Bittehnen

Biténai – Bittehnen

Bittehnen gehörte bis 1920 zum Kreis Ragnit, von 1920 – 1939 zum Kreis Pogegen und von 1939 bis 1945 zum Kreis Tilsit-Ragnit.

In Biténai – Bittehnen trifft man auf locker verstreute Einzelhöfe aus Holz mit Gärten voller Blumen. Auch hier gibt es in alten Häusern die neue Bevölkerung. Johannes Bobrowski lässt in Bittehnen Lipmans Leib jämmerlich enden. Ulla Lachauer schreibt im selben Dorf die Geschichte der Lena Grigoleit auf. Ein paar Schritte vom Haus der Grigoleit verbirgt sich hinter Büschen und Bäumen das alte Gasthaus von Bittehnen. Dem Krug sind die Gäste ausgegangen. Birute Zemguliene, eine alte Lehrerin aus Schamaiten, Grenzgängerin auch sie, hat in den Gasträumen ein kleines Museum für Martynas Jankus gehütet, den Patriarchen der Litauer im Memelland, Drucker, Redakteur, Verleger und Volkskundler zugleich.(23) Zu Ende der neunziger Jahre ist das Museum in die wiedererstandene Druckerei nahebei gezogen.

Geboren in diesem Dorf Bittehnen ist Martynas Jankus (1858 – 1946), zeitlebens litauischer Patriot, Grenzgänger zwischen dem Preußenland und Litauen, zu Kriegsende dennoch mit den Deutschen gezogen gleich seinem Landsmann Vydunas. Das Bittehner Museum zeigt Bilder und Berichte vom Tod des Jankus 1946 in Flensburg. Zu Pfingsten 1993 ist seine Urne heimgekehrt wie zwei Jahre zuvor die Urne von Vydunas, ein Exempel auf Gemeinsamkeit. Die Grabtafel für Martynas Jankus auf dem Waldfriedhof von Bittehnen zeigt die Form einer Tulpe. Aus dem Westen Europas sind die Tulpen nach Litauen gelangt. Sie blühen auf der zerstörten Hofstelle von Jankus ebenso wie auf den verwildernden Friedhöfen zu beiden Seiten der Memel. Ihre Zwiebeln überdauern im Boden, treiben Jahr für Jahr neue Blüten, geduldig, zäh, Kraft aus dem Verborgenen. (Dietmar Albrecht). Martynas Jankus hatte sich schon zur Kaiserzeit für die kleinlitauische Bewegung engagiert, wurde als „Patriarch Kleinlitauens“ zum Repräsentanten für die Wiedervereinigung des Memellandes mit Litauen und galt als Wächter des Rombinus.[1]

Auf dem Friedhof von Bittehnen, wo auch Lena Grigoleit begraben liegt, wurde dem Dichterpfarrer Christian Donalitius im Jahr 2003 ein Denkmal gesetzt. Der Gedenkstein hat die Form eines Kirchenaltars mit einem darauf liegenden, aufgeschlagenen Buch. Dieses trägt in litauischer und deutscher Sprache folgenden Text:

„In großer Verehrung und voller Stolz gedenken wir des Pfarrerdichters Chistian Donalitius, *1714 in Lasdinehlen bei Gumbinnen, + in seiner Pfarrgemeinde Tollmingkehmen. Er schrieb das wundervolle Versepos „Die Jahreszeiten“ “.

Weiterhin sind auf dem Gedenkstein historische Daten seiner Entstehung und die Namen der Sponsoren eingemeißelt. Zur Einweihung sprach Lutz Wenau, Nachkomme aus der Doneleitis-Donalitius-Donalies-Familie, die sich besonders für die Errichtung eines Gedenksteins auf dem Rombinus engagiert hatte.[2]

Auf dem Waldfriedhof von Bittehnen befindet sich auch das Grab von Wilhelm Storost, bekannt unter dem Pseudonym Vydunas. Vydunas (22. 3. 1868 – 20. 2. 1953) wurde in dem Dorf Jonaiciai – Jonaten im Kreis Heydekrug als Sohn eines evangelischen Missionars und Lehrers geboren und wuchs im Kreis Pilkallen auf. Er wählte den Beruf des Lehrers und unterrichtete von 1888 – 1892 in Kinten, danach an der Knabenschule in Tilsit, wo er nach seiner Parteinahme für die preußischen Litauer 1912 zwangspensioniert wurde. Bis 1919 studierte er nunmehr Philosophie an verschiedenen deutschen Universitäten. Vydunas entwickelte eine tiefe Beziehung zur litauischen Kultur und Sprache. Seine große Popularität in Litauen beruht auch auf seiner Tätigkeit für die Wiederbelebung der Volkslieder und der alten bäuerlichen Traditionen. Er wurde 1925 Ehrenmitglied des litauischen PEN-Clubs, 1928 zum Ehrendoktor der Universität Kaunas und 1933 zum Ehrenmitglied des litauischen Schriftstellerverbandes ernannt. In Tilsit leitete er den litauischen Chor und schrieb selbst zahlreiche Lieder ebenso wie Theaterstücke, die von seinem Laientheater aufgeführt wurden. Ab 1933 arbeitete er in Memel an der dortigen Musikschule. Ein 1932 erschienenes Buch zum Thema „700 Jahre deutsch-litauischer Beziehungen” wurde von den Nazis 1933 verboten. Sie steckten ihn sogar 1938 für 23 Monate ins Gefängnis, aus dem er aufgrund massiver internationaler Proteste wieder frei kam. 1944 floh Vydnas vor der sowjetischen Bedrohung zunächst auf das Gut Powarben im Kreis Königsberg Land, wo er weniger gestört arbeiten konnte und die Kinder von Paul Gerhard Goertz in Powarben unterrichtete.

Nach der endgültigen Flucht ließ sich Vydunas in Detmold nieder, wo er auch starb. 1991 wurden seine sterblichen Überreste nach Bittehnen überführt. Als Politiker trifft Vydunas auf Reserviertheit bei vielen Deutschen, obwohl er als Dichter und Denker stets den Ausgleich zwischen Litauern und Deutschen suchte. Sein Konterfei ziert den litauischen 500-Lit-Schein.[3]Siehe auch Wikipedia über Vydunas

Fotos von Grabkreuzen auf dem Waldfriedhof von Bittehnen siehe hier

An der Memel bei Bittehnen erhebt sich der Rombinus. Der Berg befindet sich auf altem Siedlungsgebiet. Aus der Zeit um 600 v.Chr. wurden bronzene Fundstücke geborgen. 1811 fand man nach einer Sprengung in Gräbern Kupfer- und Silbermünzen aus spätheidnischer Zeit.[4] Auf der Spitze des Rombinus lag ein alter Opferstein, einer der heiligsten Orte der Litauer, die herkamen, um ihren Göttern zu opfern. Der Sage nach errichtete Perkunos, Gott der Fruchtbarkeit und Erster der Götter, selbst den Opferstein und vergrub unter ihm eine goldene Schüssel und eine silberne Egge. So lange die dort lägen, sollte das Glück nicht vom Lande weichen. Der Opferstein existiert aber schon lange nicht mehr. 1811 ließ ein Müller aus ihm zwei Mühlsteine anfertigen.[5] Heute steht dort ein symbolischer Altar. Aber von diesem Standort gibt es einen höchst malerischen Blick auf die Memel, im Hintergrund die Häuser von Tilsit.


[1] Kossert, Ostpreußen, S. 232
[2] L.W., Ein Jahrhunderttraum wurde wahr, Oprbl. Nr. 34/03, S. 14
[3] Kossert, Ostpreußen, S. 231/232
[4] Heinrich A. Kurschat, Das Buch vom Memelland, 2. Aufl. 1990, S. 416
[5] Richard Meyer, Heimatkunde des Memelgebietes, Memel 1922, S. 13