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Nordostpreußen – Kaliningradskaja oblast

Die Kaliningrader Oblast nimmt das nördliche Drittel der einstigen Provinz Ostpreußen in den Grenzen von 1937 ein. Sie ist die westlichste, eine der kleinsten und die jüngste Oblast der Russischen Föderation mit 15.000 km², was etwa der Fläche Schleswig-Holsteins entspricht. Nördlich liegt das Memelland, heute litauisch, südlich der an Polen gefallene Landesteil. Die Oblast hat heute ca. 950.000 zivile Einwohner, davon in Königsberg etwa 450.000. Dazu kamen ca. 200.000 Militärpersonen, deren Anzahl inzwischen aber wohl erheblich zurückgegangen ist. Die Bevölkerung besteht zu 80,1 % aus Russen, zu etwa 8,1 % aus Weißrussen, zu 7,9 % aus Ukrainern und aus anderen wie Tataren (0,4 %), Baschkiren, Litauer (je 1,4 %), Armenier (1,3 %), 5.000 Russlanddeutsche (unter 0,6 %) – alle Quoten von 2001.

In der gesamten Sowjetunion mit Schwerpunkt in Zentralrussland, dem Gebiet des heutigen Föderationskreises Wolga, der nordöstlichen Ukraine und Weißrussland fanden Kampagnen statt, um das entvölkerte Ostpreußen wieder zu besiedeln. Ins Land kamen Menschen, die im Krieg ihr Heimatdorf oder ihre Familie verloren haben, aber auch heimkehrende Soldaten und Strafgefangene. Das Gebiet wurde zu einem Militärsperrbezirk, in den selbst Sowjetbürger nur mit Sondergenehmigung einreisen konnten. Nach der Eroberung des Gebietes wurden die Spuren der früheren Geschichte bewusst zerstört. Dies betraf speziell Schlösser, Gutshäuser und Kirchen. Rund 2.280 Orte wurden nicht wieder besiedelt und existieren seither nicht mehr, die übrigen 2.520 Ortschaften überlebten schlecht und recht.

Königsberg und das Königsberger Gebiet wurden am 4. 7. 1946 per Erlass des Präsidiums des Obersten Sowjet der UdSSR in Kaliningrad und Kaliningradskaja oblast umbenannt. Namensgeber war dabei der einen Monat zuvor verstorbene Weggefährte Stalins, Michail Kalinin (7. 11. 1875 – 3. 6. 1946), der 27 Jahre lang nominelles Staatsoberhaupt der Sowjetunion gewesen war.

Diese Namensgebung war der Auftakt dafür, im gesamten Gebiet die Namen der Städte und Dörfer zu sowjetisieren. Dabei orientierte man sich am Kommunismus, an der Sowjetunion und an dem gerade beendeten Krieg. Tilsit hieß nun Sowjetsk und den Tilsiter Käse nannte man fortan folgerichtig Sowjetsker Käse. Pillau wurde in Anlehnung an den russischen Begriff für Ostsee in Baltijsk umgetauft. Aus Gilge wurde Matrosowo (Matrosendorf), aus Heinrichswalde wurde Slawsk (ruhmreicher Ort). Etliche Soldaten, die sich beim Angriff auf Ostpreußen ausgezeichnet hatten und gefallen waren, wurden geehrt, indem man ostpreußischen Städten ihren Namen gab. So wurde Neuhausen im Kreis Königsberg-Land nach dem beim Angriff auf Pillau gefallenen Generalmajor Stepan Gurjew, Kommandeur des 19. Garde-Schützen-Korps, in Gurjewsk umbenannt. Stallupönen/Ebenrode erhielt den Namen Nesterov nach einem in Ostpreußen gefallenen stellvertretenden Korpskommandeur. Gumbinnen wurde nach dem Hauptmann Gussew umbenannt, aus Heiligenbeil wurde Mamonowo nach dem Führer des 331. Schützenregiments Nikolai Mamonow, dem hier ein Einbruch in stark befestigte deutsche Stellungen gelungen war, und Insterburg wurde nach Armeegeneral Tschernjachowski benannt, Oberbefehlshaber der 3. Weißrussischen Front, der hier sein Hauptquartier hatte und in der Nähe der Stadt Mehlsack gefallen war.

Das berühmte Trakehnen wurde in Jasnaja Poljana umbenannt wie einst das Gut von Leo Tolstoi hieß, aus Allenburg wurde Druschba (= Freundschaft), aus Gerdauen wurde Schelesnodoroschny, was Stadt der Eisenbahn bedeutet. Tapiau hieß jetzt Gwardejsk, die Stadt der Garde. Namenspate für Preußisch Eylau wurde Fürst Pjotr Bagration, der 1807 in dieser Stadt dem Angriff Napoleons widerstand und der später in der Schlacht bei Borodino fiel.

Die Stadt Kaliningrad erhielt eine andere Einteilung mit neuen Namen: sie gliedert sich heute in die fünf Bezirke Baltijskij (Baltisches Viertel),  Moskowskij (Moskauer Viertel),  Leningradskij (Leningrader Viertel), Oktjabrskij (Oktoberviertel) und Zentralnij (Zentrum).
 

Durch den Geheimbefehl des Ministerrats vom 11. 10. 1947 – Nr. 3547 – 1169 s „Über die Umsiedlung der Deutschen aus dem Oblast Kaliningrad der RSFSR in die Sowjetische Besatzungszone Deutschlands“ verließen bis 1948 insgesamt 102.125 Deutsche zwangsweise das sowjetische Gebiet Ostpreußens.

Lange Jahre nach dem Krieg war Königsberg militärisches Sperrgebiet, vor allem wegen der hier stationierten Ostseeflotte der Roten Armee, und konnte daher von westlichen Touristen nicht besucht werden. In dieser Zeit ist das Land sehr heruntergekommen, die landwirtschaftlichen  und industriellen Betriebe sind zerfallen. 1969 wurde die Ruine des Königsberger Schlosses gesprengt und danach erfolgte verstärkt der Abriss von alter Bausubstanz und die Neuüberbauung vieler Städte. Von den einst 224 Kirchen in Nordostpreußen sind 91 vollständig verschwunden, 67 Gotteshäuser befinden sich im Zustand stark fortgeschrittenen Verfalls.[1]

Kaliningrad gehörte zu den ehemals deutschen Ostgebieten, die von der Bundesrepublik Deutschland – jedoch nicht von der DDR – als unter sowjetischer Verwaltung stehend betrachtet wurden. Mit der Unterzeichnung des Zwei-plus-Vier-Vertrages am 12. September 1990 verzichtete die Bundesrepublik Deutschland als Voraussetzung zur Genehmigung der Wiedervereinigung auf alle Ansprüche östlich der Oder-Neiße-Linie und erkannte damit Kaliningrad als zur Sowjetunion gehörend an.

Mit der Perestroijka hat man 1991 die Abschottung der Oblast Kaliningrad aufgegeben. Seitdem kamen viele ehemalige Einwohner oder deren Nachkommen, die auch materielle Hilfen anbieten oder für die Restaurierung alter Kulturgüter mit Spenden zur Verfügung standen und stehen, so z. B. sehr intensiv am Wiederaufbau des Doms beteiligt waren. Seit der politischen Öffnung wird Bausubstanz verstärkt erhalten wie z. B. auch die Königin-Luise-Brücke in Tilsit. Alte backsteingotische Dorfkirchen werden in einigen Orten für Russisch-orthodoxe Gottesdienste hergerichtet. Schlösser und Herrenhäuser werden zum Teil, wo sie noch stehen und Geld vorhanden ist, renoviert.

Die Oblast Kaliningrad hat für Russland unverändert große Bedeutung als Militärstützpunkt sowie als eisfreier Ostseehafen. In Kaliningrad ist die größte Fischereiflotte Russlands stationiert. 1990 wurde das Königsberger Gebiet zur Sonderwirtschaftszone erklärt. Es gab Steuer- und Zollerleichterungen. Die Einrichtung der Sonderwirtschaftszone “Jantar” zeigt nur zögerlich Erfolge, was man insbesondere der starken Abschottung des Gebietes, der herrschenden Bürokratie, der hohen Kriminalität und der häufig auftretenden Korruption anlastet. Besonders stolz ist man auf die hierher verlegte Automontage für BMW auf dem Gelände der ehemaligen Schichauwerft und für KIA. Auch wenn neuerdings weitere Regionen zu Sonderwirtschaftzonen gemacht werden, behält Kaliningrad seinen besonderen Status. Es wird zukünftig Entwicklungsbereiche geben, in denen vornehmlich verarbeitende Industriebetriebe gefördert werden, wenn diese mindestens  zehn Millionen Euro investieren, sowie Innovationsstandorte, wo Forschungsergebnisse direkt in die Praxis umgesetzt werden sollen. Kaliningrad dürfte zum Investitionsbereich gehören, aber die Förderung wird hier bereits bei Investitionen von vier Millionen Euro einsetzen.

Indem die Anliegerstaaten der Oblast souverän wurden oder gar in die Europäische Union aufgenommen wurden, ist das Gebiet zu einer Exklave geworden. Die Wirtschaft leidet sehr unter der zunehmend starken Abschottung des Gebietes von seinen Nachbarn und darunter, dass man fremde Staatsgrenzen  überwinden muss, um ins russische Kernland zu gelangen. Diese Konstellation führte zu einem Niedergang des Exports und brachte eine hohe Arbeitslosigkeit insbesondere auf dem Land mit sich. Die wichtigste Verbindung nach Russland verläuft durch Litauen und Weißrussland. Seit dem Beitritt Litauens zur EU 2004 herrscht de facto Visumzwang, und das ist zusätzlich ein psychologisches Problem für die Bewohner der Oblast. Seit dem 29. März 2004 ist die Oblast außerdem landseitig vollständig von NATO-Gebiet umgeben.

Der Ansturm der Heimwehtouristen hat merklich nachgelassen. Deswegen muss man sich jetzt neue Konzepte für den touristischen Sektor einfallen lassen. In diesem Zusammenhang sucht man eine neue Identität für das Gebiet auf der Basis der russischen Geschichte im Ostseeraum unter teilweiser Berücksichtigung der früheren deutschen Geschichte. So wird in der Oblast Kaliningrad die Tradition der Westöffnung unter Zar Peter dem Großen betont, der sich öfter in Königsberg aufgehalten hat. Die kurze Episode zwischen 1758 und 1762, in der das Gebiet schon einmal von Russland annektiert worden war, wird herausgehoben. Man erinnert sich, dass Ostpreußen schon früher viele Siedler aus deutschsprachigen Regionen aufgenommen hat und sieht darin Parallelen zu heute, auch wenn die Zugänge aus den verschiedensten Bereichen Russlands kommen. Ferner wird häufig unterstrichen, dass Königsberg eine Hansestadt mit vielen Kontakten nach Russland, z. B. nach Nowgorod, war und dass sich hier eine traditionsreiche Universität befindet, von der aus auch viele Einflüsse auf Russland ausstrahlten. Insbesondere Immanuel Kant gilt als Integrationsfigur, was sich auch darin ausdrückt, dass man den Kneiphof mit der Kant-Gedenkstätte am Dom in “Kant-Insel” umbenannte.

Mit Mitteln der Bundesrepublik Deutschland entstand 1993 das Deutsch-Russische Haus (DRH). Hier wird die deutsch-russische Zusammenarbeit auf kulturellem, sozialem und wirtschaftlichem Gebiet unter besonderer, jedoch nicht ausschließlicher Berücksichtigung der im Gebiet lebenden Russlanddeutschen gefördert. Es werden Ausstellungen, Lesungen und Konzerte in- und ausländischer Künstler angeboten sowie nationale und internationale Vorträge, Treffen und Konferenzen veranstaltet. (Adresse: Ul. Jaltinskaja 2a – direkt hinter dem Sackheimer Tor, 236001 Kaliningrad, Tel.:007-4012-450631, E-Mail: sekretariat@drh-k.ru, Internet: www.drh-k.ru). Das DRH ist inzwischen geschlossen.   

Am 12. 2. 2004 wurde von Bundesaußenminister Fischer der deutsche Generalkonsul in Kaliningrad, Cornelius Sommer, in sein Amt eingeführt. Er war vorher Botschafter Deutschlands in Finnland. Der Amtsbetrieb wurde im Sommer 2004 aufgenommen. Seitdem ist man für die 5.000 bis 7.000 Russlanddeutschen, aber auch für die Unterstützung deutscher Unternehmen gegenüber russischen Ämtern zuständig. Immerhin steht dem Generalkonsul seit 2005 ein eigenes Gebäude zur Verfügung, wo bis zu 10.000 nationale und Schengen-Visa für die Einwohner des Oblast pro Jahr ausgefertigt werden können und die Antragsteller nicht mehr gezwungen sind, deshalb nach Moskau zu reisen. Dem Vernehmen nach wurde 2005 eine Villa in der ul. Telemana 14 (Thälmannstrasse) im alten Bezirk Maraunenhof  für ein deutsches Generalkonsulat zur Verfügung gestellt. Das Deutsche Generalkonsulat wurde 2023 geschlossen.


[1] So Elmar Schubbe, Rettung für die „Ännchen“-Kirche, Oprbl. Nr. 8/2006, S. 13