jhs. wurden in Hebräischer Schrift gedruckt.[13] Das alles änderte sich schlagartig, als die Nazis in den Wahlen zum Stadtparlament im Februar 1933 die absolute Mehrheit erreichten.

Sehr bald kam es zu etlichen Morden, Misshandlungen und Brandanschlägen. Erstes Mordopfer war der Geschäftsführer des Passage-Kinos, Max Neumann, der am 13. März 1933 verhaftet und so zugerichtet wurde, dass er daran starb. Der Vorsitzende der SPD in Königsberg, Alfred Gottschalk, wurde in Fort Quednau interniert, danach diskriminiert, drangsaliert, aus seiner Wohnung vertrieben starb mit 80 Jahren im Krankenhaus. Seine Nichte Lotte Gottschalk nahm sich das Leben, als sie die Aufforderung zur Deportation erhielt. Die Tochter des Juweliers Ludwig Aron, Lotte Heller, wurde auf dem Weg zum Abtransport im Bahnhof erschossen, weil sie verbotenerweise ihren Ehering mitgenommen hatte. Stadtschulrat Paul Stettiner (26. 8. 1862 – 21. 9. 1941), Ehrenbürger von Königsberg, nahm sich das Leben, weil er keinen Judenstern tragen wollte. In der Reichspogromnacht 1938 wurde die Neue Synagoge zerstört, das jüdische Waisenhaus daneben überfallen, die Waisen nachts in Schlafanzügen auf die Straße gejagt, 235der Leiter der Schule, David F. Kaelter, der 1939 noch aus Königsberg entkommen konnte, und der Kantor Wollheim arg verprügelt. Nur das Haus von Adass Jsroel wurde mit Rücksicht auf die angrenzenden Häuser nicht in Brand gesetzt. Die Bewohner des jüdischen Altersheims wurden aus ihrem Haus vertrieben, die jüdischen Friedhöfe geschändet, die alte Synagoge in der Synagogengasse  und zwei Bethäuser zerstört. Viele Kaufläden wurden verwüstet, ihren Besitzern die Fortführung der Geschäfte verboten – so den Firmen Edit (Porzellan, Glas), Etam (Strümpfe), Frühling (Herrenbekleidung), Lichtenstein (Schirme), Hermann und Froitzheim (Herrenmoden), Merzbach (Bürobedarf), Oberski (Korsette).[14] Michael Wieck[15], ein Zeitzeuge und Betroffener der Judenverfolgung, berichtet in einem Buch darüber (siehe Literaturverzeichnis)[16]

Der jüdische Bevölkerungsanteil in Königsberg sank von 3.200 in 1933 auf 2.100 im Oktober 1938. Nach dem 9. 11. 1938 verließen weitere 500 Juden Königsberg. Die 1.585 noch verbliebenen Juden in Königsberg des Jahres 1939 wurden gezwungen, in „Judenhäuser“ umzuziehen. Weiteren Juden gelang es, bis zum 23. Oktober 1941 zu emigrieren. In ganz Ostpreußen gab es am 17. Mai 1939 noch 3.169 Juden, davon 2.911 Glaubensjuden und 258 getaufte Juden. 1941 lebten im Regierungsbezirk Königsberg noch 1.100 Juden.

Nach der Wannsee-Konferenz am 20. 1. 1942 begann die Vernichtung der jüdischen Bevölkerung im Herrschaftsbereich der Nazis. Die Königsberger Juden wurden deportiert und ermordet. Der Haupttransport der letzten Juden ging am 24. Juni 1942 vom Güterbahnhof des Königsberger Nordbahnhofs nach Minsk ab. Dort wurden sie ausgeladen und in den Gruben bei Maly Trostinez, 15 km südöstlich von Minsk, ermordet – zusammen mit dem letzten Rabbiner in Ostpreußen, Dr. Naftali Apt aus Allenstein und der Berliner Wirtschaftsprofessorin Cora Berliner, der heutigen Namensgeberin der Postadresse für das Holocaustdenkmal in Berlin. Andere Deportierte kamen – soweit bekannt – nach Theresienstadt und Auschwitz und erlitten dort dasselbe Schicksal. Der letzte größere Transport mit Juden aus Ostpreußen nach Theresienstadt erfolgte am 15. März 1943. Der letzte Emigrant aus Königsberg war der seit 1928 Vorsitzende der dortigen Jüdischen Gemeinde, Prof. Dr. Hugo Falkenheim (1856 – 1945), bis 1933 leitender Kinderarzt an Königsberger Kliniken, der im Oktober1941 über Spanien und Kuba in die USA entkam, wo er bei seinem bereits vorher emigrierten Sohn in Rochester bei New York unterkam.

Noch eine weitere Untat der Nazis an Juden nahm von Königsberg ihren Ausgang. Zum Ende der Nazi-Herrschaft wurden am 20. und 21. Januar 1945 angesichts der erfolgreichen sowjetischen Offensive die Insassen der ostpreußischen KZ-Außenläger in Seerappen, Jesau, Heiligenbeil, Schippenbeil und Gerdauen in Königsberg versammelt. Es waren vornehmlich Juden aus Ungarn und Polen. Etwa 6.000 bis 7.000 von ihnen wurden am 26. Januar ohne Verpflegung und nur leicht bekleidet nach Westen durch das Samland fortgetrieben, damit sie in der Annagrube in Palmnicken weggeschlossen würden.  Über die Hälfte wurde schon auf dem Gewaltmarsch zur Küste erschossen oder starb vor Entkräftung. Die Palmnicker Bergwerksverantwortlichen widersetzten sich jedoch dem Mordplan der SS. Güterdirektor Feyerabend wurde daraufhin nach Kumehnen abkommandiert und beging dort Selbstmord. Damit war der Widerstand der Palmnicker gebrochen und die noch Überlebenden wurden auf das vereiste Meer gejagt und mit Maschinengewehrsalven niedergemäht. Nur ganz wenige, vielleicht 15 von 7.000, überlebten das Massaker. Diese Mordaktion wurde besonders betrieben von dem Bürgermeister und Ortsgruppenleiter der NSDAP in Palmnicken, Kurt Friedrichs, und der Verantwortliche für den Todesmarsch, SS-Führer Fritz Weber, beging 1965 in der Untersuchungshaft Selbstmord. Berichtet hat über das größte Massaker in Ostpreußen der Hitlerjunge Martin Bergau in seinem Buch „Der Junge von der Bernsteinküste“.

Mehr als ein halbes Jahrhundert nach der Ermordung der Juden ist in Kaliningrad das erste Holocaust-Mahnmal eingeweiht worden. Das rund ein Meter hohe Denkmal wurde von einer örtlichen jüdischen Gruppe und Vertretern der Gemeinde enthüllt, denn heute gibt es wieder rd. 2.000 Mitglieder der jüdischen Gemeinde, die vorwiegend aus Russland und anderen früheren Sowjet-Republiken zugewandert sind. Am 24. Juni 2010 soll auf Initiative der Stadtgemeinschaft Königsberg, der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas und der jüdischen Gemeinde in Kaliningrad am früheren Nordbahnhof eine Tafel enthüllt werden, die an die 465 jüdischen Kinder, Frauen und Männer aus Königsberg und der Provinz erinnert, die 1942 von dort nach Minsk in den Tod verschleppt wurden.

Die wenigen überlebenden Juden, die sich noch im Kaliningrader Gebiet befanden,  wurden 1947/48 in die Sowjetische Besatzungszone ausgesiedelt.  Mit der Neubesiedlung von Kaliningrad kamen aber etliche Juden aus der Sowjetunion in die Stadt, weil hier Führungspositionen zu besetzen waren und der Oblast nicht so sehr im politischen Focus der Partei lag, man also leichter Unterschlupf finden konnte. Mit der Perestroijka erhielten die Juden dann die Möglichkeit, wieder eine jüdische Gemeinde zu organisieren. Den alten Friedhof der israelitischen Gemeinde an der Labiauer Strasse hinter dem Königstor haben die heute in Kaliningrad lebenden russischen Juden wieder hergerichtet, einige Grabsteine sichtbar gemacht und ein Erinnerungsdenkmal aufgestellt[17].

Die Neue Synagoge wurde 1896 in der ul. Oktjabrskaja – Lindenstrasse gegenüber dem Dom und dem Kneiphof nach Plänen des Berliner Architekturbüros Cremer & Wolffenstein gebaut. Vorbild waren die jüdischen Dome in Aachen und Worms und vor allem die Synagoge in Dresden, ein Werk von Gottfried Semper. Ihr Stil steht im Gegensatz zum maurisch-orientalischen Stil, wie er in der Neuen Synagoge in der Oranienburger Strasse in Berlin durch den Architekten Eduard Knoblauch einen Höhepunkt erlebte. Neben Trauer- und Gebetssälen beherbergte die neue Synagoge einen Konfirmationssaal, eine große religiöse und philosophische Bibliothek und als einzige Synagoge weltweit eine Orgel. Auf dieser spielte u. a. der bekannte Komponist Eduard Birnbaum


In der Progromnacht 1938 wurden die Synagogen in der Synagogenstrasse 2 und die Synagoge in der Lindenstrasse zerstört, die Synagoge von Adass Jisroel wegen zu großer Nähe zur Wohnbebauung nur verwüstet. Die Ruinen der Neuen Synagoge neben dem erhaltenen Waisenhaus wurden nach dem 2. Weltkrieg abgerissen. Für den Neubau der Synagoge legte man 2011 symbolisch den Grundstein und baute sie wieder auf. Sie ist allerdings mit 37 Metern Höhe um 10 Meter niedriger als der ursprüngliche Bau und auch etwas reduziert in der Breite. Der Gebetssaal für Männer ist für 200 Personen konzipiert. Für Frauen und Kinder gibt es einen Balkon. Neben dem religiösen Zweck wird das Haus als Bildungszentrum fungieren und Gemeindezentrum sein.[18] Am 8. November 2018 wurde der Neubau der Neuen Synagoge feierlich  im Beisein des Staatsministers für Europa im Auswärtigen Amt, Michael Roth als Vertreter der Bundesregierung, eingeweiht.

Wesentlicher Förderer für den Neubau der Neuen Synagoge ist Wladimir Katzmann, der auch erhebliche Beiträge zur Finanzierung geleistet hat. Katzmann stammt aus Grosny, der Hauptstadt Tschetscheniens. Der Großvater lehrte dort Marxismus-Leninismus, ein Onkel leitete das Nationale Tschetschenische Schauspielhaus. Er selbst war leitender Angestellter im Bergbau. Bis zur Wende wurden die Juden in Tschetschenien toleriert, seit 1990 weniger, und Katzmann wanderte aus nach Kaliningrad. Dort machte er sich selbständig und wurde als erfolgreicher Kaufmann wohlhabend. Neben  dem Neubau der Neuen Synagoge in Kaliningrad finanzierte er das Denkmal des Holocaust in Palmnicken.[19]

Der jüdische Friedhof befindet sich in der Litauer Wallstraße und ist verwahrlost. Man bemüht sich darum, Finanzmittel für eine Einzäunung aufzutreiben.

Das Thoraschild der Synagoge von 1789, mit dem die Rolle mit den fünf Büchern Moses mit einer zusätzlichen Kette zusammengehalten wird, hat überlebt, was an ein Wunder grenzt. Es gehört heute der Ostpreußischen Landgesellschaft, die das Schild dem Ostpreußischen Landesmuseum in Lüneburg für Ausstellungen zur Verfügung stellt. 

Als eines der wenigen erhaltenen jüdischen Bauwerke hat das Jüdische Waisenhaus an der Honigbrücke in der Lindenstraße überlebt. Es erlitt im Krieg erhebliche Schäden, wurde danach aber in veränderter Form wiederaufgebaut. Die Einrichtung für Waisen wurde 1861 gegründet, der schlichte Neubau entstand 1904/05 nach Plänen des Regierungsbaumeisters Behrend aus Berlin-Steglitz. Das Waisenhaus wurde der jüdischen Gemeinde von den Behörden nicht wieder zur Verfügung gestellt. Es ist heute rot getüncht und dient als Bürohaus. Immerhin wurde am 28. September 2006 am Haus eine Gedenktafel angebracht, die an die Opfer des Holocaust erinnert. Bei der Einweihung war auch Guido Herz, deutscher Generalkonsul in Kaliningrad, anwesend. Im Jahr 2007 erhielt das Gebäude den Schutzstatus eines Objekts des Erbes von regionaler Bedeutung. 2020 führten Überlegungen, das historische Erscheinungsbild des jüdischen Waisenhauses wiederherzustellen, zu dem Beschluß, das Heim wieder in Ordnung zu bringen und 2021 begannen Renovierungsarbeiten. Das Dach änderte man in der Form, wodurch es einen großen Dachboden erhielt und mit Keramikziegeln gedeckt wurde, die Fassade wurde gereinigt und ebenso wie der Eingang repariert, das Mauerwerk verstärkt und nachgearbeitet. Vom Dachboden aus hat man einen schönen Blicke auf den Dom und das Fischdorf.[20]

Es gibt wieder viele Menschen, z. B. Nachfahren der ehemals in Ostpreußen  lebenden Juden, die an Informationen über die damaligen Juden in dieser Provinz und in Königsberg interessiert sind. Um diesen eine Plattform zu bieten, wurde 2004 der „Verein „Juden in Ostpreußen. Verein zur Geschichte und Kultur“ gegründet (siehe: http://www.leiserowitz.de/Juden/judenino.htm

(http://www.judeninostpreussen.de/judenino.htm)

Am 24. Juni 2011 wurde am früheren Nordbahnhof feierlich eine Tafel zum Gedenken an 465 jüdische Kinder, Frauen und Männer enthüllt, die vor 69 Jahren an genau diesem Tag mit dem Personenzug in die Vernichtungsstätte Malyj Trostenez bei Minsk verschleppt und dort ermordet wurden. An der Zeremonie nahmen die letzten beiden Königsberger Juden teil, die sowohl den Nationalsozialismus als auch die anschließende Sowjetzeit am Ort überlebt haben: Nechama Drober (geboren 1927 als Hella Markowsky) und Michael Wieck (geboren 1928).


[1] Aloys Sommerfeld, Juden im Ermland – Ihr Schicksal nach 1933,  Zeitschrift für die Geschichte und Altertumskunde des Ermlands, Beiheft 10 1991, S. 22/23

[2] Ewgenij Dworetski in Unser schönes Samland, Frühling 2010, S. 68; Jörn Pekrul, Königsberger Bürgerbrief, Winter 2020, S. 89

[3] Manthey, Königsberg, S. 630

[4] Lorenz Grimoni, Immanuel Kant und die europäische Metropole Königsberg, Königsberger Bürgerbrief, Sommer 2010, S. 64 ff

[5] Lorenz Grimoni, Vordere und Hintere Vorstadt, Haberberg in Königsberger Bürgerbrief, Winter 2010, S. 29

[6] Wulf D. Wagner, Gerdauen I, S. 115

[7] Aloys Sommerfeld, Juden im Ermland – Ihr Schicksal nach 1933,  Zeitschrift für die Geschichte und Altertumskunde des Ermlands, Beiheft 10 1991, S. 35

[8] M. R., Sittenhistoriker Roms, PAZ Nr. 50/09 (12. Dez.), S. 10

[9] Uwe Walter, Der Vater aller römischen Kulturgeschichten – Ludwig Friedländer zum 100. Todestag, FAZ, 22. 12. 2009

[10] Tagesspiegel, Thomas Lackmann, Der Rausch einer untergegangenen Zeit, 4. 4. 2013

[11] Manthey, Königsberg, S. 638 f

[12] Jörn Pekrul, Die ehemalige Reichsstraße 1, Königsberger Bürgerbrief, Sommer 2020, S. 13Jörn Pekrul, Die ehemalige Reichsstraße 1, Königsberger Bürgerbrief, Sommer 2020, S. 13

[13] Ewgenij Dworetski in Unser schönes Samland, Frühling 2010, S. 68

[14] E. Neumsnn-Redlin von Meding, Die jüdische Gemeinde Königsberg im Zeitzeugengespräch, Königsberger Bürgerbrief, Winter 2016, S. 28 ff, [15] zur Schreibweise des Namens siehe Hinweis von Manfred Weigel, manfredweigel@derpatriot.com, 16. 7. 2011

[16] Manthey, Königsberg, S. 639 ff

[17] Lorenz Grimoni, Parks und Grünanlagen in Königsberg, Königsberger Bürgerbrief, Winter 2010, S. 36

[18] Jurij Tschernyschew, Synagogen-Neubau schreitet voran, Oprbl.Nr.48/2017 (1. Dezember), S. 13

[19]  Kaliningrad Domizil, 26.12. 2018

[20] Jurij Tschernyschew, Das jüdische Waisenhaus wird saniert Oprbl. Nr. 8/2023 (24. Februar), S. 13