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Der Industriegigant Schichau und weitere Unternehmen in Elbing

Die nachfolgenden Angaben und Daten entstammen zum großen Teil dem Buch “Die Krupps des Ostens – Schichau und seine Erben. Eine Industriedynastie an der Ostsee” von Helga Tödt.

Elbing hatte mit Beginn des Industriezeitalters das Glück, über einen genialen Maschinenbauer und Unternehmer zu verfügen: Ferdinand Gottlob Schichau (30.1.1814 – 23.1.1896). Sein Vater Carl Jakob Schichau war selbständiger Gelbgießermeister, also Hersteller von Messingteilen, in Elbing. Nach Besuch der Volks- und der anschließenden Kantor- und Organistenschule erlernte Ferdinand das Schlosserhandwerk. Er bekam ein Freistudium am Königlichen Gewerbeinstitut in Berlin, dem Vorläufer der Technischen Hochschule. 1835 erhielt er den ersten Preis im Entwerfen von Maschinen. Wanderjahre führten ihn ins Rheinland und nach England. Seine Karriere begann am 4. Oktober 1837 mit einer kleinen eigenen Maschinenwerkstatt auf dem väterlichen Grundstück, schwerpunktmäßig für Dampfmaschinen, aber auch mit der Produktion von hydraulischen Pressen für die Ölgewinnung, Mahlwerke für Getreide und Zuckerrüben, etc. 1841 baute Schichau die Dampfmaschine für den ersten Dampfbagger Deutschlands, der zur Vertiefung des Elbingflusses eingesetzt wurde. 1851 orderte die Elbinger Dampfschifffahrtsgesellschaft ihr erstes, 40 Meter langes Schiff bei Schichau. Damit wurde der Anfang für das ostdeutsche Werftenimperium gemacht, denn weitere Schiffe folgten auf dem Fuß. Die Kapazität der Werft wurde gesteigert von 3 Schiffen/Jahr in den Anfangsjahren auf 17 Schiffe/Jahr in den späteren Perioden.

1877 nahm Schichau als erste deutsche Werft den Bau von Torpedobooten auf. Während die deutsche Marine die Entwicklung der neuen Bootsklasse mit Zurückhaltung verfolgte, waren die Russen sofort höchst interessiert und kauften. Weitere Staaten folgten mit Bestellungen, so China, Japan, Brasilien, Rumänien, Norwegen, Dänemark u. a. und die kaiserliche Marine gab ihre Vorbehalte bald auf. Bis 1918 produzierte Schichau für die deutsche Flotte 333 Boote und für die ausländischen Streitkräfte150 Torpedoboote.

Mit der Anbindung von Elbing an das Streckennetz der Ostbahn begann Schichau 1859 mit dem Bau von Lokomotiven. 1860 wurden die ersten beiden Lokomotiven an die Preußische Ostbahn ausgeliefert. Nach einer langen Pause begann 1867 der Boom in diesem Produktionszweig und die Fertigung von Lokomotiven wurde lukrativ. 1869 verlegte Schichau deshalb die Herstellung in eine neue Fabrik mit Kesselschmiede und Großhammerschmiede im Vorort Trettinkenhof. Jetzt beschäftigte Schichau insgesamt 1.000 Mitarbeiter. Die Umsatzentwicklung verlief recht stetig nach oben. 1891 verließ die 100. Lokomotive das Werk, 1899 die 1000. Maschine. In dieser Zeit entstand auch ein Markt für Dampfmaschinen zur Stromerzeugung, auf dem man Eingang fand. Weiterhin wurden Maschinen für Getreide- und Holzverarbeitung, für die Zuckerindustrie sowie für Brauereien angefertigt. Die hydrotechnischen Anlagen des Oberländischen Kanals kamen ebenfalls aus einer Schichauwerkstatt. Aber auch die erste Lokomotive für die Berliner Stadtbahn, für die eine möglichst geringe Dampfbelästigung gefordert war, kam aus Trettinkenhof.

Besonders der Erfolg bei den Torpedobooten ließ die Kapazität in Elbing an ihre Grenzen stoßen. Deshalb erwarb Ferdinand Schichau am 15. Januar 1889 in Danzig ein großes Gelände, das Kalkschanzenland an der Weichsel, und machte so den Weg frei für die Errichtung der “F. Schichau Schiffswerft zu Danzig”. Bis 1902 entstanden sechs große Helligen und ein Schiffsdock für große Kriegs- und Handelsschiffe. 1905 kam der “Lange Heinrich” hinzu, damals einer der größten Schiffskräne der Welt, 60 Meter hoch, mit einer Hakenbelastung von max. 100 t. Am 31. Mai 1893 lief das erste Schiff, eine Kreuzerkorvette, in Anwesenheit des Kaisers vom Stapel. Im Jahr 1889 entstand außerdem ein großer Reparaturbetrieb in Pillau und seit 1886 gab es dazu die Elbinger Dampfschiffs-Reederei F. Schichau, die nebenbei die Transportkosten in der Beschaffung reduzieren sollte..

Nach dem Tod von Ferdinand Schichau übernahm Carl Heinrich Ziese (2. 7. 1848 – 15. 12. 1917) die Unternehmensführung. Er wurde in Moskau als Sohn eines Technikers geboren, der dort eine kleine Eisengießerei und Maschinenfabrik betrieb. Nach dem Tod des Vaters und dem Verkauf des Unternehmens ging die Familie nach Kiel zur Großfamilie zurück. Dort ging Carl Heinrich in einer Maschinenfabrik mit Eisengießerei in die Lehre und begann ab 1871 ein Studium an der Berliner Gewerbeakademie. Im Verlauf des Studiums fand 1873 ein Besuch in der Schichauwerft in Elbing statt, wo er dem Unternehmenschef vorgestellt wurde. Bei dieser Gelegenheit machte Ziese einen so guten Eindruck, dass er von Ferdinand Schichau auf der Stelle engagiert wurde und im Juli 1873 eine Stellung als Leiter des Maschinenbaus aufnahm. In Elbing lernte er Schichaus Tochter Elisabeth kennen und lieben und 1876 wurde geheiratet. Schwiegervater und Schwiegersohn arbeiteten eng zusammen am weiteren Aufstieg des Unternehmens und so war die Kontinuität in der Unternehmensführung gesichert. Beim Übergang in der Firmenleitung betrug das Geschäftsvermögen von Schichau 8 Mio. Goldmark. Bis 1908 steigerte Ziese das Vermögen auf 47 Mio. Goldmark und wurde damit zum reichsten Mann in Ost- und Westpreußen. Die Schichauwerke wurden zum größten Industrieunternehmen im Nordosten Deutschlands und erwarb sich einen Ruf als “Krupp des Ostens”. Am Ende des 1. Weltkriegs zählte das Unternehmen 11.600 Beschäftigte.

Nachfolger von Ziese als Firmenchef wurde der schwedische Ingenieur Carl F. Carlson (1870 – 1924), ebenfalls ein begabter Techniker und harter Arbeiter. Er trat 1898 als Betriebsleiter der Elbinger Werft in das Unternehmen ein und lernte dort die Ziese-Tochter und Alleinerbin Hildegard (1877 – 1927) kennen. 1900 wurde geheiratet. 1909 übernahm er die Leitung der Danziger Werft und 1912 ernannte ihn Ziese zum Teilhaber des Schichau-Unternehmens.

Nach Zieses Tod und dem Ende des 1. Weltkriegs waren die guten Zeiten vorbei. Fertige und im Bau befindliche Boote mussten als Reparationsleistung an die Sieger ausgeliefert werden, die Umsätze gingen stark zurück und besserten sich auch in den nachfolgenden Jahren nicht wesentlich. Ein Drittel der Belegschaft musste entlassen werden, die Inflation fraß das Geldvermögen auf, der Vorrat an Devisen musste an die Reichsbank abgegeben werden. Nach Carlsons überraschendem Tod wegen eines Blinddarmdurchbruchs übernahm seine Frau, die Schichau-Enkelin, die Firmenleitung. Sie konnte den Niedergang des Unternehmens nicht aufhalten. Nach ihrem ebenfalls frühen Tod übernahmen Manager die Führung. Das Untenehmen geriet so tief in die roten Zahlen, dass sich die Reichsregierung 1929 zu erheblichen Stützungsmaßnahmen veranlasst sah, um einen bedeutenden Arbeitgeber zu erhalten, koste es, was es wolle. Die Erben mussten ihre Anteile am Firmenkapital gegen eine Abfindung an den Staat abtreten und das Unternehmen wurde in die “F. Schichau GmbH” umgewandelt. Die Wiederaufrüstung unter den Nazis und der 2. Weltkrieg brachten noch einmal eine starke Belebung. 1935 setzte der Bau von Kriegsschiffen (U-Boote, Torpedoboote, Fangboote) wieder ein und Schichau konnte damit seine Krise überwinden. Man fertigte jetzt monatlich im Durchschnitt 40 Lokomotiven, insgesamt über 1.000 Lokomotiven verschiedener Bauart in dieser Periode, In der Maschinenfabrik kam man auf ca. 400 Geschütze und Kettenfahrzeuge pro Monat, dazu Granaten und Zünder für die Wehrmacht. Auf den Werften wurden für die Reichsmarine Torpedoboote, Minensuchboote und U-Boote gebaut. Genaue Zahlen sind hier aber nicht verfügbar. In der Zeit von 1837 bis1945 schätzt man, dass insgesamt 1.700 Schiffe und 4.300 Lokomotiven die Produktionsanlagen verließen. 1944 sollen etwa 44.000 Mitarbeiter beschäftigt gewesen sein, möglicherweise einschließlich der Fremd- und Zwangsarbeiter.

Nach dem Krieg wurden die zerstörten Werftanlagen in Elbing nicht wieder aufgebaut. Die polnische Werft Stocznia Gdynia will aber neuerdings in Elblag wohl einen neuen Betrieb errichten, in dem 500 Beschäftigte Sektionen und Schiffsrümpfe bauen. Die Schichau-Werft in Danzig fusionierte man 1950 mit der Danziger Werft zur Leninwerft, wo man sich auf Fracht- und Containerschiffe konzentrierte. 1978 arbeiten hier 15.800 Beschäftigte und hier gründete sich 1980 die Gewerkschaft Solidarnosc, die sich zum Fanal für die Befreiung Polens und ganz Osteuropas vom Kommunismus entwickelte. 1996 geriet das inzwischen privatisierte Unternehmen in die Insolvenz. Heute gibt es nur noch Arbeit für etwa 2.400 Beschäftigte.

Die Maschinenfabrik von Schichau in Elbing wurde nach dem Krieg zum volkseigenen Betrieb “Karol Swierczewski” mit der Herstellung von Turbinen, Getrieben und Ausrüstungen für den Schiffbau. Das im Krieg zerstörte Verwaltungsgebäude von Schichau wurde nach dem historischen Vorbild wieder aufgebaut. Heute gehört das Unternehmen zur französischen ALSTOM. ALSTOM ist Spezialist für Infrastrukturlösungen auf dem Energie- und Transportsektor. Das in 70 Ländern der Welt tätige Unternehmen beschäftigt lt. eigenen Angaben 118.000 Mitarbeiter (um 2000). Die Niederlassung in Polen ist gleichzeitig damit befasst, die Märkte im Osten, vor allem in Russland, zu erschließen. Lokomotiven hat man nach Abwicklung der russischen Restaufträge und Demontage der zugehörigen Produktionsmaschinen nicht mehr gebaut.

Hermann Noé, seit 1929 Generaldirektor von Schichau, der zusammen mit seiner Familie in letzter Minute mit einem Torpedoboot aus Danzig flüchten konnte, versuchte nach dem Krieg, an die alten Traditionen anzukmüpfen und gründete zunächst mit geflüchteten ehemaligen Mitarbeitern in Bremerhaven eine Schiffsreparaturwerkstatt, in der auch alles mögliche andere repariert und konstruiert wurde. Als die Alliierten 1950 den Schiffbau wieder freigaben, gründete er am selben Ort eine Werft für Fischerei-, Schlepp- und Bergungsschiffe. Um den guten alten Namen zu erhalten, erwarb er 1958 alle Aktien des seit 1941 als Aktiengesellschaft geführten Unternehmens “F. Schichau AG“. Auch dem Sohn des 1961 gestorbenen Noé gelang nicht der unternehmerische Durchbruch. Deswegen fusionierte die Schichau AG 1972 mit der Schiffbau-Gesellschaft Unterweser AG zur Schichau Unterweser AG, die 1988 mit der Seebeckwerft AG zur Schichau Seebeckwerft AG unter dem Dach des Bremer Vulkan-Konzerns verschmolzen wurde. Aber auch darin lag kein Segen, denn das neue Unternehmen ging 1996 in Konkurs. Die Nachfolgegesellschaft SSW Schichau Seebeck Shipyard GmbH meldete im Jahr 2009 Insolvenz an.

Dass Schichau für deutsche Wertarbeit stand, belegt u. a. folgende Mitteilung: das älteste Passagierschiff Polens, die „Jantar“, wurde 1890 auf der Schichauwerft in Elbing gebaut und befindet sich noch immer in ausgezeichnetem Zustand. Bis zum zweiten Weltkrieg verkehrte das Schiff, das an Deck 20 Personen aufnehmen konnte, unter dem Namen „Martha“ auf dem Oberländischen Kanal. Nach dem Krieg fuhr es auf der Warthe und zuletzt hat die Elbinger Stadtbehörde das Schiff erworben.[1]

Elblag hat den großen Sohn der Stadt nicht vergessen und errichtete 2003 vor dem Verwaltungsgebäude von Schichau einen Gedenkstein mit dem Relief von Ferdinand Schichau. 1954 wurden noch Teile des alten Schichau- Denkmals von 1898 auf einem Schrott- Platz in Hamburg entdeckt, die die Nachkommen nach Schweden in Sicherheit brachten.

  • Weitere bekannte Industrieunternehmen in Elbing waren
    – die 1874 gegründete  Cigarren-Fabrik Loeser & Wolff, später “W. E. Bayer“, die 1926 über 4.000 Arbeiter und Angestellte beschäftigte. Die Fabrik Loeser & Wolff, Zigarren – und Tabak-Fabrik befand sich in Elbing in der Königsberger Strasse. Es war die größte Tabak-Fabrik in Europa. Sie wurde am 01.07.1865 von Bernhard Loeser und Karl Wolff gegründet. Im Jahr 1874 produzierte die Fabrik 26.700 Zigarren aus importiertem Tabak. Die Fabrik beschäftigte hauptsächlich Frauen[3]
  • Das Unternehmen von Franz Komnick, gelernter Schmied. Dieser gründete 1906 auf dem ehemaligen Gelände der Leinen-Industrie AG eine Maschinenfabrik mit angeschlossenem eigenen Stahlwerk. Komnick war bekannt für die Entwicklung und Herstellung von Wasserhebewerken, Dampfdreschmaschinen und -pflügen sowie Pressen für die Herstellung von Kalksandsteinziegeln.1907 ergänzte er seine Produktpalette um Personenkraftwagen. Diese wurden auch gut angenommen und bewährten sich bei Überland-Wettfahrten wie den Prinz-Heinrich-Fahrten 1907 und 1908, der Riga-Fahrt 1910 und der Großfürstin-Victoria-Fahrt von Königsberg nach St. Petersburg 1912. Bei der großen russischen Kaiserpreis-Fahrt von St. Petersburg nach Sewastopol auf der Krim 1911 erzielte Komnick sogar den ersten Preis. In dieser Aufbruchzeit erweiterte Komnick seine Automodelle auf sieben und begann 1914 mit der Produktion von LKWs mit drei und fünf Tonnen Nutzlast, die er schwerpunktmäßig an  die Armee lieferte. Nach dem 1. Weltkrieg stockte der Umsatz, weil aufgrund der Kriegsfolgen die Staatsaufträge ausblieben. Um an mehr Kapital zu gelangen, wurde das Unternehmen Franz Komnick und Söhne 1922 erfolgreich in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Somit konnte man die Produktpalette mit PKWs, LKWs, Bussen und Traktoren marktgerecht anpassen. Abnehmer der Nutzfahrzeuge waren vor allem die Reichswehr, die Reichspost, die Schutzpolizei und weitere staatliche Behörden und Verkehrsbetriebe, die die Qualität von Komnick besonders schätzten. Dennoch machte das Unternehmen zunehmend Verluste, die nur durch Ausweitung des Umsatzes zu beheben gewesen wären. Um dem Betrieb diese Produktionssteigerung zu ermöglichen, fehlte jedoch Geld. Als man keine Kredite erhielt, ging die Komnick AG 1930 in Konkurs und wurde von der Firma Büssing übernommen. Der alte Komnick und seine Söhne  gründeten in den verwaisten Hallen des Elbinger Flugplatzes eine neue Produktionsgesellschaft für Dampfmaschinen  und Ölmotoren und übernahmen Reparaturaufträge für ihre alten LKWs. Doch alles endete im Januar 1945. Die Sowjets demontierten die Produktionsanlagen von Büssing und Komnick und transportierten diese als Reparationsleistungen nach Russland ab.[4]
  • die Brauerei Englisch Brunnen, die jetzt als „Elbrewery Co. Ltd.“ und seit der Fusion mit der zum Heineken-Konzern gehörenden Grupa Żywiec S.A.(2004) als Browar Elbląg weiter existiert,
  • das Emailwerk Neufeldt,

Lokal bekannt waren die Großmolkerei Schroeter, das Tilsatorwerk und das Holzindustriewerk Wittkowsky. Eher ein Handwerksbetrieb, aber auch sehr bekannt, war die Orgelbauerei Terletzki


[1] R.R., Allensteiner Nachrichten, 24. 5. 2010, S. 2
[2] Ursula Rodemerk, facebook, 12. 2. 2018
[3] Ursula Rodem-Derk, facebook, 12. 2. 2018
[4] Wolfgang Kaufmann, Schnittige Autos aus Elbing, PAZ Nr. 26/2024 (28. Juni), S. 18