Das Lied „Ännchen von Tharau“

Das berühmte Lied des Tharauer Ännchen erschien erstmals 1648 im Liederbuch des Königsberger Dichterkreises „Musikalische Kürbislaube“, auch „Kürbishütte“ genannt, aber mit unsicherer Verfasserschaft. Die schrieb man dem Professor für Poesie und Mitglied des Königsberger Dichterkreises Simon Dach (1605 – 1659) zu, der sich bereits mit Hochzeits- und Begräbnisgedichten einen Namen gemacht hatte. Dabei gibt das Tharauer Kirchenbuch Simon Dach als Dichter des Liedes an. Die Eintragung stammt von Pfarrer Anton Pfeiffer, dem zweiten Gemahl von Annas Schwiegertochter Elisabeth, geb. Schütz (1660 – 1746), und der sollte es eigentlich recht genau gewußt haben. Nur einige gelehrte Professoren versuchten nachzuweisen, dass Stil und Wortwahl des Liedes keinesfalls von Simon Dach stammen könne. Vielleicht war es ja auch ein Gemeinschaftswerk der Kürbislaube mit Dach als wesentlichem Inspirator.[1]

Viele dieser Gedichte wurden vertont von dem Königsberger Domorganisten Heinrich Albert. Das Gedicht soll 1637 im samländisch-ostpreußischen Dialekt entstanden sein. Der erste Druck des Liedes findet sich 1642 in den „Arien“ von Heinrich Albert unter dem Titel „Trewe Lieb’ ist jederzeit zu gehorsamen bereit“. Johann Gottfried Herder übertrug den Text ins Hochdeutsche für seine Liedersammlung „Stimmen der Völker in Liedern“, und so erschien es, noch weiter überarbeitet, 1805 in „Des Knaben Wunderhorn“.

Der Weimarer Musiker Karl Friedrich Sigismund von Seckendorff (1744 – 1785) entdeckte das Lied in der Volksliedersammlung von Herder für sich und nahm eine erste Vertonung vor. Auch Friedrich Reichardt (1752 – 1814) fand eine Melodie für das Annchen-Gedicht. Die heute gebräuchliche Melodie intonierte aber 1827 der Tübinger Musikprofessor Philipp Friedrich Silcher (1789-1860).

Simon Dach (29. 7. 1605 – 15. 4. 1659) wurde in Memel als Sohn eines Gerichtsdolmetschers geboren und starb in Königsberg. Ab 1639 war er Professor für Poesie an der Königsberger Universität und er war Mitglied eines Künstlerkreises, in dem die Idee für das Lied „Annke von Tharau“ geboren wurde. Zu Ehren des Dichters Simon Dach wurde 1912 in Memel vor dem Stadttheater der Ännchen-Brunnen aufgestellt mit der Figur des jungen Ännchens und einem Medaillon des Dichters auf dem Sockel. Die Statue wurde 1939 zugunsten eines Hitler-Denkmals entfernt und 1989 auf Initiative von Heinz Radziwill mit deutschen Spendengeldern erneut aufgestellt.

Anna Neander, das Ännchen von Tharau, wurde 1619[2] im Pfarrhaus von Tharau als Tochter des Tharauer Pfarrers Martin Andreas Neander (1589 – 1630) aus Schweidnitz, Schlesien, geboren. Ihre Mutter war eine geborene Sperber. Die Eltern starben schnell hintereinander, möglicherweise bei der großen Pest 1629. Daraufhin wurde Anna Neander von ihrem Patenonkel und Vormund Caspar Stolzenberg aufgenommen, der Brauer und Mälzer im Löbenicht war, und erzog sie dort. Wahrscheinlich begegnete Anna hier dem Jurastudenten Johannes Portatius (1610 – 1646), der in der Grafschaft Glatz in Schlesien geboren und als Glaubensflüchtling nach Königsberg gekommen war. Er wechselte zur Theologie und erhielt nach dem Studium die Pfarrstelle in Trempen im Kreis Darkehmen.[3]

Angeblich traf Simon Dach das junge Mädchen auf einer Fähre und war von ihrer Schönheit sehr angetan. Zu ihrer Hochzeit im August 1636 oder 1637 mit dem Pfarrer in Trempen, Johann Portatius, der wohl ein Studienfreund Simon Dachs war, schrieb ein Königsberger Dichter aus dem Kreis von Simon Dach, vielleicht auch dieser selbst, das berühmte Lied. Ännchen bezog mit ihrem Mann zunächst die Pfarrstelle in Trempen (erste Kirche um 1570), die dieser von 1630 – 1641 innehatte, und 1641 die in Strankoe – Laukischken, Kreis Labiau.[4]

Mit ihren Männern hatte Anna Neander kein Glück. Nachdem ihr erster Mann 1646 starb, heiratete sie 1647 dessen Nachfolger im Amt, den Pfarrer Christoph Gruber. Der starb auch schon nach 6 Jahren und Ännchen heiratete nun 1655 in dritter Ehe den erneuten Nachfolger Johann Melchior Beilstein. Als auch dieser 1675 das Zeitliche gesegnet hatte, zog sie 1676 zu ihrem ältesten Sohn Friedrich Portatius (gest. 1688) nach Insterburg, der dort Geistlicher an der Martin-Luther-Kirche war, und hier starb sie am 28. 9. 1689 im Alter von 74 Jahren. Anna hatte 11 Kinder, von denen aber nur drei das Erwachsenenalter erreichten. Ihre verwitwete Schwiegertochter Elisabeth heiratete 1694 den Pfarrer Anton Pfeiffer aus Tharau. Zu der zahlreichen Nachkommenschaft von Anna Neander gehören die Dichterin Agnes Miegel und der Jurist und Dichter E.T.A. Hoffmann.[6]

Das Pfarrhaus überstand den 2. Weltkrieg, verfiel dann aber und die russische Administration ließ das Haus abtragen.

In Tharau feierte man 2019 den 400. Geburtstag von Ännchen. Im vorpommerschen Anklam pflanzte man aus diesem Anlaß in der Wallanlage am Steintor eine Winterlinde, wie Ännchen es an ihren drei Wirkungsstätten Tharau, Trempen und Laukischken vorgemacht hatte. Dazu schuf der Anklamer Steinmetzmeister Uwe Fritz einen passenden Gedenkstein, einen 700 kg schweren Findling, nach dem Vorbild eines litauischen Gedenksteins im Schlosspark von Polangen bei Memel.[5]


[1] Horst Schulz, Der Natanger Kreis Preußisch Eylau, 1972, S. 92
[2] Marianne Kopp, Ännchen von Tharau – Ein Mädchen und ein Lied, Storchenpost Juni 2008, S. 26
[3] Marianne Kopp, Ännchen von Tharau – Ein Mädchen und ein Lied, Storchenpost Juni 2008, S. 27
[4] Siehe auch Heimatbuch Labiau, S. 282
[5] Friedhelm Schülke, Ein Denkmal für Ännchen von Tharau, Königsberger Bürgerbrief, Sommer 2022, S. 56/57
[6] Hedwig von Lölhöffel, Das wirkliche Tharau, in: Natangen, herausgegeben von der Landsmannschaft Ostpreußen 1983. S. 45

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