Die Mitglieder der am 19. 11. 1844, dem 300. Jahrestag der Gründung der Königsberger Universität, auf Initiative von Ernst August Hagen (1797 – 1880), Professor für Kunstgeschichte und Ästhetik, gegründeten “PRUSSIA, Gesellschaft für Heimatkunde Ost- und Westpreußens e.V. ” wollten die archäologischen Quellen ihrer Vorfahren – etwa ab der späten Steinzeit, also ca. 3000 v. Chr. – dokumentieren und damit zugleich ein Stück europäische Kulturgeschichte sichern. Der Lehrstuhl Hagens war erst 1830 eingerichtet worden und war der erste dieser Art in ganz Preußen. Es gab in Ostpreußen eine ungemein reiche archäologische Hinterlassenschaft, gleichzeitig aber auch diese starke und progressive archäologische Schule. Das führte dazu, dass aus einem Hobby engagierter Laien sehr bald eine der berühmtesten Sammlungen in Europa wurde: Sie umfasste 1945 rund 450.000 Gegenstände, darunter Keramiken, Waffen, Münzen, Gebrauchsgegenstände und Schmuck, schillernde Perlen aus Glaspaste, zahlreiche Urkunden, Drucke, Kartenwerke, Modelle von Bauten, Porträts, Flaggen, Bauernmöbel, Trachten und volkskundlich bedeutsame Geräte.
1881 bezog die Prussia Räume im Nordflügel des Königsberger Schlosses und, nach einem interimistischen Aufenthalt ab 1904 im alten Bibliotheksgebäude in der Königsstraße 65 – 67, seit 1923 bis zum Kriegsende wieder im Königsberger Schloß. Die Sammlung war jetzt untergebracht auf mehreren Etagen im Südflügel des Königsberger Schlosses um den Schlossturm herum sowie seit 1924 im Moskowitersaal. Dort stand als populäres Exponat der Schlitten, mit dem der Große Kurfürst 1679 über das Eis des Haffs gefahren war, um den Schweden die Stirn zu bieten. Als bedeutende Ausstellungsstücke galten auch die granitene Figur einer prußischen Gottheit, die Pfeilspitze, die man post mortem im Schädel des Marschalls Erasmus von Reitzenstein gefunden hatte und die 1939 ausgegrabene Moorleiche des Mädchens von Dröbnitz.[1] Die Moorleiche von Drwęck – Dröbnitz westlich von Hohenstein aus der Hallstattzeit in etwa 500 v. Chr., eingewickelt in ein Schaffell, wurde bei Grabungsarbeiten von Mitarbeitern des Reichsarbeitsdienstes geborgen, ist seit Kriegsende aber verschollen.[11] Im Erdgeschoss befanden sich Ausstellungsräume und Werkstätten, im 1. Stockwerk verschiedene Diensträume, darunter das Büro des Direktors im runden Turm östlich des Schlossturms, die Bibliothek, ein Raum für sämtliche Publikationen der Prussia, Büros der angestellten Wissenschaftler, weitere Arbeitsräume von Restauratoren für Möbel, Gemälde etc. und Präparatoren sowie die Herstellung von Unterrichtsmaterial für Schulen. Im zweiten Stock wurden Möbel verschiedener Epochen, Bauernmöbel und Trachten ausgestellt und von hier aus gelangte man in den großen Moskowitersaal. Weiterhin gehörte zum Prussiamuseum ein riesiger Urnen-Boden im Nordflügel, in langen Regalreihen nach Fundorten und Fundzeiten geordnet.[2] Zeitlich reichten die Funde von der Steinzeit bis in die Frühe Neuzeit.
Wichtig war die Sammlung insbesondere für die Dokumentation der prußischen Kultur, über die mangels Schrift keine Literatur existierte. Ihre Spuren fanden sich aber reichlich in den prußischen Gräbern: Waffen und Ausrüstungsgegenstände sowie sogar ganz aufgezäumten Pferde, die die Hinterbliebenen ihren Toten mitgaben. Zum Prussia-Museum gehörten Wikinger-Funde wie Schwerter, Geräte, Trachtzubehör, Zaumzeug, Schmucksachen. Es gab umfangreiche Ausgrabungen, die zu einem massiven Anwachsen der Sammlungen führte. Hinzu kamen die prähistorische Sammlung der Physikalisch-Ökonomischen Gesellschaft und die Altertümer aus dem Königlichen Staatsarchiv. Deshalb musste die Prussia verschiedentlich in größere Räumlichkeiten umziehen. In der Inflationszeit nach dem 1.Weltkrieg litt auch die Prussia unter wirtschaftlichen Schwierigkeiten und übertrug deshalb 1925 ihre Bestände den heimatkundlichen, völkerkundlichen und vorgeschichtlichen Abteilungen der Provinz Ostpreußen.
Mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurde 1934 das Prussiamuseum in den neu gegründeten Reichsbund für Deutsche Vorgeschichte eingegliedert. Die vorgeschichtliche Abteilung zog 1936 in die Räumlichkeiten der Drei-Kronen-Loge ein und wurde 1938 als Landesamt für Vorgeschichte verselbständigt. Die Schausammlung des Prussiamuseums verblieb im Schloss.[3]
Im Laufe des Jahres 1944 begann man, vornehmlich unter Leitung des Direktors des Landesamtes für Vorgeschichte, Wolfgang La Baume, mit der Auslagerung des Museumsbestandes. Teilbestände liegen heute in Berlin, Allenstein und Königsberg. Über den Verbleib von 300 bis 400 Kisten , die nach 1945 nach Moskau gelangten, herrscht heute noch Unklarheit.[4] Ein großer Teil der Sammlung und des Fundarchivs verlagerte man nach Carlshof, Kreis Rastenburg. Während die keramischen Fundstücke dort verblieben, gingen 2 Waggonladungen nach Vorpommern und davon 1 Waggon mit dem gesamten Fundarchiv, den Ausgrabungsplänen, der Negativsammlung etc., insgesamt 125 Kisten, in das Gutshaus Broock bei Demmin. Dort erfuhr der Kaufmann in einem Stettiner Familienunternehmen und spätere Leiter des Heimatmuseums Demmin, Lothar Diemer (1911 – 2001), 1946 von den Prussia-Objekten, weil Kinder mit Äxten und Speerspitzen auf der Straße spielten. Die müllhaufenartig gelagerten und dem allgemeinem Zugriff zugänglichen Museumstücke wurden in Holzkisten geschüttet, von Diemer in Räumen seiner Firma zwischengelagert und 1949 an das Institut für Vor- und Frühgeschichte der Deutschen Akademie der Wissenschaften in Ost-Berlin überführt.[5] Sie lagerten von 1956 bis 1990 im 2. OG des „Preussenhauses“ in der Leipziger Strasse. Auch andere Fundstücke fanden ihren Weg nach Berlin. Das Kreisheimatmuseum Demmin übergab 1976 zwei Kisten mit 224 Objekten aus der Prussia-Sammlung dem Museum für Vor- und Frühgeschichte in Ost-Berlin. Derselbe Empfänger erhielt 1988 drei Kisten Prussia-Exponate wie Keramiken, Bronzen, Eisenwaffen, Steigbügel etc. aus dem Mecklenburgischen Landesmuseum.[6]
Nach der Wende gelangten 1990 die Funde aus Ost-Berlin, 115 Holzkisten, ins Museum für Vor- und Frühgeschichte in Berlin-Charlottenburg, davon 23 Kisten mit Archivalischem, 2 Kisten mit fotografischen Glasnegativen und ansonsten insbesondere Ausgrabungsfunde der winkingerzeitlichen Hügelgräber von Wiskiauten, Krs. Fischhausen. Der Berliner Bestand stellt den größten erhaltenen Komplex der ehemaligen Prussia-Sammlung dar und umfasst heute zwei Teile: Zum einen die Reste des ehemaligen Fundaktenarchivs des Königsberger Museums, zum anderen die archäologischen Objekte der sogenannten Studiensammlung. Ein wichtiger Schritt für die Wiedergewinnung des Bestandes war die mühevolle Neuordnung des Fundarchivs seit dem Jahr 2000. Mehr als 50.000 Einzelblätter, über 2.000 Fotos und Fotonegative sowie zahlreiche Pläne, Karteikarten und Fundetiketten waren gerettet worden, deren ursprüngliche Zusammengehörigkeit in jeder Hinsicht wiederhergestellt werden musste. Auf diese Weise haben sich archäologische Informationen zu ca. 2.400 Fundorten im ehemaligen Ostpreußen im Fundarchiv des Prussia-Museums erhalten.[7] Seit Herbst 2002 ist der Prussia-Fund für Wissenschaftler wieder zugänglich. 2012/13 wurden 4.920 Funde aus dieser Sammlung in einer Datenbank erfasst, die jetzt eingesehen werden kann. Seit 2011 werden die mittelalterlichen Funde der Prussia-Sammlung mit Unterstützung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft wissenschaftlich aufgenommen und der Forschung zur Verfügung gestellt. Die aktuellen Forschungsergebnisse lassen sich unter www.prusia-museum.eu (Museum für Vor- und Frühgeschichte/Prussia-Sammlung) abrufen.
Noch etwa 5.000 mittelalterliche Objekte sind erhalten, bei denen sich der Fundort eindeutig bestimmen lässt. Den Objekten mit Fundkontext stehen etwa 15.000 Objekte ohne bekannten Fundort gegenüber, die das gesamte mittelalterliche Fundspektrum abdecken: Waffen (Schwerter, Lanzenspitzen), Schmuck (Fibeln, Hals-, Arm- und Beinschmuck), Reitzubehör (Steigbügel, Sporen und Trensen) und Gebrauchsgegenstände. Im Zusammenspiel mit den überlieferten Archivalien wird es möglich sein, zahlreiche Stücke zu reidentifizieren und sie ihrem ursprünglichen Fundplatz wieder zuzuweisen.[8] Ein schönes Beispiel für die Aufarbeitung der überlieferten Bestände bildet das Gräberfeld von Stangenwalde bei Rossitten auf der Kurischen Nehrung, von denen der größte Teil der Fundstücke die Katastrophe des 2. Weltkriegs überstanden hatte.[9]
Ein anderer Teil der Studiensammlung des Königsberger Prussia-Museums, der 1944 nach Karlshof bei Rastenburg in Südostpreußen ausgelagert worden war, kam in Museen in Heilsberg und Allenstein. Es handelt sich vornehmlich um Keramiken aus verschiedenen Epochen und Orten in Ostpreußen. Darunter befindet sich auch eine spätbronzezeitliche Henkeltasse, die Heinrich Schliemann (1822 – 1890), der Ausgräber von Troja, anlässlich eines Vortrags bei der Altertumsgesellschaft Prussia in Königsberg dem Prussia-Museum verehrt haben soll. Kisten mit weiteren Beständen, die man in Polen gefunden hatte, wurden nach Warschau gebracht, bisher aber wohl nicht wissenschaftlich ausgewertet.
Die Schausammlung des Prussia-Museums lagerte man erst Anfang 1945 und damit zu spät aus. Eine Partie von 34 Kisten und einige Schaukästen kamen nur bis in das 5 Kilometer entfernte Fort Friedrich III (Quednau) am Stadtrand von Königsberg. Als die Russen dieses Festungsgelände 1998 endgültig verließen, stießen Archäologen aus der Oblast Kaliningradskaja unter Avenir Owsjanow bzw. unter der Leitung von Anatolij Walujew, die heute im Museum für Geschichte und Kunst beschäftigt sind, durch systematische Grabungen auf Bestände aus der Prussia-Sammlung. Dazu gehören 16.000 Fundstücke aus der Steinzeit, Schmuckstücke aus Gold, Silber, Bronze wie Bronze-Fibeln, Bernstein, eine Anzahl von Silbermünzen wohl aus dem Besitz des Deutschen Ritterordens, Schwertspitzen, Steinwerkzeuge und anderes. In einer 2. Fundwelle entdeckte man weitere 8.000 Sammlerstücke und bei einer Grabung im Sommer 2001 förderte man noch einmal 2.000 Gegenstände zu Tage. Ein weiterer Rest – Kisten mit Exponaten und Inventarlisten – fand sich 1967/68 in den Ruinen des Königsberger Schlosses und landete im regionalen Museum für Geschichte und Kunst. Weitere Grabungen sind vorgesehen.
Für die Erfassung und Restaurierung dieser sensationellen Funde waren die Kaliningrader Möglichkeiten höchst eingeschränkt. Hier schaltete sich die Zeitschrift „DIE ZEIT“ mit ihrer Stiftung ein und förderte eine Kooperation der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und dem Schleswig-Holsteinischen Landesmuseum für Archäologie in Schleswig mit dem Museum für Geschichte und Kunst in Kaliningrad, um die berühmte Sammlung zu retten. Zur 750-Jahr-Feier von Kaliningrad/Königsberg hatte man es geschafft und präsentiert die restaurierte Sammlung stolz in einer Ausstellung.
Inventarbücher der Prussia-Sammlung, 15 Bücher mit 1.584 Seiten, konnten 1967/68 in den Ruinen des Südflügels des Königsberger Schlosses geborgen werden, bevor dieses gesprengt wurde. Seit 2007 wurde es möglich, diese in katastrophalen Zustand befindlichen Bücher durch die Unterstützung des Polnischen Staatsarchivs in der Konservierungswerkstatt von Allenstein zu restaurieren und so der wissenschaftlichen Forschung zu erhalten. Als Quintessenz dieser erfolgreichen Aktion entstanden zwei Bücher:[10]
1. A. Bitner-Wróblewska (Red.), Archeologiczne ksiegi inwentarzowe dawnego Prussia-Museum/Die archäologischen Inventarbücher aus dem ehemaligen Prussia-Museum, Aestiorum Hereditas I, Olsztyn 2008
2. T. Nowakiewicz (Red.). Archeologiczne dziedzictwo Prus Wschodnich w archiwum Feliksa Jakobsona/Das archäologische Vermächtnis Ostpreußens im Archiv des Felix Jakobson, Aestiorum Hereditas II, Warszawa 2011
– zu beziehen über die Prussia-Gesellschaft e. V. –
Nach dem Verlust Ostpreußens und eines großen Teils der Prussia-Sammlung durch Krieg und Vandalismus unternahmen es 1972 tatkräftige Ostpreußen, die PRUSSIA neu zu gründen. Dadurch sollte das Wirken der alten Prussia im Gedächtnis bewahrt sowie verstreutes Kulturgut aufgespürt und gesammelt werden. Es wurde eine Bibliothek aufgebaut, eine rege publizistische Tätigkeit entfaltet sowie nationale und internationale Beziehungen geknüpft und gepflegt. Um diese Aufgaben auch in der Zukunft zu bewältigen, sind neue Mitglieder sehr willkommen:
Prussia-Gesellschaft für Heimatkunde Ost- und Westpreußen e. V., in Nachfolge der Altertumsgesellschaft Prussia, gegr. 1844 in Königsberg,
Phöbener Chausseestr. 10, 14542 Werder, Havel,
Tel.: +49 (0) 33 27 – 74 16 03
FAX: +49 (0) 32 12 – 1 05 13 08
e-mail prussia.gesellschaft@googlemail.com
Vorsitzender: Hans-Jörg Froese
[1] Wolfgang Kaufmann, Von der Steinzeit bis zur Frühen Neuzeit, PAZ Nr. 42/2023 (20. Oktobrt), S. 18
[2] Kurt Jänsch, Das Prussia-Museum in Königsberg (Pr.), Unser schönes Samland, Herbst 1987, S. 13 ff
[3] Christine Reich, Verloren geglaubte Geschichte – Die Prussia-Sammlung im Museum für Vor- und Frühgeschichte, Ostpr. Schriften des Archäologischen Landesmuseums 9, Schleswig 2009, S. 347 – 361
[4] N. Goßler/C. Jahr, Forscher entdecken Prussia-Sammlung wieder, Oprbl. Nr. 15/2013 (13. April), S. 19
[5] ZDF-Pressestelle Telefon: 06131 / 70 – 2120 Telefon: 06131 / 70 – 2121, 4. 5. 2009
[6] Christoph Jahn, Heino Neumayer,Izabela Szter, Die Odyssee der Prussia-Sammlung an das Museum fürVor- und Frühgeschichte Berlin und ihre wissenschaftliche Rekonstruktion
[7] Heidemarie Eilbracht, Norbert Goßler, Timo Ibsen, Christoph Jahn und Jaroslaw Prassolow,
letzte Änderung am 19.05.2013, Vom Rand in die Mitte – neue archäologischer Forschungen im ehemaligen Ostpreußen, über Lutz Szemkus, mail vom 30. 11. 2014
[8] Heidemarie Eilbracht, Norbert Goßler, Timo Ibsen, Christoph Jahn und Jaroslaw Prassolow,
letzte Änderung am 19.05.2013, Vom Rand in die Mitte – neue archäologischer Forschungen im ehemaligen Ostpreußen, über Lutz Szemkus, mail vom 30. 11. 2014
[9] Felix Biermann, Cecilia Hergeligiu, Ottilie Blum, Das Gräberfeld des 13. bis 15. Jahrhunderts von Stangenwalde bei Rossitten auf der Kurischen Nehrung – Auswertung der Materialien im Berliner Bestand der Prussia-Sammlung (ehemals Königsberg/Ostpreußen), Acta Praehistorica et Archaeologica 43, 2011, 215-346
[10] N. Goßler/C. Jahr, Forscher entdecken Prussia-Sammlung wieder, Oprbl. Nr. 15/2013 (13. April), S. 19
[11] Wolfgang Kaufmann, Das geheimnisvolle Moor-Mädchen von Dröbnitz, PAZ Nr. 38/2024 (20. September), S. 18