Die Familie v. Lehndorff war zunächst in der Gegend von Königsberg ansässig und wurde im 15. oder 16. Jh. mit der „Steinorter Wildnis“ belehnt. Ihre Herkunft lässt sich bis 1236 in Pommerellen zurückverfolgen, was auf slawische oder prußische Wurzeln hindeutet. Das Deutsche Adels-Lexicon von 1864, bearbeitet von Prof. Dr. Ernst Heinrich Kneschke, weist auf unterschiedliche Nachrichten zur Herkunft der Familie hin. So sei das Adelsgeschlecht in alten Zeiten in Ungarn bekannt gewesen, andere Hinweise führen nach Sachsen, Österreich und nach Braunschweig, wo es ein Pfarrdorf dieses Namens gegeben haben soll. Antje Vollmer verweist den Ursprung der Familie ins Kulmer Land, zum herausragenden westpreußisch-prußischen Geschlecht der Stangos im Ort Mgowo. Zur Ordenszeit hieß der Flecken Legendorf.[1]
Wie dem auch sei, in Preußen hat die Familie durch ihre Repräsentanten wesentliche Beiträge bei der Verwaltung des Staates sowie auf agrarischem und kulturellem Gebiet geleistet und gelangte zu hohen Ehren sowie zu großem Grundbesitz.
Zur Namensentwicklung wird ausgeführt, dass die in der Steinorter Wildnis Ansässigen ihren Ort Legendorf nannten und sich selbst dann „von Legendorf“. Aus dieser Zeit soll Paul von Legendorf, Bischof des Ermlands, stammen. Andererseits gab es bereits 1205 einen Otto v. Legendorf, der als Zeuge in einer Urkunde des Klosters Dobrilugk in Brandenburg aktenkundig wurde. Jedenfalls veränderte sich dieser Name später dem Vernehmen nach in Lehendorf und dann in Lehndorff.
Zu den ersten Lehndorffer Herren auf Steinort gehörten ein Amtshauptmann von Pr. Eylau und ein Amtshauptmann von Oletzko. Fabian von Lehndorff war 1576 – 1583 Oberburggraf. Seine drei Enkel Caspar, Fabian II. und Melchior waren die Stammväter der nachfolgenden Lehndorffe. Auf Meinhard von Lehndorff (1590 – 1639), Oberstleutnant und Landrat von Rastenburg, und auf die Bauherrin des Barockschlosses, Eleonore, gehen die Eichenalleen im Steinorter Park zurück, die inzwischen fast 400 Jahre alt sind und allgemeine Bewunderung hervorrufen.
Die Lehndorffs galten als ungemein reich und die Schwiegertöchter mußten eine ansehnliche Mitgift einbringen. So ist z. B. für eine Tochter aus dem Haus Eulenburg-Prassen, die 1623 Meinhard von Lehndorff angetraut wurde, folgende Brautausstattung überliefert: 100 Kleidungsstücke – genau spezifiziert, 67 silberne Gerätschaften, 16 Pferde, 15 Kühe, 15 Ochsen und 100 Schafe.
Bekannte Mitglieder der Familie waren:
- Ahasverus v. Lehndorff (1637 – 1688), Sohn von Meinhard v. Lehndorff und dessen Frau, einer geborenen zu Eulenburg, und Gatte der Bauherrin des Barockschlosses Steinort, Marie Eleonore, geb. Gräfin v. Dönhoff. Von ihm stammte jener bekannte Tagebuchbericht einer für junge Adlige damals üblichen Bildungsreise durch Europa, Kavalierstour genannt. Zusammen mit seinem Vetter Georg Friedrich Frhr. zu Eulenburg, 13 Jahre alt, je einem Sommer- und einem Winterrock sowie mit einem Diener, dem „Hofmeister“, lernten die jungen Herren 1656 – 1663 die Länder Dänemark, Holland, England, Frankreich, Italien, Malta – wo sie von den Malteser Rittern zu Kaperfahrten gegen Türken und Seeräuber mitgenommen wurden – und Spanien kennen und studierten längere Zeit in Paris und Rom. In England war er Gast von Cromwell und in Paris lernte er Ludwig XIV. aus der Nähe kennen und war Gast der Königin Christine von Schweden, Tochter Gustav Adolfs, die nach Paris ausgewandert war. Von seiner Reise brachte Ahasverus zwei Alabasterreliefs – die Anbetung der Hirten und eine Kreuzigungsszene – mit nach Hause, die in der Lehndorffschen Patronatskirche in Radzieje – Rosengarten aufbewahrt wurden. Ahasverus v. Lehndorff diente am brandenburgischen, polnischen, oranischen und dänischen Hof und wurde 1686 wegen seiner Verdienste von Kaiser Leopold in den Stand eines Reichsgrafen befördert. In militärischen Diensten des polnischen Königs Casimir, dessen besonderes Vertrauen er genoss, war er zeitweilig Befehlshaber sämtlicher in Polen dienender deutscher Truppen. Als 42jähriger kehrte er nach Steinort zurück und wurde 1683 zum Oberburggrafen ernannt. Unmittelbar darauf heiratete er in dritter Ehe die Gräfin Dönhoff.[2]
- Ernst Ahasverus Heinrich Grf. v. Lehndorff (1727 – 1811), Enkel von Ahasverus, Landhofmeister, wurde ebenfalls durch sein Tagebuch bekannt, das er als Kammerherr der Königin Elisabeth Christine am Hof Friedrichs des Großen führte. Er war in zweiter Ehe verheiratet mit Amalie Caroline v. Schmettau (geb. 1751) sowie eng befreundet mit Ignaz Krasicki, Fürstbischofs des Ermlands, der oft in Steinort weilte.
- Carl Meinhard v. Lehndorff (1826 – 1883), Enkel von Ernst Ahasverus Heinrich, 1852 verheiratet mit Anna Gräfin v. Hahn-Basedow, Legationsrat, war u. a. der Vorsitzende des Verwaltungsrats der Ostpreußischen Südbahn und als solcher verwickelt in den finanziellen Zusammenbruch des Eisenbahnunternehmers Bethel Henry Strousberg.
- Heinrich v. Lehndorff (1. 4. 1829 – 25. 4. 1905), ebenfalls Enkel von Ernst Ahasverus Heinrich, der die Linie Preyl westlich von Königsberg begründete, wurde 1881 Generaladjutant Kaiser Wilhelms I., war Oberburggraf, Landhofmeister und General der Kavallerie.
- Georg v. Lehndorff (4.12.1833 – 30.4.1914), jüngster von drei Söhnen von Carl v. Lehndorff, Kavallerie-Generalleutnant a. D. und Landstallmeister, war der Großvater von Hans Graf von Lehndorff, dem Autor des „Ostpreußischen Tagebuchs“ und galt als bedeutendster Hippologe seiner Zeit. Bereits mit 17 Jahren gewann er sein erstes Rennen und wurde ein begnadeter Amateur-Rennreiter. Er nahm als erster deutscher Reiter an Rennen in Moskau und St. Petersburg teil, beteiligte sich aber auch an Rennen in Warschau, Wilna, Wien, Budapest und Paris. Von den über 400 Rennen, an denen er antrat, gewann er 142, landete 68 Mal auf dem zweiten Platz und wurde sechs Mal bester deutscher Amateur-Rennreiter, wobei man sein Pferd Fontenoy 1864 zum europaweit besten Rennpferd kürte.[3] Georg von Lehndorff leitete ab 1867 bis 1906 das Hauptgestüt Graditz und war von 1887 bis 1911 Oberlandstallmeister, d. h. Leiter der gesamten Pferdezucht in Preußen. Er war ein exzellenter Pferdeexperte. Die Vollblüter, die er in England für die Verbesserung der deutschen Vollblutzucht einkaufte, prüfte er persönlich vor Ort auf Herz und Nieren und hatte dabei einen sicheren Instinkt für erfolgversprechende Blutlinien, so dass er auch auf dem Inselreich als Autorität in Pferdedingen hoch geschätzt wurde. Auch als Schriftsteller trat v. Lehndorff hervor. Sein Hauptwerk “Handbuch für Pferdezüchter” ist ein bis heute geschätzter Klassiker. 1998 stiftete die Reiterliche Vereinigung in Warendorf die Georg-Graf-von-Lehndortff-Plakette, die an besonders erfolgreiche Pferdewirte verliehen wird. Georg v. Lehndorff wurde in Steinort begraaben.
- Carol Meinhard Graf von Lehndorff (1870 – 1936), vorletzter deutscher Besitzer von Steinort, unverheiratet und kinderlos, verwirtschaftete offenbar große Teile des Gutes, hielt nicht viel Ordnung, ließ etliches verkommen, war kauzig und extravagant, aber auch sehr gastfreundlich. Er hinterließ eine in seiner Zeit berühmte Münzsammlung, die 280.000 Einzelstücke umfasste und sich jetzt im Besitz der Deutschen Bank in Frankfurt/Main befindet. Die Scherze, die er mit seinen Gästen trieb, sind legendär
- Siegfried Graf von Lehndorff (11. 4. 1869 – 4. 5. 1956), Sohn von Georg von Lehndorff und seit 10. 5. 1906 verheiratet mit Maria, Tochter des Kammerherrn Elard v. Oldenburg-Januschau, war nach der Leitung des Gestüts Neustadt/Dosse 1896 – 1906 und des Gestüts Graditz in Nachfolge seines Vaters von 1906 – 1922 Landstallmeister in Trakehnen von 1922 bis 1931. Dann wurde er aufgrund von Differenzen mit dem Oberlandstallmeister von 1928 – 1933, Wilhelm Gatermann, und dem zuständigen Preußischen Landwirtschaftsminister Dr. Steiger an das Hauptgestüt Braunsberg versetzt, wo er bis zu seiner Pensionierung 1934 wirkte. Er wurde wegen seiner hippologischen Fachkenntnisse und seiner Amtsführung als Gestütsleiter weithin geschätzt, war aber persönlich recht introvertiert. Der Oberlandstallmeister Dr. Martin Heling schrieb dazu 1959 in seinem Buch „Trakehnen“: „Graf S. Lehndorff war eine fast zur Befangenheit in sich zurückgezogene Natur, die sich zumal in Verbindung mit einem stark behinderten Gehör nur schwer und nicht jedermann erschloss. Er wirkte dadurch oft wohl zurückhaltend und kühl, vielleicht auch bisweilen leicht weltfremd, abweisend und abwesend. Es ist gut denkbar, dass seine Schwerhörigkeit ihn nicht nur mehr als landläufig nach innen leben ließ, sondern dass sie auch wohl für manches gelegentliche Missverstehen und Missverständnis verantwortlich war. Wer aber ohne Empfindlichkeit auf ihn einzugehen bereit war und sein Vertrauen erwarb, war betroffen von seinem hippologischen Urteil, seiner die Fragen der Züchtungsforschung beherrschenden Sachkunde, von seinem Gedächtnis, seiner Fähigkeit und Beharrlichkeit, allen Zusammenhängen auf den Grund zu gehen, und von seinem bereitwilligen Entgegenkommen, sich ohne belehrenden Anspruch auch dem jüngeren mitzuteilen.“
- Der letzte deutsche Besitzer von Steinort war Heinrich Grf. v. Lehndorff (22. 6. 1909 – 4. 9. 1944) aus der Linie Preyl. Nach der Schulzeit erhielt er eine landwirtschaftliche Ausbildung und erlernte das Gerberhandwerk. Nach dem Tod von “Onkel Carol” 1936 übernahm er die Begüterung Steinort. . Im Februar 1937 heiratete er Gottliebe Gräfin Kalnein, die einem von den Prußen abstammenden adligen Geschlecht entstammte. Die Ehe war kurz, aber sehr glücklich. Ihr entsprossen vier Töchter, darunter die als Fotomodell und Schauspielerin weltweit bekannte Veruschka von Lehndorff. Die dritte Tochter war Gabriele, verheiratete Freifrau von Plotho. Von ihr stammt Verus von Plotho ab, der 1969 in Sao Paulo in Basilien geboren wurde. Im 2. Weltkrieg war Heinrich Graf Lehndorff aktives Mitglied des Widerstands gegen Hitler. Seiner Festnahme nach dem mißglückten Attentat vom 20. Juli 1944 in der nahen Wolfsschanze konnte er sich zunächst durch die Flucht aus einem Schloßfenster in die Wälder des Mauersees entziehen. Er stellte sich dann jedoch, um Unheil von seiner Familie fernzuhalten. Gräfin Lehndorff war gerade schwanger und erwartete ihr viertes Kind. Noch einmal entkam er seinen Bewachern aus dem Polizeiwagen vor dem Gestapo-Hauptquartier in der Berliner Prinz-Albrecht-Straße, wurde bei Neustrelitz in Mecklenburg-Vorpommern wieder aufgegriffen und nach der Gerichtsverhandlung von Roland Freislers Volksgerichtshof am 4. 9. 1944 in Berlin-Plötzensee gehenkt. Seine Kinder – damals 7, 5 und 2 Jahre alt – verschleppte die SS wie auch die Kinder anderer Widerstandskämpfer nach Thüringen und versteckte sie unter anderem Namen. Durch einen glücklichen Umstand identifizierte man sie später und gab sie ihren Angehörigen zurück
- Hans Graf von Lehndorff (13. 4. 1910 – 4. 9. 1987) wurde in Graditz als Sohn des dortigen Landstallmeisters Siegfried Graf von Lehndorff (1869 – 1956) geboren und verlebte viele prägende Jugendjahre in Trakehnen, die ihn naturgemäß zu einem großen Pferdeliebhaber werden ließen. Er studierte erst Jura und dann Medizin in Genf, Paris, München, Königsberg und zuletzt in Berlin, wo er im Wintersemester 1936/37 seine Examensprüfung erfolgreich ablegte. Nach einer Zeit als Medizinalassistent am Martin-Luther-Krankenhaus in Berlin ging er als Assistenzarzt an das Kreiskrankenhaus in Insterburg nahe Trakehnen, wo er sich auf die Chirurgie spezialisierte. Seit dieser Zeit war er Mitglied der Bekennenden Kirche und in Insterburg begann er auch am 13. 1. 1945 mit den Aufzeichnungen für sein Ostpreußisches Tagebuch. Er erlebte die Einkesselung von Königsberg und die Eroberung der Stadt durch die Rote Armee Im April 1945 als Arzt im Wehrmachtslazarett, flüchtete im Oktober 1945 in den polnischen Teil Ostpreußens, lebte und arbeitete dort in Leguty – Langgut und Grasymy – Grasnitz, in Biesal – Biessellen und in Susz – Rosenberg. Dort erfuhr er vom gewaltsamen Tod seiner Mutter und seines Bruders Heinfried im Januar 1945 in Wengern, Kreis Stuhm. Sein Bruder Meinhard war 1940 im Frankreichfeldzug gefallen, sein Bruder Elhard fiel ebenfalls im Krieg und Bruder Georg starb 1943 an einer Hirnblutung. 1947 wurde Hans Graf Lehndorff nach Westdeutschland ausgewiesen. Bis 1949 wirkte er als Mitarbeiter von evangelischen Akademien, 1950 nahm er seinen Beruf als Arzt wieder auf, zunächst als Assistenzarzt in Göttingen und nach 6 Monaten am Johanniterkrankenhaus in Bonn. Von 1954 – 1970 war er Chefarzt im evangelischen Viktoria-Hospital in Bad Godesberg bei Bonn. Ab 1949 war er Ehrenritter, ab 1952 Rechtsritter des Johanniterordens, den er von 1954 – 1962 als Kommendator führte. 1981 Auszeichnung mit dem Preußenschild, der höchsten Auszeichnung der Landsmannschaft Ostpreußen, 1977 mit der Agnes-Miegel-Plakette. Bekannt wurde Lehndorff besonders durch seinen Bericht “Ostpreußisches Tagebuch. Aufzeichnungen eines Arztes aus den Jahren 1945 – 1947” (1961). Weitere Bücher und Schriften: „Die Insterburger Jahre. Mein Weg zur Bekennenden Kirche“ (1969); „Menschen, Pferde, weites Land“ (1981), „Lebensdank“ (1983), „Humanität im Krankenhaus“ (1977), „Veränderte Welt – veränderte Christen?“, „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein“.
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