Geschichte der Stadt Szczytno – Ortelsburg
Der aus nur schwer durchdringbaren Wäldern bestehende südöstliche Teil des Ordenslandes kam erst seit der 2. Hälfte des 14. Jhs. in das Blickfeld der Kolonisatoren, als man, von der Küste ins Binnenland vorstoßend, in dieser Gegend anfing, eine systematische Besiedlung zu betreiben. Um 1350 – 1360 wurde das feste „Hauß Ortelßburgk“ als Holz-Erde-Werk auf einer Halbinsel des Haussees – jez. Dlugie angelegt, um einen Pfleger aufzunehmen. Namensgeber war der Großgebietiger und Oberste Spittler Ortulf von Trier (1349 – 1371 oder 1373), Komtur von Elbing, als erster Hausherr ist der Pfleger Heinrich Murer belegt.
In der Nähe dieses Stützpunktes, auf der Nordseite des Sees, erhielten in dieser Zeit Einwanderer aus Masowien Siedlungsgelände zugewiesen, denn nach der ersten Einwanderungswelle aus dem Reichsgebiet im Westen bestand jetzt Mangel an deutschen Zuwanderern. Die Neuankömmlinge widmeten sich hauptsächlich der Imkerei, weshalb sich diese älteste Siedlung Beutnerdorf nannte. Sie hatte bis ins 19. Jhs. hinein mehr Einwohner als die Niederlassung unmittelbar um die Burg herum und wurde erst 1913 nach Ortelsburg eingemeindet.
Die Litauer unter ihrem Anführer Kynstut zerstörten die Ortelsburg 1370. Sie wurde umgehend wieder aufgebaut, diesmal in Stein. Trotzdem hielt sie dem Ansturm der Polen nach der Schlacht bei Tannenberg 1410 nicht stand und in der Periode des Bürgerkriegs zwischen dem Orden und dem Preußischen Bund, dem Städtekrieg (1454 – 1466), wechselte mehrfach der Besitzer.
Bei der Umwandlung des Ordensstaates in das Herzogtum Preußen wurde der Pfleger des Ordens abgelöst von dem herzoglichen Amtshauptmann, und der war zunächst dem Oberländischen Kreis zugeordnet. Zum Verwaltungsbereich gehörten die Ämter in Ortelsburg, Mensguth, Willenberg und Friedrichsfelde.
Als die Differenzen mit Polen nach Beendigung des Reiterkrieges (1519 – 1526) beseitigt waren, die Wildnis aber immer noch das Land prägte, wurde die Ortelsburg als Ausgangspunkt für die herzoglichen Jagden interessant. Herzog Albrecht bevorzugte zwar das kleinere Jagdschloß bei Puppen. Der Regent Herzog Georg Friedrich von Brandenburg, der bei seinem ersten Besuch entsetzt gewesen sein soll über den baulichen Zustand, gab der Ortelsburg den Vorzug und ordnete ihre gründliche Renovierung an.. Um diese Zeit – 1581 – begann die offizielle Besiedlung neben dem Schloss und dieses Jahr gilt alsGründungsdatum für Ortelsburg, so dass 1981 die 400-Jahr-Feier abgehalten werden konnte.
Einwohner waren Ackerbürger, Imker, Holzarbeiter, Fischer, aber auch einige der hier sesshaft gewordenen Handwerker, die am Ausbau des Jagdschlosses beteiligt gewesen waren. In dieser Periode verhaltenen, doch stetigen Wachstums erhielt Ortelsburg 1616 von Kurfürst Johann Sigismund zwar noch nicht das in Aussicht gestellte Stadtrecht – was der Konkurrent Passenheim, bereits Stadt, wohl befürchtete, aber immerhin das „Fundationsprivileg“ als Urkunde über die rechtliche Selbständigkeit, noch ohne das Amt des Bürgermeisters und ohne die Erlaubnis, regelmäßige Markttage veranstalten zu dürfen, aber mit der Zusage des Braurechts, wenn auch mit dem Wermutstropfen, „jährlich 20 Last Amtsbier zu verschenken“. Das Vorrecht des Bierbrauens war schon um 1600 vom Amtshauptmann Andreas zu Eulenburg gewährt worden und die nunmehrige offizielle Bestätigung war ein Siegpunkt im Wettstreit mit der Stadt Passenheim um die wirtschaftliche Vorherrschaft in der Region. Die Stadtrechte erhielt Ortelsburg dann 1723 unter König Friedrich Wilhelm I. als Kommune mit gerade 400 Einwohnern.
Beim Einfall der Tataren 1656 während des zweiten schwedisch-polnischen Krieges blieb zwar das Schloss uneingenommen, aber die Siedlung wurde erheblich zerstört, viele Einwohner grausam getötet. Weitere Opfer forderte die große Pest, die 1709 – 1711 reiche Ernte in Ortelsburg hielt.
Einen gewissen Bekanntheitsgrad erlangte das 1744 gegründete Feldjägerkorps, das in der Stadt in Garnison lag und sich unter der Bezeichnung „Ortelsburger Jäger“ einen guten Ruf als Kundschafter und Wegweiser, aber auch als Scharfschützen erwarb.
Das preußische Königspaar hielt sich 1806 auf seiner Flucht vor Napoleon über Küstrin, Graudenz und Osterode längere Zeit vom 21. November bis 9./10. Dezember in Ortelsburg auf. Von hier aus verbreitete König Friedrich Wilhelm III. am 1. Dezember sein „Publicandum an die Armee und das deutsche Volk“, in dem die geplanten Maßnahmen zur Erneuerung der Armee nach den Niederlagen gegen Napoleon dargestellt waren, und in dieser Zeit war es, als Königin Luise der Überlieferung nach den ersten Vers eines Goethe-Gedichts mit einem Diamantring in eine Fensterscheibe einritzte: „Wer nie sein Brot mit Tränen aß …..“
Bei der großen preußischen Verwaltungsreform 1818 wurde Ortelsburg das Verwaltungszentrum eines der größten ostpreußischen Landkreise. Auch wenn hier auf dem Marktplatz vor dem Rathaus die seinerzeit berühmten masurischen Markttage abgehalten wurden, zählte der Kreis Ortelsburg zu den ärmsten Regionen in Preußen. Daran änderte auch der Eisenbahnanschluss 1883 nicht viel. Etliche Bewohner des umliegenden Landes, aber auch der Stadt wanderten deshalb um 1900 ins Ruhrgebiet aus, wo man in den Kohlezechen, insbesondere um Gelsenkirchen, Arbeit fand. Gelsenkirchen erhielt dabei zeitweise den Beinamen „Klein-Ortelsburg“.
Im Jahr 1884 verlegte man das Lehrerseminar, in dem vornehmlich Lehrkräfte für den ländlichen Bereich ausgebildet wurden, von Friedrichsdorf nach Ortelsburg, wo es ein repräsentatives Gebäude in der Hauptstraße nahe dem Markt erhielt. Das Seminar mußte 1914 seine Tätigkeit einstellen, weil die Lehrräume im 1. Weltkrieg zerstört wurden. In das wieder aufgebaute Haus zog in den 20er Jahren das Hindenburggymnasium ein.
Die gravierenden Zerstörungen des 1. Weltkriegs konnten in einer anschließenden Aufbauphase und mit Hilfe der Patenschaften von Berlin und Wien rasch wieder behoben werden, was nach dem 2. Weltkrieg nicht mehr so möglich war.
In neuerer Zeit, seit 1995, hätte man Ortelsburg relativ bequem mit Charterflugzeugen erreichen können, weil der ehemalige Miltärflughafen von Szymany – Groß Schiemanen für Zivilflüge zugelassen wurde. Es gab zumindest noch 2001 wöchentliche Verbindungen von verschiedenen Flughäfen in Deutschland aus. Der Flugplatz soll modernisiert und ausgebaut werden, was aber wohl in der Planung stecken geblieben ist.. Im Jahr 2013 wurde der Flughafen dann doch in das Register der zivilen Flughäfen eingetragen. Im Juni erging die Umweltverträglichkeits-Entscheidung und nunmehr wird ein Bauantrag für das Terminal gestellt.[2]
Etwa 2 km von Ortelsburg entfernt befindet sich der Ort Corpellen, seit 1928 Korpellen
In Ortelsburg wurde der masurische Lyriker, Essayist und Übersetzer Richard Anders (25. 4. 1928 – 24. 6. 2012) geboren, dessen Roman „Ein Lieblingssohn“ stark autobiographische Züge trägt. Er war Deutsch-Dozent sowie Archivlektor beim „Spiegel“ und bei der „Welt“ und lebte zuletzt in Berlin. Er veröffentlichte sechs Gedichtbände, zuletzt 1998 „Die Pendeluhren haben Ausgangssperre“. Er wurde 1998 mit dem Wolfgang-Koeppen-Preis der Hansestadt Greifswald und erhielt am 29. Juni 2007 von der Akademie der Künste in Berlin den mit 5000 Euro dotierten F.-C.-Weiskopf-Preis.[1]
Der Schriftsteller Wolfgang Koeppen (23. 6. 1906 – 15. 3. 1996) verlebte prägende Jahre seiner Jugend in Ortelsburg. Geboren wurde er in Greifswald als unehelicher Sohn einer Näherin und des Augenarztes Reinhold Halben, der aber von seinem Sohn nichts wissen wollte. 1908 zog die Mutter nach Thorn zu ihrer Schwester und folgte ihr nach Ortelsburg, wo Wolfgang das Realgymnasium besuchte. 1919 zog die Familie zurück nach Greifswald. Wolfgang Koeppen wurde Laufbursche einer Buchhandlung, Volontär am Greifswalder Stadttheater und dann Schiffskoch. Er las gerne und fühlte sich zum Theater hingezogen. Hier gab es ernsthafte Begegnungen mit den Bühnen in Wismar und Berlin. Koeppen wandte sich jedoch dem Journalismus zu und wurde Redaktionsmitglied des „Berliner Börsen-Courier“, bis dieser gleichgeschaltet wurde. 1934 erschien sein erster Roman „Eine unglückliche Liebe“ bei Bruno Cassirer. Ein Jahr später folgte der zweite Roman „Die Mauer schwankt“. Bekannte Werke: „Tauben im Gras“ (1951); „Das Treibhaus“ (1953); „Der Tod in Rom“ (1954). Danach folgten Reisereportagen. 1962 erlitt er eine Schreibkrise, die nahezu bis zu seinem Tod anhielt. Marcel Reich-Ranicki hielt dennoch große Stücke auf ihn.